Musik
Resonanzraum - Foto Jann Wilkens

Kaum angekündigt, schon fertig: Der neue Proben- und Konzertraum des Ensembles Resonanz. Im Hochbunker an der Feldstraße in Hamburg haben die Architekten um Jörg Friedrich den neuen „Resonanzraum“ gebaut. Ein einzigartiges Experimentierfeld für Ton und Klang, für alternative Konzertformen und die lebendige Zukunft der klassischen Musik. Ein Raum, in dem das Hören die Richtung wechseln kann.

„2506 m3 Schall und Rausch“ steht auf einem Plakat, das den neuen Konzertsaal ins Bewusstsein der Musikliebhaber rücken soll. Ein Anspruch, das der Resonanzraum längst einlöst. Im ersten Stock des Bunkers, hinter einer Stahltür, öffnet sich das kleine Reich der Freiheit. Der Boden: dunkle Eiche, 22 Millimeter dick und widerstandsfähig, mit dichten Poren als Fußboden, verlegt auf einem Lattengerüst, so dass er mitschwingen kann und die tiefen Frequenzen verstärkt. „Ähnlich wie im Bayreuther Festspielhaus“, sagt Jörg Friedrich.

Die Raumoptik ist dann aber doch etwas anders als in Bayreuth, und wenn der Architekt sein Werk „gefrorene Musik“ nennt, dann wird die seit ihrer Inbetriebnahme am 31. Oktober im Konzertbetrieb längst kräftig aufgetaut. An die zentrale, viereckige Veranstaltungsfläche lagern sich 5 kleine Räume und Nischen an. Sie können je nach Bedarf mit dem Hauptraum verbunden werden oder abgeteilt bleiben. Riesige, speziell entwickelte rostbehandelte Stahlblechtore, kinderleicht auf Kugellagern drehbar und auf einer Seite mit vielen Schlitzen über dem Dämmmaterial versehen, sind das Akustikstellwerk; sie erzeugen je nach Reflexionswinkel ganz unterschiedliche akustische Situationen, immer nach dem besonderen Bedarf des jeweiligen Stücks im Programms.

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Es gibt zwar einen bevorzugten Ort für eine 45 Zentimeter hohe Bühne – im Prinzip aber kann und soll auch überall sonst gespielt werden – eine Freiheit, die die Musiker mit Begeisterung in ihren ersten „urban string“-Konzerten am neuen Ort schon kreativ ausgelotet haben. Zwei Solisten auf Diagonalen im Raum, Bach und Gesualdo auf einem nur 10 Zentimeter hohen Podest, Musiker verteilt auf Nischen und Zentralraum – da geht eine Menge.

Der Resonanzraum ist anders als Konzertsäle, die nach dem Motto funktionieren: „Wir spielen, Sie hören zu“. Kommunikation ist gefragt und strukturell angelegt, durch die große Bar, die fast eine ganze Wandbreite rechts neben dem Eingang einnimmt. Durch den gemeinsamen Hände-Waschraum zwischen Herren und Damen-Toilette. Im Resonanzraum herrscht Club-Stimmung, eine flirrende Atmosphäre, ein Marktplatz-Gefühl. Ein Glas Wein, eine Flasche Bier während des Konzerts hält exzellente Musik locker aus. Und wenn da mal was scheppernd umfällt, freut man sich eher, als dass Augenbrauen hochgezogen würden: Hör mal, das Publikum lebt!

Die 18 Musiker, die beschlossen haben, die Arbeit im Ensemble Resonanz in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit zustellen, sind begeistert, sagt Geschäftsführer Tobias Rempe. Sie mögen diesen Spagat, sie sind gern Residenz-Ensemble in der Laeiszhalle und dort mit ihrer Reihe „Resonanzen“ präsent. Und im Resonanzraum probieren sie mit ihrer Reihe „urban string“ aus, wie man eine Verwurzelung im Stadtteil hinbekommt, wie man für neue und jüngere Hörer attraktiv wird. Aus der „Ensemble hä?“-Phase sind sie ja längst draußen, und der neue Raum zieht das Hamburger Publikum geradezu magisch an. Man wird nicht lange warten müssen, bis der Raum in ersten Reiseführern als Geheimtipp auftaucht. „Wir müssen uns an ‚Ausverkauft’-Schilder gewöhnen, können manche Konzerte auch zweimal füllen, wie jetzt schon am 18. und 19. Dezember das ‚Weihnachtsoratorium’ oder vielleicht bald zu "arc en ciel" im Januar“, sagt Tobias Rempe.

