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Uri Avnery: „Israel im arabischen Frühling“

Wer ernsthaft um Frieden ringt, sei stets unser Gast.
In diesem Fall geht es um den Friedensprozess zwischen Israel und Palästina. Jahrzehntelang hat sich Uri Avnery, geboren am 10. September 1923 in Deutschland – er emigrierte 1933 nach Palästina – als israelischer Journalist und Schriftsteller in diesem Prozess engagiert. Er war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Parlamentsabgeordneter in der Knesset. An der Seite Palästinas steht er gegen die israelische Besatzung. Seine Friedensorganisation „Gush Shalom”, („Block des Friedens”), besteht aus Palästinensern und Israelis, die gemeinsam endlich Frieden wollen im Nahen Osten. In eigenen Zeitungen und Zeitschriften deckte er politische Skandale in Israel auf und geißelte die Rechte mit scharfen und polemischen Artikeln.

Im vergangenen Jahr wurde er neunzig. Respekt also vor einem Mann, der ein Leben lang für die Freiheit des palästinensischen Volkes gekämpft hat, stets wach und klug, ausgestattet mit einem erheblichen Teil von Altersweisheiten, unbeugsam und streitbar – ein Botschafter Israels. Als engagierter Vertreter der Trennung von Staat und Religion und für einen säkularen Staat widersetzt er sich dem orthodoxen Einfluss auf die Politik in Israel. Er verfasste zahlreiche Bücher und erhielt mehrere Auszeichnungen. 2013 erschien sein jüngstes Buch: „Israel im arabischen Frühling. Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“.

Das Buch hat 292 Seiten und enthält 38 Essays. Geschrieben im Verlaufe des Jahres 2012. Darin greift er aus dem aktuellen Geschehen einzelne Tatsachen heraus, kommentiert sie und weitet den Inhalt aus zu grundlegenden politischen und gesellschaftskritischen Aussagen. Er entwickelt seine Gedanken sozusagen vor den Augen der Leser. Die Essays zeichnen sich aus durch gute Lesbarkeit und Tiefgründigkeit.

Im „Sturm über Hebron“, dem ersten Beitrag, nimmt er organisierte Besuche von Schulkindern in der Höhle von Machpela, in der die Patriarchen begraben sein sollen, zum Anlass, über die Stadt Hebron, ein Symbol der Brüderlichkeit und der Versöhnung, zu berichten. Er schreibt von Abraham, „dem gemeinsamen Vorfahren sowohl der Hebräer als auch der Araber“. Aber der Patriarch der Araber Ismael und der Patriarch der Juden Isaak waren Feinde. Als ihr Vater Abraham starb, „kamen sie jedoch zusammen, um ihn zu begraben.“ Und zwar in eben der Höhle Machpela. Bis 1929 lebte in Hebron „eine kleine jüdische Gemeinde, friedlich und in vollkommener Harmonie mit den muslimischen Bewohnern der Stadt.“ Verursacht durch jüdische Fanatiker, die versuchten, den zerbrechlichen Status quo an der Klagemauer zu verändern, brachen überall im Land religiöse Aufstände aus. „In Hebron massakrierten Muslime 59 Juden.“ Der Autor verweist auf die weniger bekannte Tatsache, dass 263 Juden von ihren arabischen Nachbarn gerettet worden seien. Das Morden ging im Sechstagekrieg 1967 weiter. Seitdem gebe es endlose Schwierigkeiten zwischen den etwa 500 jüdischen Siedlern und den 165.000 arabischen Einwohnern. Uri Avnery zieht letztendlich den Schluss, welch ein wunderbarer Ort Hebron für den Besuch von Kindern sei, „wenn gegenseitige Toleranz herrschte und es keine Fanatiker auf beiden Seiten gäbe.“

So oder ähnlich verfährt der Autor auch in den anderen Essays. Stets nimmt er die Politik Israels aufs Korn wie auch die Politik der USA. Im Mittelpunkt stehen der Krieg zwischen Israel und Palästina, der vermeintlich geplante Krieg gegen den Iran, die sozialen Proteste, die religiösen Spannungen und die hinter allem stehenden Ideologien.

