Festivals, Medien & TV
55. Nordischen Filmtage in Lübeck – ein Resümee

Geschafft! Nach vier Tagen mit 163 Filmen aus Skandinavien, dem Baltikum und Norddeutschland sind die 55. Nordischen Filmtage am 3. November 2013 zu Ende gegangen.
Ein Mammutprogramm, das selbst eingefleischten Cineasten viel Sitzvermögen abverlangte. Das spannende, vielfältige Programm aus Kurz- und Spielfilmen, Dokumentationen, Retrospektiven, Kinder- und Jugendfilmen sowie Specials und Filmen des Filmforums lockte dieses Jahr rund 28.000 begeisterte Besucher in die Kinos. Eine neue Attraktion war der Lübecker Beschwerdechor, in dem sich Bürger und Bürgerinnen den Frust über ihre Heimatstadt von der Seele sangen.
Wie immer ging es auch bei dem diesjährigen Festival um einen der acht begehrten Filmpreise, die am 2. November 2013 bei der Filmpreisnachtgala vergeben wurden.

Bereits der Eröffnungsfilm des isländischen Regisseurs Benedikt Erlingsson „Von Pferden und Menschen" überrascht und macht neugierig auf das Festivalprogramm. Vor dem Hintergrund der grandiosen isländischen Landschaft, erzählt Erlingssons Film vom Leben der Menschen auf dem Lande. Fünf, teilweise skurrile Episoden verbindet er zu einem dynamischen, humorvollen Film, der von der engen Beziehung zwischen Pferden und Menschen erzählt. Im Fokus stehen natürlich die Islandpferde mit ihrer Schönheit und Vitalität. Daneben porträtiert er subtil die rauen, kantigen Charaktere der Bewohner. Liebe, Leidenschaft, Alkohol und Tod spielen dabei eine tragische Rolle.

Galerie - Bitte Bild klicken
Es ist Frühling. Der verliebte Junggeselle Kolbeinn besucht auf seiner Stute Grána die Witwe Solveig. Sein Ausritt wird von den Nachbarn der umliegenden Gehöfte neugierig mit dem Fernglas beobachtet. Auf dem Heimweg wird seine rossige Stute von Solveigs Zuchthengst Brúnn gedeckt, der sich aus seinem Gatter befreite. Enttäuscht über die Treulosigkeit seiner geliebten Stute, tötet Kolbeinn das Tier. Solveig kastriert ihren Hengst. Vernhardur dagegen liebt Wodka. Als ein russischer Fisch-Trawler vorbeifährt, stürzt er sich mit seinem Pferd in die Fluten des Meeres, schwimmt zu dem Schiff und kauft -wie er meint- Wodka. Die Warnung der Besatzung „no wodka, strong alcohol" überhört er. Bereits auf dem Heimritt fängt er an zu trinken. Er stürzt vom Pferd und ist sofort tot. Fazit: In der Gemeinschaft gibt es eine weitere Witwe. Grimur will zwei Pferde von Egills Koppel stehlen. Beim Durchschneiden des Stacheldrahtes mit einer Kneifzange verletzt er sich an den Augen. Egill beobachtet den Diebstahl durch das Fernglas. Er fährt mit seinem Traktor zur Weide, stürzt aber unterwegs einen Abhang hinunter und stirbt. Fazit: In der Gemeinschaft gibt es noch eine Witwe. Johannas Stute Raudka liebt ihre Freiheit über alles und büxt von der Farm aus. Die junge Frau macht sich auf die Suche nach ihrem Pferd, dabei findet sie Grimur in einer Hütte. Sie bringt die Pferde und den Verletzten wohlbehalten nach Hause. Juan Camillo, ein junger Fahrradtourist aus Lateinamerika, verliebt sich in Johanna. Er nimmt an einem Reitausflug teil. Da er nicht reiten kann, verliert er den Anschluss an die Gruppe. Eine kalte Nacht bricht herein; es fängt an zu schneien. In seiner Verzweiflung tötet er das Tier, weidet es aus und verkriecht sich im Bauch des Pferdes. Am nächsten Morgen wird der junge Mann noch lebend geborgen.

Der Film endet im Herbst. Die Dorfgemeinschaft trifft sich zum gemeinsamen Treiben der Wildpferde in die heimatlichen Koppeln. Zur Gruppe gehören auch die drei verwitweten Frauen. Solveig registriert eifersüchtig das Interesse der beiden anderen Witwen an Kolbeinn. Kurz entschlossen macht sie Nägel mit Köpfen und verführt Kolbeinn auf einer wild-romantischen Wiese. Sehr zum Ärger der anderen Damen, welche diese Affaire durch das Fernglas beobachten.

