Literatur
Autor Matthias Stührwoldt über den Wahnsinn auf dem Lande

„Verliebt Trecker fahren“ hieß sein erstes Buch vor neun Jahren. Damals waren Matthias Stührwoldt und seine vergnüglichen Geschichten über den alltäglichen Wahnsinn auf dem Lande noch Geheimtipps.
Mittlerweile zählt der Biobauer aus Stolpe, Kreis Plön, zu den beliebtesten Schriftstellern Schleswig-Holsteins. Isabelle Hofmann traf den humorvollen Autor vor seiner Lesung am 19.9. beim Hamburger Literaturfestival HarbourFront.

Isabelle Hofmann (IH): Sie halten rund 120 Lesungen im Jahr, gerade ist „Gassi gahn!“, das achte Buch von Ihnen erschienen und das nächste ist bereits in Arbeit. Kommen Sie überhaupt noch zum Melken?

Matthias Stührwoldt (MS): Ich kann mir ein Leben ohne melken gar nicht vorstellen, da mir beim Melken die besten Ideen kommen. Ich melke jeden Tag. Zumindest morgens. Bei 60 Kühen sind das eineinhalbstunden Routine. Ich mache meine Arbeit und kann mir dabei Gedanken machen.

IH: Schreiben Sie die gleich auf?

MS: Meistens gehe ich in die Milchkammer. Da hängt ein Kalender, wo steht, wann welche Kuh beim Bullen war. Dort schreibe ich dann Stichworte auf. Nur ein Wort – das reicht, um später den Gedankenfluss wieder zu kriegen.

IH: Eine Geschichte haben Sie über Ihren alten R4 geschrieben, den Sie Camus nannten, weil Sie den Schriftsteller so mögen. Camus hat mal gesagt: „Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind“. Trösten Sie Ihre Geschichten über den Alltag als Bauer hinweg?

MS: Ja. Definitiv! Es ist so! Wenn mir irgendein Schiet passiert, habe ich den Vorteil, dass ich daraus eine Geschichte machen kann. Zum Beispiel, wenn ich mal wieder hinter den Tieren herlaufen muss, die ausgebüxt sind.

IH: Die schönste Geschichte zu diesem Thema ist die, in der Sie nachts bei Mondschein, nur mit Gummistiefeln bekleidet, ein ausgerissenes Kalb jagen. Nach der Lektüre von drei Büchern kann man den Eindruck gewinnen, dass Sie einen Großteil Ihrer Zeit bislang damit verbrachten, entweder Mädchen oder Kälber einzufangen.

MS: Die Kälber kriegt man leichter wieder eingefangen. Ich weiß ja nicht, wie es anderen Männern geht, aber das Thema Frauen hat mich ständig beschäftigt. Ich war immer verliebt, aber es hat irgendwie nie hingehauen. Ich war entsetzlich erfolglos bei Mädchen.

IH: Mittlerweile haben Sie eine tolle Frau und fünf Kinder. Sehen Sie sich eigentlich als schreibender Bauer oder eher als Autor mit Bauernhof?

MS: Das Bauersein ist für mich tatsächlich die Grundeinstellung zum Leben. Ich bin froh, dass ich den Hof habe und ich mag die Kombination von körperlicher und geistiger Arbeit. Und ganz wertvoll für mein Leben ist die Rückmeldung des Publikums geworden. Leute, die mir erzählen, wie sie auf mich gekommen sind und was ihnen die Lektüre gibt. Das gibt mir viel an Glücksgefühl und Bestätigung.

IH: Ihre Geschichten erinnern Detlef Bucks Film „Wir können auch anders“. Sie haben den gleichen trockenen Humor, wenn Sie schildern, wie Sie Ihre Mudder mit dem Frontlader aus dem Modder gezogen haben oder wie Sie als Jugendlicher mit Ihrem Trecker x-mal den Güllepott umrundeten, in der Hoffnung, das Mädchen an Ihrer Seite würde sich endlich mal an Ihnen festhalten. Der Armen wurde stattdessen so schlecht, dass sie spucken musste. Das liest sich zum Brüllen komisch, bedient aber auch ein bisschen das Klischee vom Bauerntölpel.

