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In Beethovens Welt. Die 73. Sommerlichen Musiktage in Hitzacker

Eigentlich sollte es all das Beiwerk nicht brauchen. All den Tanz, den Jazzklang, die Improvisation, die Lectures, die Kompositionslabore, die Landscapes des Festival-Walks.
Nein, eigentlich sind sie sich selbst genug, die 17 Streichquartette Ludwig van Beethovens, sein Klaviertrios, die Violinen- und die Cello-Sonaten, Kammerorchester-Stücke, Lieder und Symphonien. Und tatsächlich: es braucht das alles nicht. Jeder Ton, der bei den 73. Sommerlichen Musiktagen Hitzacker (SMH) erklingt, bestätigt das. Das Beiwerk ist sozusagen das Ausrufezeichen, das der Intendant der SMH, der Violinist, Gründungsmitglied des „Kuss Quartetts“ und Professor Oliver Wille, dem Motto kurz und knapp gegeben hat: „Beethoven!“

Was Oliver Wille mit dem dritten vom ihm verantworteten Programm in das flussaufwärts von Hamburg an der austrocknenden Elbe gelegenen Städtchen Hitzacker im niedersächsischen Gorleben-Landkreis Lüchow-Dannenberg bringt, das ist bemerkenswert! Mehr noch: es verzaubert. Und all das, was sich um die Musik, zuvörderst die 17 Streichquartette rankt, spielt eine ambivalente Rolle – es wirft neues Licht auf Beethovens Musik – und es kann von ihr ablenken. Davon ist noch zu berichten.

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Viel wichtiger aber ist: Willes Programm ist mutig. Alle 17 Quartette des in Bonn geborenen Wiener Klassikers in nur neun Tagen? Das mutet dem Publikum etwas zu. Aber es ist auch eine seltene Chance. Wo sonst ist Gelegenheit, diesen Kern der Beethoven‘schen Musik konzentriert zu erleben. Das „Kuss Quartett“ bestreitet in Hitzacker den Löwenanteil der Aufführungen, zum Beginn gab es fulminante Interpretationen des ersten und des letzten der Beethoven‘schen Quartette. Am letzten Festivaltag wird sich der Kreis, der mit dem F-Dur Quartett (Op. 18 Nr.1) und dem 28 Jahre älteren Werk in gleicher Tonart (OP. 135) öffnete zum Festivalbeginn öffnete, mit der Großen Fuge schließen – Oliver Willes Dramaturgie ist nicht nur darin schlüssig durchdacht.

Zum letzten Quartett Beethovens tanzte zum Beginn des Festivals Yui Kawaguchi eine Choreografie der Berlinerin Nicola Hümpel, die mit ihrer „Compagnie Nico and the Navigators“ schon lange der Frage nachgeht, wie sich klassische absolute Musik in getanzte Körperzustände umsetzt. Was als Projekt für die Sommerlichen begann, hat sich zu einer Zusammenarbeit von Quartett und Compagnie ausgeweitet, die unter dem Titel „Force and Freedom“ alle sechs späten Beethoven-Quartette zum Gegenstand hat. 2020 ist Premiere in Dortmund, im 250. Geburtsjahr des Komponisten. Oliver Willes SMH-Beethoven-Programm ist der Zeit also voraus.

Dort gelingt das Experiment, abstrakte Musik dem konkreten Bühnengeschehen eines Musiktheaters anzunähern.
Yui Kawaguchi, tanzt nuanciert, ihr Gesten und Bewegungen doppeln die die Linien der Musik doppeln. Und die Choreografie überträgt die Musik und ihre Affekte nicht in konkrete Bilder: Tanz als fünfte Stimme, in der es um dasselbe wie in der Musik geht, um Energiezustände, Affektfelder, Gefühlskonzentrationen. Auch eine Antwort auf die gerade von Künstler Neo Rauch in Bayreuth gestellte Frage nach der Energie der Musik. Die aber als absolute des Tanzes nicht bedarf, die so spannungsgeladene wie sublime Interpretation des „Kuss Quartetts“ wäre auch ohne Tanz elektrisierend gewesen.

Wie es das Eintauchen der Kuss-Musiker in die Welt Beethovens auch ohne Improvisationen wäre, wie sie Aufführung des Harfen-Quartetts (Op. 74) in der Salon-Reihe des Festivals begleitete. Oder ohne die ‚Lectures‘ des Dortmunder Musikwissenschaftlers Dr. Michael Stegemann zu den Rasumowsky-Quartetten in der heuer Quartett-Lupe genannten Hörer-Akademie, die schon seit eineinhalb Jahrzehnten Fixpunkt im Programm ist. Das „Kuss Quartett“ ist tief in der Beethoven‘schen Welt zu Hause, findet für jedes der Werke, einen eigenen Tonfall, einen eigenen Affekt, realisiert jede Geste so präzise wie gelassen. Es entstehen durch die schnelle Folge der Quartette Überlagerungen, Verschmelzungen, Überschreibungen. Dieses Des-Dur im Kopfsatz des Serioso (Op. 95), war das nicht schon im ersten Opus der 59er-Reihe zu hören?