„Von Pferden und Menschen" ist ein wunderbarer, einfühlsamer Film mit hervorragenden Schauspielern. Die Protagonisten Charlotte Bøving und Ingvar E. Sigurdsson brillieren in ihren Rollen als Solveig und Kolbeinn. Der Spielfilm ist eine Hommage des isländischen Regisseurs an seine Heimat, die Landschaft und Pferde sowie seine Menschen. Schade, dass dieses Filmprojekt keinen Preis bekommen hat.

Um den mit 12.500 Euro dotierten NDR-Filmpreis konkurrierten dieses Jahr 16 Spielfilme aus Skandinavien, Island und Estland. Den begehrten Preis müssen sich laut Entscheidung der Jury zwei Gewinner teilen: der norwegische Film „Ich bin Dein", Regie Iram Haq, und der dänische Film „Der Nordwesten", in der Regie von Michael Noer. „Ich bin Dein" erzählt die Geschichte einer jungen Frau in Oslo mit pakistanischen Wurzeln. Mina, eine erfolglose Schauspielerin, lebt mit ihrem kleinen Sohn Felix getrennt von ihrem pakistanischen Ehemann, einem erfolgreichen Architekten. Zerrissen zwischen der Liebe zu Felix, den Traditionen ihrer pakistanischen Familie und zahllosen sexuellen Abenteuern scheitert sie an ihrem Leben. In der Begründung der Jury heißt es: „Der Debütfilm 'Ich bin Dein' ist eine hochemotional erzählte Geschichte mit überraschenden Wendungen, die uns einen Einblick in das Leben einer auf sich selbst gestellten Mutter gibt."

„Der Nordwesten" ist dagegen ein sozialkritischer, spannend und realistisch inszenierter Kriminalplot, der im Kopenhagener Immigrantenviertel Nordwest spielt. Casper und sein Bruder Andy, zwei jugendliche Kleinkriminelle, verdienen ihren Lebensunterhalt mit Diebstählen und Einbrüchen. Sie gehören zur Bande des Hehlers Jamal. Als Casper sich dem Dealer und Zuhälter Bjørn anschließt, rutscht er in ein Milieu von Brutalität, Erpressung, Mord und Totschlag. Sein Wechsel löst einen Bandenkrieg im Viertel aus. Er gerät zwischen alle Fronten und bringt dadurch seinen Bruder Andy sowie sich selbst in Lebensgefahr. Der Spielfilm von Michael Noer besteche durch eine herausragende Regie und die grandiose darstellerische Leistung der beiden jungen Hauptdarsteller, urteilt die Jury.
Alle weiteren Filmpreise stehen auf der Homepage der Nordischen Filmtage.

Für Liebhaber deutscher Filme, präsentierte der NDR, Medienpartner der Nordischen Filmtage, acht neue Produktionen: „Sputnik", „Banklady", „Césars Grill", „Einmal Hans mit scharfer Soße", „Vom Fischer und seiner Frau", „Max Beckmann - Der Maler" sowie der Krimi aus Rostock „Polizeiruf 110" und eine neue Folge von „Der Tatortreiniger". Informative, spannende aber auch humorvolle Filme aus den Sparten Komödie, Märchen, Krimi, Drama und Dokumentation sowie Comedy.

Abschließend eine Anmerkung zu dem Lübecker Beschwerdechor, den ich thematisch als deplatziert bei den Filmtagen empfand. Die Idee des Beschwerdechors stammt aus Finnland und ist in vielen Städten rund um den Globus imitiert worden. So auch in Lübeck. Aber, muss man alles nachahmen und einen Chor in das Filmfestival integrieren?

Die 55. Nordischen Filmtage Lübeck überraschten mit einem facettenreichen Programm aus allen Filmsektionen. Mit 163 Filmen war das Angebot riesig. Der Besucher hatte – wie immer – die Qual der Wahl. Ein kleiner Trost für alle, die einen Film verpasst haben. Ab Anfang 2014 werden viele Produktionen im Kino oder Fernsehen gezeigt. Im nächsten Jahr heißt es dann „Willkommen zu den 56. Nordischen Filmtagen Lübeck".


www.filmtage.luebeck.de

Abbildungsnachweis:
Header: Still aus Hross í oss (Von Pferden und Menschen). Regisseur: Benedikt Erlingsson
Galerie:
01. Zeitloses Logo Nordische Filmtage
02. Still aus Jeg er din (Ich bin Dein). Regisseurin: Iram Haq
03. Still aus Der Nordwesten. Regisseur: Michael Noer
04. Max Beckmann - Der Maler. Regisseur: Michael Trabitzsch (c) Arte TV
05. Polizeiruf 110: Liebeswahn. Regisseur: Thomas Stiller (c) NDR

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.