MS: An jedem Klischee ist ja auch etwas Wahres dran. Gerade über diese Geschichten kann das ländliche Publikum lachen – was bedeutet, dass sie über sich selbst lachen können. Wie häufig kommen nach Lesungen die Leute zu mir und sagen: „Ik mut di ok mal wat vertellen, wat mi nülich passiert is…“
Was mir auffällt ist, dass unsere Gesellschaft eine sehr verstädterte Gesellschaft ist. Alles muss urban sein. Viele Bücher werden von Leuten aus der Stadt geschrieben. Wenn ich so was lese, hat das immer sehr wenig mit mir zu tun. Deshalb finde ich es so wichtig, dass die Leute auf dem Land ihre eigenen Geschichten erzählen und mit Selbstbewusstsein präsentieren.

IH: Beweisen Sie sich mit dem Schreiben selbst, dass Sie mehr können, als Trecker fahren und Kühe melken?

MS: Das weiß ich nicht. Ich habe großen Respekt vor allen Leuten, die in ihrem Alltag stehen, ob nun Bauer oder nicht. Es geht nicht darum, ob die eine Profession mehr wert ist als die andere. Das Schreiben ist für mich ein Weg gewesen, mit dem was ich tue in Einklang zu kommen. Mir fehlte etwas, als ich nur Bauer war – ich wusste nur nicht, was. Als ich anfing zu schreiben, wusste ich es.

IH: Sie machen immer wieder deutlich, dass Bauer und Bildung kein Gegensatz sein muss. Zum Beispiel, wenn Sie auf Beuys‘ Fettecke anspielen oder eine Zeile aus Arthur Rimbauds Gedicht „Sensation“ zitieren.

MS: Manchmal ärgert es mich einfach, wie mein Berufsstand dargestellt wird. Ich bin tatsächlich schon gefragt worden: Wie kommt es, dass ein Bauer schreiben kann?“ Da kann ich nur antworten: Ich bin zur Schule gegangen.

IH: Und Sie haben sich schon früh viel mit Literatur beschäftigt, auch daran war offenbar ein Mädchen Schuld.

MS: Ich habe schon immer gerne gelesen und geschrieben. Als Jugendlicher habe ich ganz viel Tagebuch geschrieben, was für einen Jungen ungewöhnlich war. Im Deutschunterricht sollten wir mal einen Tag im Leben eines Menschen beschreiben. Da mir kein besonderer Mensch einfiel, habe ich einen Tag im Leben unseres Zuchtbullen beschrieben und musste die Geschichte prompt vorlesen. Herr Kahl, mein Deutsch-Lehrer, hat sich köstlich amüsiert.

IH: Sie haben einmal gesagt, dass Sie nicht nur unterhalten wollen. Sie wollen Ihren Lesern auch klarmachen, welcher Schatz Ihnen auf dem Land anvertraut ist und dass man diesen Schatz behüten muss.

MS: Wenn ich durch Schleswig-Holstein fahre, sehe ich nur noch Mais, Weizen und Raps. Das ärgert mich richtig! Die von multinationalen Konzernen wie Monsanto und Syngenta angestrebte Abhängigkeit in der Landwirtschaft führt zu einer gigantischen Verarmung. Man sieht einfach immer weniger Vielfalt. Es gibt kaum noch Roggen, Gerste, Hafer.

IH: Monsanto war ursprünglich ein Chemiekonzern, hat sich dann auf Pflanzenschutzmittel konzentriert und stellt nun in rauen Mengen ein Unkraut-Vernichter her, der alles Grün im Boden tötet – bis auf die genveränderten Mais - und Sojasorten, die er produziert.

MS: Deshalb habe ich vor zehn Jahren die Entscheidung getroffen, den Hof auf Bio umzustellen. Ich wollte mit gentechnisch manipulierten Pflanzen nix zu tun haben.

IH: Warum gibt es in Deutschland so wenig Protest dagegen?

MS: In der Bauernschaft gibt es ja breite Bewegung dagegen. Auch mein Trecker stand bei der Grünen Woche in Berlin schon vor dem Brandenburger Tor. Es ist aber nun mal so, dass der Mainstream in der Landwirtschaft sehr fortschrittsgläubig ist.

IH: In Südamerika vernichten die genveränderten Monokulturen systematisch die Existenz der Kleinbauern. Zudem sind die eingesetzten Pflanzenschutzmittel extrem gesundheitsschädigend, wie kritische Reportagen zeigen.