Im Beitrag „Das Starke und das Süße“, geschrieben am 1. Dezember 2012, drückt der Autor seine Freude darüber aus, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit „für die – wenn auch begrenzte – Anerkennung des Staates Palästina gestimmt“ habe. Er erinnert an das Jahr 1949, als Palästina von der Landkarte verschwunden war. „78% des Landes waren Israel geworden, die übrigen 23 % teilten sich Jordanien und Ägypten. Die bloße Existenz eines palästinensischen Volkes wurde … vehement geleugnet,...“ Im gleichen Text warnt der Autor auf Seite 275 vor der Likud-Beitenu-Partei (es handelt sich um die konservative Likud-Partei des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu und die ultrarechte Partei Israel Beitenu, „Unser Haus Israel“, von Außenminister Lieberman, Anmerkung des Autors), die in der nächsten Knesset „ganz und gar aus rechten Extremisten bestehen (wird), darunter einige ausgesprochene Faschisten...“

Bewundernswert ist der Optimismus des Autors. „Wenn man nicht an die Möglichkeit einer besseren Welt… glaubt,“ so formuliert er auf Seite 46, „kann man nicht dafür kämpfen.“ Und er kämpft. Fordert, soziale Proteste zu politischen zu machen. Klagt darüber, dass Frieden in Israel ein verachtetes Wort sei. Plädiert mit Ausdauer für eine „Zwei-Staaten-Lösung“. Entlarvt die menschenverachtende Ideologie der Herrschenden, so u. a das unkritische Zitieren der Haggadah, eines jüdischen Textes, der das Unterbewusstsein und das kollektive Verhalten und die israelische Nationalpolitik stark beeinflussen würde. Wörtlich auf Seite 33: „Besonders in den religiösen Schulen im heutigen Israel nehmen Lehrer und Schüler das Gebot, Völkermord an der nicht-jüdischen Bevölkerung Palästinas zu begehen, ziemlich wörtlich.“ Der Zionismus sei in den Status einer Staatsideologie, wenn nicht gar zu einer Staatsreligion erhoben worden, so der Autor auf Seite 144.

Einer politisch-ökonomischen Ursachenfindung kommt der Autor sehr nahe, wenn er feststellt, dass „unser politisches System … jede Veränderung unmöglich (macht). Der Griff der religiösen Parteien ist so fest wie eh und je.“

Trotz dieser Erkenntnis hält Uri Avnery an seinem Glauben fest: Die verjüngte arabische Welt mit gemäßigten islamischen Kräften möge einem israelisch-arabischen Frieden günstig sein. Ein anderes, liberales und demokratisches Israel, ein Israel der Gleichheit aller seiner Bürger, ein Israel, das Frieden herstellen und einen palästinensischen Staat anerkennen will solle entstehen. Auf Seite 20: Der Staat Israel müsse von der Religion getrennt und eine neue Sozialordnung errichtet werden. Auf den Seiten 89/90 unterbreitet der Autor dazu vier konkrete Vorschläge. Sein Ruf „Israel muss mit der Hamas sprechen. Direkt. Von Angesicht zu Angesicht“, mag nicht ungehört verhallen.

Hoffte Uri Avnery seit Beginn der Serie von sozialen Protesten, Aufständen und Revolutionen im Jahre 2010 auch auf einen „Arabischen Frühling“ für Israel, so muss er auf Seite 230 resignierend feststellen: Er hätte ein neuer Anfang für den Frieden im Nahen Osten werden können, wurde aber vergeudet. „Die arabische Friedensinitiative, die seit Jahren auf dem Tisch liegt, liegt dort immer noch – wie eine verwelkte Blume.“

Die Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient des Uri Avnery verdeutlichen an Hand von aktuellen Ereignissen des Jahres 2012 sehr anschaulich die verschiedenen Aspekte des Kampfes gegen die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik Israels. Sie ersetzen allerdings nicht zusammenhängende Darstellungen der Politik Israels gegenüber Palästina und auch nicht vertiefende Informationen über die verschiedenen religiösen Strömungen, so zum Beispiel der jüdischen Orthodoxen und deren Einfluss auf die Politik Israels. Angesprochen sind in dieser Buchbesprechung nicht die entlarvenden Charakteristiken verschiedener israelischer Politiker, so von Benjamin Netanyahu und Ehud Barak. Unberücksichtigt bleiben ebenso bestimmte fragliche Äußerungen des Autors zur Politik der Linken und allgemein zum Kommunismus.

Dieses Buch eines Friedensbotschafters aus Israel mit gehörigem Biss möchte ich kritischen und interessierten Lesern sehr ans Herz zu legen.


Uri Avnery: „Israel im arabischen Frühling – Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“

Gebundene Ausgabe: 292 Seiten, Verlag: Kitab (28. Januar 2013), wo auch sein Buch „Von Gaza nach Beirut, Israelisches Tagebuch“ erschien,
Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3902878193, ISBN-13: 978-3902878199
Übersetzung: Ingrid Heiseler.


Header: Collage aus Buchcover und Portrait Uri Avnery

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