Musik
Lauri Vasar (Figaro), Katharina Kammerloher (Marcellina), Marianne Crebassa (Cherubino), Sónia Grané (Barbarina)

Eine verträumt dasitzende junge Frau, deren Begleiter dabei ist, aufzustehen. Ein anderes Paar, dass sich zum gehen wendet – sie schaut zurück. Weitere Paare, die ein Boot besteigen. Das Boot, das sie nach Cythère bringen soll, dem antiken Kythera. „Auf seinem Bild“, schreibt der Soziologe Norbert Elias in seiner Monographie über Antoine Watteaus Gemälde „L'embarquement pour l'isle de Cythère“, „sieht man den Zug der Liebespaare, der sich gerade zu ordnen beginnt auf dem Weg zum Wasser hinunter.“ Zur „Pilgerfahrt zur Insel der Liebe“, so der Titel von Elias' Text über das Gemälde, von dessen drei Fassungen eine im Schloss Charlottenburg hängt.

Mit der Ouvertüre kommen die Paare an. Ebenfalls in Berlin. Cythère ist in der Staatsoper im Schillertheater keine Insel, sondern eine Villa am Meer. Deren Garten freilich durchaus an Norbert Elias Beschreibung einer „großen alten Parklandschaft“ erinnert, die in Watteaus Gemälde den Hintergrund des Zuges der Liebenden bildet. Gegeben wird seit dem 7. November „Le nozze di Figaro“, im Schillertheater spielt ein „hortus conclusus“, ein arkadischer Ort, an dem ein Lüftchen „mit sanftem Gesumm die Herzen wecket“ (Susanna) erst am Schluss von Mozarts Commedia per musica über die Irrungen und Wirrungen der Liebe, der Treue und Untreue, der Eifersucht und der Verzeihung eine Rolle. Regisseur Jürgen Flimm und Dirigent Gustavo Dudamel zeichnen für diese neue Fassung eines Sommernachtstraums ohne Geister und Elfen verantwortlich. Eine Fassung von leichter Hand, eine, die in der Personenführung mit der Persiflage (und mit der Persiflage der Persiflage)zu spielen genauso versteht wie mit dem großen Gefühl. Auch der Orchesterpart ist verspielt (ein Roberto Benigni-Film in Musik), in dem Gustavo Dudamel immer wieder passend die tänzerischen Elementen der Musik Mozarts in den Vordergrund arbeitet, um sich einer unaufdringliche Präsenz des Affekts zu widmen. Mag dieser einer Verzweiflung sein oder einer der leichten Lust. Komödie oder Drama?

Wobei ersteres dominiert. Die in den ersten Akten in einer Abstraktion einer mediterranen Villa (Bühnenbildnerin Magdalena Gut lässt sie aus Lamellenwänden und Licht entstehen) spielende neue Liebesunordnung dieses Flimm-Dudamel-Figaro ist eher von Neugier als von Ängsten geprägt (vielleicht ist das der einzige Schwachpunkt, auf Dauer jedenfalls verliert sich die Spannung des Anfangs ein Stück weit). Und Geister und Elfen finden sich doch, zumindest als Reminiszenzen an solche ätherischen Wesen in den durchweg gut bis bestens besetzten Gesangspartien, die eine der großen Stärke dieser Aufführung sind. Dorothea Röschmann gibt eine so empfindsame wie selbstbewusste Gräfin Almaviva, Anna Prohaska, auch szenisch im Zentrum des Geschehens, eine so strahlend wie atemberaubend gesungene Susanna, deren Emotionalität und Souveränität die Sopranistin facettenreich hinblättert. Dritte im weiblichen Bund ist Cherubino, ein Cupido, der direkt dem Watteau-Gemälde entsprungen sein könnte: die Französin Marianne Crebassa singt seine staunende Hingabe mit einer exakt ausbalancierten Mischung aus luzider Leichtigkeit und Prägnanz.

Ihnen stehen Ildebrando D'Arcangelo und Lauri Vasar gegenüber, der Graf Almaviva und Figaro haben von dem persiflierenden Element mehr abbekommen als ihre weiblichen Counterparts. Meisterhaft balanciert D'Arcangelo auf diesem Grat, schafft es immer, das komischen Moment dezent in seine Gefühlsstürme zu integrieren. Auch Lauri Vasar pendelt souverän - zwischen Eifersucht und Glück, zwischen frech und verzagt. Sein wütendes „Aprite un po' quegli ochi“, fasst als Reaktion auf Marcellinas (geschmeidig: Katharina Kammerloher) „Il capro e la capretta“, den Stand der Gefühlsdinge eines „Tages voller Qualen, Launen und Tollheit“ zusammen. Es ist nicht das letzte Wort.
Das Orchester unter Gustavo Dudamel gibt all dem viel Raum, was diese Stimmen auf ihre untheatralische und ungezwungene Art zu erzählen haben, nimmt sich zurück, zum piano Grundton eher tendierend als zum forte, zur Transparenz eher als zum Markanten, zum Hauch eher als zum Sturm. Aus dieser generösen Zurückhaltung brechen sich immer wieder dynamisch glänzend geführte Akzentuierungen Bahn, Momente, in denen das große Gefühl sich mit dem großen Ton verbindet,

Die Boote der Gegenwart fahren nicht nach Cythère, der Strom der Flüchtlinge, für den ein Mitarbeiter des Hauses vor der Aufführung um Spenden bittet, hat andere Ziele. Um so besser, wenn Mozarts Commedia per musica einmal mehr in Erinnerung ruft, dass Inseln wie Cythère es sind, die den Westen und seine Zivilisation ausmachen.

Le nozze di Figaro
Commedia per musica in vier Akten von Wolfgang Amadeus Mozart
Text von Lorenzo Da Ponte | Gustavo Dudamel | Jürgen Flimm
Staatsoper im Schillertheater Berlin
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Live-Stream "Le Nozze di Figaro"


Abbildungsnachweis:
Le nozze di Figaro
Headerfoto: Clärchen und Matthias Baus Lauri Vasar (Figaro), Katharina Kammerloher (Marcellina), Marianne Crebassa (Cherubino), Sónia Grané (Barbarina)

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