Musik
Das helle Strahlen des Jacob Karlzon

Viele seiner Fans dürften Jacob Karlzon durch seine bewegenden Auftritte mit der Sängerin Viktoria Tolstoy kennen.
Oder durch seine Trio-Auftritte. Ob nun Pop, Rock oder Jazz – so genau nimmt es der 43-jährige schwedische Pianist mit den Genre-Grenzen nicht. Und tritt mit dieser Haltung in die Fußstapfen jenes Landmanns, der immer wieder im Vergleich mit ihm angeführt wird: Esbjörn Svensson. Natürlich ist der Vergleich vordergründig, aber es gibt tatsächlich Parallelen. Karlzon ist, wie seinerzeit Svensson, bevorzugt im Trio unterwegs und ist in einer am Pop orientierten Welt des Klangs zuhause. Der Jazz ist bei Karlzon eine Spielart, er löst sich von der Vorstellung eines klassischen akustischen Pianotrios.

Auf seiner neuen CD „Shine“ weicht der Pianist, wie schon auf den Vorgängeralben, vom spontan improvisierten, auf Interaktion basierenden Jazz-Modell ab. Karlzon hat sich Zeit für die Post-Produktion von „Shine“ genommen, hat mit den Möglichkeiten des Computers gearbeitet und am Klang gedreht. Aber da ist kontrastierend dazu z. B. auch die Soloversion eines Hits von U2 – als sensible, introvertierte Ballade eingespielt. Schon wiederholt hat Karlzon die Songs der Iren gecovert. Das Spektrum der Musik, das er jetzt präsentiert, reicht von populärer Song-Literatur über orientalische Melodien bis hin zu vielschichtigen Kompositionen, die an die Werke von Pat Metheny erinnern. Im Trio hat er eine personelle Veränderung vorgenommen. Statt Jonas Holgersson ist nun der junge Robert Mehmet Ikiz dabei, der auch in der der Funk-Unit von Nils Landgren trommelt. Das Strahlen hat Jacob Karlzon nicht nur im Gesicht, es zieht sich als eine Art „Leuchten“ durch sein Album – in changierenden Tönen, zwischen ganz hell und etwas dunkler.

Auch im Gespräch ist das helle Strahlen spürbar. Sarah Seidel traf Jacob Karlzon zum Interview in Hamburg.

Sarah Seidel (SS): Jacob, der Begriff »Strahlen« oder »Leuchten« kann unterschiedlich interpretiert werden. Was haben Sie gemeint, als sie Ihre CD so genannt haben?

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Jacob Karlzon (JK): Als ich angefangen habe für das Album zu schreiben, war meine Stimmung nicht unbedingt leicht und hell. Das musikalische Material schien mir eher düster und introvertiert zu sein. Aber im Prozess des Aufnehmens kam alles ganz anders heraus – es war das ganze Gegenteil. Mein Bestreben war es, Songs zu schreiben, die in der Struktur einfach sein sollten. Pop-Songs, keine Jazz-Kompositionen. Und als ich erkannt habe, dass es verschiedene Ebenen von Licht in diesen Stücken gab, suchte ich nach einem Namen, der das widerspiegelt und einen positiven Unterton hat. Ich würde die Hörer mit diesem Titel gerne positiv beeinflussen und sie selbst scheinen zu lassen, wenn sie die Musik auflegen. Ich mag mir gerne vorstellen, dass sie dazu tanzen, dass sie inspirierter sind, wenn sie diese Musik hören. Ich würde mich freuen, wenn meine Musik verschiedene Funktionen erfüllt.

SS: Hat der neue Schlagzeuger Robert Mehmet Ikiz eine neue Note mit in die Musik gebracht?

JK: Meine Musik hat sich in der letzten Zeit immer weiter von dem entfernt, was man als Jazz bezeichnet. Ich habe viele verschiedene musikalische Genres mit in meine Musik einfließen lassen – in meine Art zu schreiben, in meine Art zu spielen. Ich habe schon immer viele verschiedene Arten von Musik gehört. Jonas Holgersson, der Schlagzeuger, mit dem ich bisher gearbeitet habe, ist ein wunderbarer Musiker. Es ist gar nicht so einfach, so jemanden gehen zu lassen. Im besten Falle gibt es bei allen Musikern gleichermaßen eine Übereinkunft, in der man sich sagt, wir sitzen alle in einem Boot, wir gehen alle in dieselbe Richtung und wir haben alle dasselbe Ziel in der Musik. Als ich das erste Mal in Viktorias Band mit Robert gespielt habe, habe ich eine starke musikalische Verbindung zu ihm gespürt und gemerkt, dass meine Band genau das braucht. Das war eine neue Freiheit, weil wir ähnlich denken. Robert spielt außerdem Percussion-Instrumente, was die Klangmöglichkeiten innerhalb der Gruppe erweitert. Wir konnten für dieses Album auf eine ganz andere Art miteinander arbeiten.