Die Konzentration schafft einen neuer Blick auf diese Welt. Warum also ‚Lecture‘, ‚Landscape‘ und Tanz? Werfen sie neues Licht auf die Musik? Doch ja, das tun sie. Aber: man hört anders, auch wenn man eine fünfte Stimme sieht. Man hört anders im Kontext einer Konzert-‚Lecture‘ oder in der Abendstille an einem Waldsee. Und das könnte die Crux des Programms mit dem Ausrufezeichen sein, dass es immer auch einlädt, der Zumutung des reinen Hörens zu entkommen. Andererseits empfiehlt sich Gelassenheit, denn die Musik braucht nicht das Beiwerk, dieses aber eindeutig die Musik. Hitzacker belegt auch das. Die Große Fuge im Schlusskonzert wird Musik pur sein. Fazit und Hinweis auf das, worum es geht.

Beiwerk auch die Festivalreise, die in der Abendstille endete. Für die hatte Oliver Wille die sechs frühen Quartette des Opus 18 ausgewählt und vier Quartetten aus seiner Klasse in Hannover anvertraut. Mit „Ludwig on Tour“ ging es am Sonntag durch den Norden des Landkreises, von einer Kirche an den Waldsee des anthroposophischen Michaelshof im Dörfchen Sammatz, fast schon im Kreis Lüneburg. Unter den vier jungen Quartetten ist das aus der Türkei kommende „Karsiyaka Municipiality Saygun Quartet“, es wählt für das G-Dur-Quartett Beethoven (Op.18 Nr.2) einen Tonfall von feinstofflicher Transparenz, von verinnerlichter Abtastung. Worunter die Dramatik des Schlusssatzes oder des Allegro des zweiten genau sowenig leiden müssen wie die unprätentiös zur Geltung gebrachte Kantabilität von dessen Adagio. Wie ein Hauch überzieht diese Musik zart die Welt im Abendlicht.
Für so eine Musikreise sind die frühen Quartette eine gute Wahl, sind sie doch noch nah an denen Haydns, denen aber allzu oft interpretatorisch Leichtigkeit und Hochgestimmtheit interpretatorisch angedichtet werden und die, wie die Beethoven‘schen Erstlinge des Genres, erforschend gespielt, auf einmal ihre motivischen Komplexität und affektive Vielschichtigkeit frei geben.

Am blumenumrahmten, baumumstandenen Waldsee kommt noch etwas dazu, Elena Rallis „ALSB2... always leave something behind_2“. Umrahmt von zwei Sätzen des B-Dur-Quartetts greift Rallis Musik aus langsam sich entwickelnden, fast statischen Flächenklängen, die ein reich instrumentiertes Ensemble (die Besetzung reicht von gestimmten Wassergläsern über Flöte, Violoncello bis zum Akkordeon) auf Bootssteg und Bühnenponton stehend spielt, den Affekt der Beethoven-Sätzen auf, schreibt ihn in die Gegenwart. Die aus Griechenland stammende Elena Ralli ist eine von neun jungen Komponistinnen und Komponisten aus Deutschland, Griechenland und Israel des Projekts „Labor Beethoven 2020“ der Berliner Akademie der Künste, das bei den Sommerlichen Musiktagen sein Debüt gibt. Über das Festival verteilt, mal in einem der großen Konzerte, mal in einem der kleinen Reihe der ‚Preconcerts‘ mischen sich ihre Uraufführungen ein. „Beethoven bringt etwas, das wir sehr gut kennen, und schafft eine neue Vision davon, eine die uns denken lässt, dass wir es zum allerersten Mal hören“, sagt der Israeli Ari Rabenu über Beethovens Musik und ihr Potenzial für die Gegenwart.

Das ist auch die Absicht des „stegreif.orchesters“. Es spielt vor ausverkauftem Haus, und Beethoven (sowie Brahms‘) Symphonik ist ihm, was weiland Charlie Haden Liberation Orchestra das kubanische Che Guevara-Lied „Hast la siempre“ gewesen ist: Material für etwas Eigenes. Das kommt gut, das nicht unbedingt junge Publikum lässt sich sogar zum aus Beethovens Fünfter entwickeltem Salsa hinreißen, ist – um szenische Elemente angereichert – überaus unterhaltsam und swingt. Aber Beethoven? Na ja, Nike Wagner, Intendantin des Bonner Beethoven-Festes, hatte bei ihrem Festivalgruß in Hitzacker am Eröffnungstag davon gesprochen, wie ihr Urgroßvater Richard Beethovens Symphonik als verkappte Dramen und damit als unmittelbare Vorläufer seines, also Wagners, Musikdramas deutete: „produktive Umformung“. Ja, Beethoven ist irgendwie auch Jazz und Rock und Pop und Salsa.

Den Gegenpol zur Berliner Freiheit von „stegreif“ bildet ein Konzert des Kopenhagener „Trio con Brios“, es zeigt unter Rückgriff auf ein Trio des Dänen Per Nørgård einmal mehr auf, um was es bei Beethoven Musik (und nicht nur bei seiner) geht: die Umformung von Energiezuständen. Ein weiterer dänischer Gast war die Sopranistin Camilla Tilling, von Gustav Rivinius begleitet ging sie auf Reisen in die Affektwelten Beethovens Lieder – und gab ihnen Musik zweier Landsleute, Mahlers und Schönbergs als Begleiter zur Seite.

73. Sommerlichen Musiktage Hitzacker

bis 5. August 2018
Weitere Informationen und Programm


Abbildungsnachweis:
Alle Fotos: Thomas Janssen

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