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23. Filmfest Emden-Norderney: Drehbuchpreis für „Freistatt“ |
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Geschrieben von: Claus Friede - Sonntag, den 10. Juni 2012 um 06:18 Uhr |
23. Filmfest Emden-Norderney: Drehbuchpreis für „Freistatt“
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![]() „Ein Drehbuch ist eine Möglichkeitswelt“. Mit diesen Worten begann Autor, Fernsehkritiker und Jurymitglied des Emder Drehbuchpreises 2012, Torsten Körner, die Gewinnerlaudatio. Für Nicole Armbruster und Marc Brummund, die mit „Freistatt“ den diesjährigen Drehbuchpreis gewonnen haben, eröffnet sich dadurch und die Dotierung von 10.000 Euro ebenso eine Möglichkeitswelt, denn das Drehbuch hat nun noch bessere Chancen zum Film zu werden. „Freitstatt“ ist eine kleine Gemeinde bei Diepholz in Niedersachen, vom Wietingsmoor umgeben. Klingt nach einem Ort, an dem sich Fuchs und Hase „gute Nacht“ sagen. Friedrich von Bodelschwingh gründete im Jahr 1899 als Betheler Zweiganstalt eine Heimstätte für sozial benachteiligte Personen und schwer erziehbare Jugendliche. Die arbeiteten im Moor und stachen Torf. Zustände und Erziehungsmethoden waren immer wieder Gegenstand von Diskussionen, Auseinandersetzungen und Untersuchungen. „Endstation Freistatt“ hieß es lange Zeit oder schlimmer „Freistatt ist der Vorhof zur Hölle“. Generationen von Jugendlichen quälten sich dort und die Aufarbeitung dessen, was jahrzehntelang dort geschah hat begonnen. Das Buch des Spiegel-Autor Peter Wensierski „Schläge im Namen des Herrn“ (2006) hat sicherlich auch zur Reflexion in „Freistatt“ beigetragen. Drehbuchautor und Regisseur Marc Brummond („Land gewinnen“, „Heim“) stammt aus Diepholz und kennt die Gegend gut. Viele Jahre hat er recherchiert, die Jugendanstalt und deren Gebäude besucht und das Leben von „Fürsorgezöglinge“ untersucht. In dem Heimmilieu soll der Film einmal angesiedelt sein und das Leben des jugendlichen Hauptprotagonisten erzählen: Ein Junge wird von seinem Stiefvater ins Heim abgeschoben. Dort ist er Sadismus und Willkür ausgesetzt. Als er Jahre später entlassen wird, passt er nicht mehr in die Gesellschaft. Es geht folgerichtig um Gewalt, Machtspiele und Hierarchien, um Verrohung und dem Scheitern von Eltern, Erziehern und Erziehungsmethoden. „Dieses Drehbuch wirft Fragen auf, die auch die Jury in besonderem Maße zur fragend-suchenden Auseinandersetzung gezwungen haben“, sagt Körner und stellt diese dann auch: „Aus wie vielen Farben besteht die Wirklichkeit? Wie weit darf die historische Empathie mit Opfern getrieben werden, ohne dabei die Perspektive der Täter aus dem Auge zu verlieren? Wie zeigt man Gewalt, ohne sich selber von der Gewaltdarstellung verführen zu lassen?“ Dass der Film keine leichte Unterhaltung werden kann ist offensichtlich, aber um das Drehbuch umzusetzen muss das Ergebnis kantig, spröde und unbequem bleiben. Es darf weder zu viel erzählen, noch sezierend pathologisch werden. „Die Unbequemlichkeit als Qualität erhalten, ohne zur Pose zu erstarren“, endet der Laudator. ![]() Zwei zweite Preise gingen, zu je 1.000 Euro Nominierungspreisgeld, an das Drama „Annegrets Heimkehr“ von Rebekka Wulff sowie an die Komödie „Palmen im Pott“ von Elmar Freels. "Annegrets Heimkehr" reflektiert in einer Rückblende das Schicksal einer Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Island eine neue Heimat finden möchte. "Palmen im Pott" erzählt die Geschichte der unbeugsamen Beate, die sich bodenständig als letzte Deutsche in Duisburg-Marxloh gegen ihre türkischstämmigen Nachbarn durchzusetzen versucht. Mitglieder der Jury waren in diesem Jahr: Vorsitzender Ulrich Spieß (Adolf-Grimme-Institut), Brigitte M. Bertele (Regisseurin, Drehbuchautorin), Torsten Körner, der Drehbuchautor und Dozent Daniel Speck und die Schauspielerin Ulrike C. Tscharre. Fotonachweis: Header: Die Preisträger. v.l.n.r.: Nicole Armbruster, Marc Brummond. Foto: Gabi Marks. Im Text: Drehbuchpreis, gestiftet von der Seehafenspedition Jakob Weets |
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Befremdlich allerdings das, was Herr Körner da in seiner Laudatio von sich gibt: "Wie weit darf die historische Empathie mit Opfern getrieben werden, ohne dabei die Perspektive der Täter aus dem Auge zu verlieren? Wie zeigt man Gewalt, ohne sich selber von der Gewaltdarstellung verführen zu lassen?“
Ist das etwa einer, der die Perspektive der Täter sucht und sich von Gewaltdarstellungen verführen lässt?
Das war hoffentlich nicht die Intention der Filmemacher.
Ich werde mir "Freistatt" auf jeden Fall ansehen.
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick
zur Richtigstellung: Es handlt sich bislang erst um ein Drehbuch, das noch verfilmt werden möchte.
Außerdem glaube ich, dass Sie Herr Körner gründlich missverstehen, wenn sie glauben, er suche die Sicht der Täter solitär. Ihm ging es meines Erachtens darum, beide Seiten zu erkennen und nicht ausschließlich nur einer Partei zu erliegen. Gewaltdarstellungen im Film haben nämlich häufig nichts mit den tatsächlichen Opfern zu tun, sondern existieren ihrer selbst Willen.
So verstanden wird ein Schuh daraus sowie mit einer notwendigen Sensibilität aller Beteiligten gegenüber.
(Vgl. mein neuer Beitrag "Schuld sind immer die Anderen", ebenfalls bei Kultur-Port.)
Mit besten Grüßen nach Berlin,
Claus Friede
Die Preisverleihung alleine bringt ja schon Aufmerksamkeit für das Thema.
Aber:
Sollen Artikel und Laudatio sicherstellen, daß es nicht "allzu" kritisch gesehen wird?
"Generationen von Jugendlichen quälten sich dort"
Haben diese Jugendlichen sich selbst gequält?
"Wie weit darf die historische Empathie mit Opfern getrieben werden, ohne dabei die Perspektive der Täter aus dem Auge zu verlieren? "
Es ist zu Recht i.d.R. nicht die Perspektive der Täter, die man (zu Lasten der Empathie mit den Opfern!) nicht aus den Augen zu verlieren versucht, sondern die unbeteiligte Perspektive.
Auch halte ich es für eine äußerst fragwürdige Wertung, daß statt von akribischer Aufarbeitung oder tiefgehender Analyse, die in einem Spielfilm womöglich tatsächlich fehl am Platze sind, von "sezierend pathologisch" gesprochen wird.
Trotzdem vielen Dank für den Bericht.