SS: Werden Sie das, was wir hier auf der Platte hören, auch live umsetzen können?

JK: Mir war es tatsächlich wichtig, die Musik auch live umsetzen zu können, was leider auch etwas mehr organisatorischen Aufwand bedeutet. Die Musik soll aber organisch auf der Bühne spielbar sein. Mit allen vorbereiteten Computer-Loops und was sonst noch dazugehört. Es ist eine Frage der Klangästhetik, die man haben will, aber für mich ist das alles sehr inspirierend. Wir haben für diese Aufnahmen nicht viel länger im Studio zugebracht als sonst auch. Ich habe allerdings mehr Zeitaufwand für die Vor- und Nachbereitung in meinem Studio in Malmö verwendet. Wenn wir jetzt auf Tour gehen, müssen wir uns natürlich mehr mit der ganzen Elektronik beschäftigen, die wir mitnehmen.

SS: Welchen Einfluss haben die Aufnahmen von Pat Metheny für Ihre Musik? In mehreren Stücken auf diesem Album fühlt man sich an seine Aufnahmen erinnert.

JK: Ich bin unter anderem mit der Musik von Pat Metheny aufgewachsen und habe seine Musik auch gehört, als ich auf dem Musikkonservatorium war. Er hat viele Räume innerhalb der Musik geöffnet, insbesondere innerhalb der Jazz-verwandten Musik. In einem Rahmen, in dem sich alles überwiegend akustisch abspielt. Ich mag besonders auch das erste Soloalbum des Keyboarders Lyle Mays und habe definitiv sowohl einen Zugang zu seiner Musik als auch zu der von Pat Metheny. Ich bin aber auch ein Freund der Band U2 und der Art, wie „The Edge“ Gitarreneffekte einsetzt. Besonders gut kann man das auf ihrem Album „The Joshua Tree“ hören, von dem die Cover-Version stammt, die jetzt auf meinem eigenen Album „Shine“ gelandet ist. Man kann die verschiedenen Klangschichten, die ich hier herstelle, auch bei Bands wie „Coldplay“ finden. Die Musik bekommt eine größere Dimensionen und mehr Tiefe.

SS: Die einzelnen Instrumente sind natürlich weniger leicht zu identifizieren. Man hört nicht genau, welcher Instrumentalist hier welche Sounds kreiert.

JK: Es hat mir Spaß gemacht, diese Grenzen zwischen Elektronik und Akustik zu verwischen. Zuerst einmal ist es wichtig, dass jedes Instrument seinen unverrückbaren Platz in der Band hat. Aber ich habe hier viele verschiedene Facetten – wie in einem Bild, in dem man verschiedene Farbschattierungen sieht. Jeder einzelne Song hat bei mir einen anderen Farbeinschlag.

SS: Und das steht nicht im Gegensatz zu der Absicht, die Musik zu vereinfachen?

JK: In diesem Fall wollte ich andere Strukturen für die Songs entwickeln und ein Album produzieren, das in vielfacher Hinsicht einladend ist. Allerdings sollte die Einfachheit nicht um ihrer selbst willen geschaffen werden, genauso wenig wie die Komplexität um ihrer selbst willen geschaffen werden sollte. Für mich war es, wie ich schon sagte, wichtig, einen einladenden Rahmen für die Musik zu finden. Einfach, aber mit der größten Komplexität, die in diesem Rahmen erlaubt ist. Einige Songs erlauben Dir mehr Freiheit als andere. Und einfachere Songs erlauben Dir nun mal mehr Freiheit. Dann arbeitet man mit Dynamik und Farben, das ist eine Herausforderung. Manchmal tendieren Jazz-Pianisten dazu, ursprünglich einfache Strukturen zu kompliziert zu machen. Etwas zu sehr zu einem Jazz-Titel zu machen. Dann konzentriert man sich unheimlich darauf, den Song unter den komplizierten Strukturen noch wiederzufinden. Für mich war es eine Herausforderung, den U2-Song so simpel zu spielen wie U2 es tun und ihn zu meinem Song zu machen.

SS: Jedes Stück scheint eine Geschichte zu erzählen. Eine davon scheint im Orient zu spielen...