Sakrale Musik von Bach im lässigen Club-Ambiente? Ein fröhlich-besinnliches Experiment auch das, eine Kammermusikfassung mit solistisch besetztem Chor, einer Trompete, Streichern, und E-Gitarre und Hammond-Orgel im Continuo.
Ihre kleine Elbphilharmonie auf St. Pauli ist eine große Gemeinschaftsleistung: nach langer Suche die Planung seit Herbst 2013, Baubeginn März 2014, fertig geworden vor Plan, Kosten unter Plan – auch das geht in Hamburg. Eröffnung Ende Oktober 2014. In dem Raum steckt ganz viel Eigenleistung der Musiker. 200.000 Euro versprach die Kulturbehörde, wenn privat derselbe Betrag aufgebracht würde. Engagement für die Kultur hat in Hamburg Tradition – zehn Geldgeber fanden sich im Gründerboard zusammen und brachten das Geld mit. Dazu kamen Spenden und Beiträge von Kulturstiftungen. Die Ermöglicher sind nun bei den Konzerten gern präsent – fast schon ein kleiner Sponsorenblock.

Sie alle sind stolz auf die liebevoll gestalteten Details des Raums, auf die eleganten Lichtkreise und den innovativen Leuchter aus 260 PET-Flaschen, die der Lichtdesigner Heinz Kasper entworfen hat – ein perfekter Kontrapunkt zur viereckigen Wucht des Bunkerraums. Oder wie die Projektion des Programms an die Bunkerwand – die aussieht wie Tageskarte eines musikalischen Bistros.

Doch der Resonanzraum ist mehr nur Konzertort. Es ist der Übungsraum des Ensembles, er ist auch technisch vorbereitet für aufwändigere CD-Aufnahmen. Und er beherbergt hinter den Kulissen die Büros für die Verwaltung des Klangkörpers. Ein Stück Heimat, alles unter einem Dach zu wissen. Und genug kreativer Raum, um viele neue Konzertideen auszuhecken und bis zur Aufführungsreife zu bringen. Uraufführungen und Wiederentdeckungen – immer anmoderiert durch die Künstler selbst, die ihr Erleben mit ihrem Publikum teilen möchten.

Was der Resonanzraum alles kann, wollen die Musiker und ihr Geschäftsführer in den nächsten Wochen und Monaten herausfinden. Nicht nur klassische Musik soll es hier geben, möglich sind crossmediale Events – so wie mit den kunstvollen, sich verändernden Projektionen von Katrin Bethge zu Bach, Nono und Gesualdo. Auch Chanson und Jazz könnte hier stattfinden – alles, was exzellente Musik ist. Wobei der Raum schon speziell für klassische Musik optimiert wurde, „Rockmusiker würden sich in er Akustik nicht wohlfühlen.“ Schon jetzt gibt es viele Vermietungsanfragen.

Tobias Rempe bringt das neue auf den Punkt, wenn er konstatiert, dass eine glaubhafte Erneuerung der klassischen Musikkultur auch einen glaubhaften neuen Ort braucht, dass Club-Formate in neobarockem Ambiente immer ein bisschen wie ein Fremdkörper wirken und unter einem Mangel an Authentizität leiden. Der ist im Resonanzraum behoben, der von der Atmosphäre her so gar nichts Repräsentatives, nichts Bürgerliches an sich hat. „Bei uns kann sich jeder von klassischer Musik angesprochen fühlen, der Wert legt auf pure Musik, ein unanstrengendes Ambiente und keinen Wert auf die besonderen repräsentativen Merkmale eines Konzertsaals sowie die eingeschliffenen Rituale der klassischen Konzerte.“

Inzwischen hat sich die fast ungläubige Verwirrung angesichts der schnellen Realisierung des Resonanzraums gelegt, und der Blick geht nach vorn: „Alle spüren eine große Freude. Nicht stolzgeschwellt, wir haben es noch nicht geschafft, denn an der langfristigen Situation der Musiker hat sich ja nichts geändert – 200.000 Euro institutionelle Förderung sind einfach wenig im internationalen Vergleich. Wir spüren aber die Freude und Verantwortung angesichts der Eröffnung, wir haben so viel Aufmerksamkeit und Begeisterung erlebt, und der Raum ist ein gigantisches Versprechen – das werden wir jetzt einlösen.“


Ensemble Resonanz-Kalender:
- Fr 16.01.2015, 21:00 Uhr, resonanzraum St. Pauli, urban string »arc en ciel« Benjamin Kobler (Piano), Richard von der Schulenburg (Electronics), Ensemble Resonanz »
- Di 27.01.2015, 20:00Uhr, Hamburg, Laeiszhalle, Kleiner Saal, resonanzen 3: »rausch« im Seelenrausch, zwischen Genie und Wahnsinn - mit Peter Veale
Weitere Konzerttermine
Film von Christian Striboll zur Eröffnung des Resonanzraums


Abbildungsnachweis:
Header: Resonanzraum. Foto: Jann Wilkens
Galerie:
01. Kampagnen-Plakat 2014
02. und 3. Resonanzraum im Bunker. Fotos: Jann Wilkens
04. Eröffnung des Resonanzraum. Foto: Christian Dörr
05-08. urban shine. Fotos: Jann Wilkens

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