MS: Mehr und mehr kommt es bei den Bauern an, dass sie nicht gegen die Interessen der Gesellschaft arbeiten können. Bei der Milch haben sie es schon begriffen. Die Verbraucher wollen keine Milch von Kühen, die mit Wachstumshormonen behandelt wurden. Wäre gut, wenn sich diese Einstellung auch bei der Gentechnik durchsetzen würde.

IH: Jetzt ist gerade wieder eine Diskussion um Bioprodukte entbrannt. Offenbar gibt es auch in diesem Bereich Schwarze Schafe.

MS: Die gibt es überall. Aber grundsätzlich muss man sagen: Alle, die umgestellt haben, sind mit dem Herzen dabei, sonst hätten sie es nicht gemacht. Und auch die Bioprodukte aus dem Discounter sind kontrollierte Waren aus biologischem Anbau nach EU-Standard. Ich empfinde es als Fortschritt, dass man sich heute relativ günstig mit Öko-Lebensmitteln versorgen kann. Wer darüber hinaus etwas tun will, kann sich regionalen Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften anschließen. Adressen gibt es im Internet.

IH: Ihr Vater war alles andere als begeistert von Ihren Öko-Plänen. Haben Sie ihn vor die Wahl gestellt: Entweder ich mach Bio oder gar keinen Hof?

MS: Er hatte ja Zeit sich daran zu gewöhnen: Ich habe mein zweites Lehrjahr 1988/89 schon in einem Ökobetrieb gemacht und den Hof am 1. Juli 1998 übernommen. Aber es war schon schwer für ihn. Mein Vadder war CDU-Bürgermeister, ein ganz, ganz konservativer Mensch. Wahrscheinlich habe ich mir genau das ausgesucht, was entgegengesetzt war zu dem, was meine Eltern mir vorgelebt haben.

IH: Sprechen Sie zu Hause eigentlich Plattdüütsch?

MS: In meiner Familie nicht, weil meine Frau es nicht spricht. Auch meine Eltern haben früher mit uns nur Hochdeutsch gesprochen, weil es hieß, die werden sonst Probleme im Deutschunterricht kriegen. Jetzt spreche ich aber mit meinen Eltern ganz viel platt.

IH: War das der Grund, auch auf Platt zu schreiben? Beim Literaturfestival HarbourFront stellen Sie „Gassi gahn“ vor, das ist nun schon Ihr drittes plattdeutsches Buch.

MS: Ausschlaggegend war mein Verleger. Der fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, auch op Platt zu schreiben. Ich sehe mich aber eigentlich als zweisprachiger Autor. Die Mischung finde ich reizvoll.

IH: Bislang haben Sie nur Kurzgeschichten geschrieben. Was ist mal mit einem Roman?

MS: Romane wirken auf mich unglaublich konstruiert. Da ist es von Nöten ein großes Gedankengebäude zu erstellen, während man eine Geschichte mal so schreiben kann. Diese Form ist einfach gut mit meinem Alltag vereinbar. Wenn ich mich an den Computer setze, möchte ich in drei Stunden fertig sein. Dann wird es wieder Zeit, zu den Kühen zu gehen.

IH: Ihre jüngsten Geschichten werden immer philosophischer. Sie machen sich Gedanken über Gott und die Welt. Über Internetbanking, über Modebegriffe Ihrer Kinder und über „düsse Blick von de Köters bit Schieten“ und fragen „Worüm köönt se nich so schieten as mien Kööh?“.

MS: Das sind so Einfälle, die ich beim Melken habe. Ich glaube, viele Bauern haben so eine philosophische Ader. Das kommt, weil sie so viel Zeit zum Nachdenken haben. Mit Bauern kann man jedenfalls wunderbar philosophieren – über jeden Schiet.


„Gassi gahn!“ – neue plattdeutsche Geschichten vom Lande, stellt Matthias Stührwoldt am 19.09. beim HarbourFront Literaturfestival vor, wo er gemeinsam mit Ines Barbar auftritt. (St. Pauli Kirche, Pinnasberg 80, 20 Uhr, Eintritt 12 Euro).

Weitere Lesungen:
20.09., 19 Uhr, Gut Knoop, Knooper Landstraße, 24161 Altenholz, am Nord-Ostsee-Kanal. Karten unter (04322) 4528.
26.09., 19 Uhr, Reiterwelt Krischnick, Schwentinental.
06.10., 21 Uhr Lutterbeker, Lutterbek, Karten unter (04343) 9442.

Fotonachweis:
Headerfoto: Isabelle Hofmann