JK: Ich mag diese Art Bollywood-Groove und Bollywood-Streicher. Und ich mag diese orientalische Anmutung. Ich habe einige ältere Alben der wunderbaren Sängerin Natacha Atlas, die ägyptische Wurzeln hat. Ich finde es toll, wie unterschiedlichste Elemente in ihrer Musik zusammenfließen. Generell es ist doch so: manchmal hat man eine musikalische Idee, mit der man anfängt, und manchmal möchte man einfach ein bestimmtes Universum erschaffen. Das ist das Schöne am Komponieren und auch daran, Instrumentalmusik zu schreiben: Man kann immer daran denken, einen Soundtrack zu erfinden für eine Welt, die man entweder kennt oder die einem Interpretationsspielraum gibt. Hier kommt natürlich noch dazu, dass Robert Ikiz Wurzeln in Istanbul hat, und die Frau von unserem Bassisten Hans Andersson aus der Türkei stammt. Das ist schon ein starker orientalischer Einschlag. Das Stück „Metropolis“ ist natürlich zuerst einmal an den Film angelehnt, hat aber genauso Bezüge zu Istanbul, New York, zu Mexiko City und andere Orte, an denen ich schon war und die jeweils ein Schmelztiegel der Kulturen sind. Und auch da gibt es diese verschiedenen Ebenen: den ersten oberflächlichen Eindruck, und das, was darunter liegt.

SS: Das „In-Sich-Gekehrt-Sein“, von dem Sie eingangs sprachen: Ist das ein Aspekt Ihres Lebens im Moment?

JK: Wenn man in sich selbst hineinblickt und sich anguckt, wo man im Leben steht, dann kommen ganz automatisch bestimmte Gedanken auf. Aber wenn man zu tief in sich hineinblickt, dann kann das düsterer ausfallen, als es der Wirklichkeit entspricht. Aber dann ist da wiederum auch dieses Schimmern, das mich daran erinnert, dass da sehr viel Licht in dem ist, was ich mache. Das hat mich während des ganzen Prozesses bei den Aufnahmen begleitet.
Ich habe mir viele Gedanken über die verschiedenen Funktionen von Musik gemacht. Es ist leicht, sich von den großen Fragen fesseln zu lassen. Fragen wie: wie wichtig ist Musik, warum macht man Musik? Gerade, wenn man sich im Genre Jazz bewegt. Für die einen ist es eine Kunstform, für die anderen, Entertainment. Es gibt so viele verschiedene Aspekte. Und manchmal sitzt man da und denkt: „Wie spiele ich, wie schreibe ich, wie entwickle ich mich weiter?“ Dabei kann man sich ganz schön weit von den Hörern wegbewegen. Für mich war es wichtig, mir das alles einmal vor Augen zu führen und Schicht um Schicht weiter an das heranzukommen, was pur und essentiell ist. Und das zu kommunizieren. Es gibt so viele Dinge, die in unserer Gesellschaft passieren. Am laufenden Band. Ich bin immer noch ganz beeindruckt davon, was mal in einer schwedischen Wissenschaftssendung gesagt wurde. Da hieß es, dass die Menge an Informationen, die man vor hundert Jahren in einem Menschenleben angesammelt hat, heute innerhalb von drei Monaten auf uns einprasselt. Das hat mir zu denken gegeben. Und auch der Umstand, dass Musik und Kunst eine Oase sein können. Ich als Künstler bin oft ruhelos und möchte immer mehr über Dinge erfahren, möchte mehr über mich selbst erfahren. Gleichzeitig möchte ich meine Plattform als Künstler dazu nutzen, die Gesellschaft zu spiegeln. Dinge, die ich mag, und solche, die ich nicht mag. Ein Konzert zu spielen und die Atmosphäre im Raum zu spüren – das geht für mich noch weiter als die Kunst und die Musik. Das bringt mich mit dem Publikum zusammen, es lässt die Grenzen zwischen Bühne und Publikum verschwinden und mich gut fühlen; das ist etwas sehr Menschliches und eine der schönsten Erfahrungen, die man machen kann.


Im Oktober kommen die „Jacob Karlzon 3“ mit dem Programm der neuen CD „Shine“ nach Deutschland. Im Rahmen der Karsten Jahnke-Jazz Nights in einem Doppelkonzert mit dem Quartett des französischen Schlagzeugers und Perkussionisten Manu Katché.


Unter diesem Link gibt es Videomaterial zum Album
JACOB KARLZON 3 – Shine
Label: ACT / LC: 07644
Bestell-Nr.: ACT 9573-2

Tourdaten:
17.10.14: Glocke, Bremen
20.10.14: Tonhalle, Düsseldorf
25.10.14, Konzerthaus, Dortmund
27.10.14: Kammermusiksaal, Berlin
30.10.14: Laeiszhalle, Hamburg

Jacob Karlzon 3 (ohne Manu Katché):
08.11.14: Sound Lake City, Münster
15.11.14: Jazzfestival, Göttingen
06.03.15: Konzerthaus, Herdecke


Abbildungsnachweis:
Header: Jacob Karlzon. Foto: Olaf Heine
Galerie:
01. CD-Cover Shine
02. Manu Katché und Jacob Karlzon Flyer Jazz Nights. (c) Konzertdirektion Karsten Jahnke
03. Plakat für Tourkonzert in Düsseldorf. (c) Konzertdirektion Karsten Jahnke.