Literatur
Hellmuth Karasek: „Soll das ein Witz sein?“

Hellmuth Karasek ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands und eine Instanz in Sachen Literatur.
Was die wenigsten wissen: Der Hamburger Autor und Kritiker ist seit Kindesbeinen ein begeisterter Witzesammler. Jetzt hat er sogar ein Buch darüber geschrieben.

Isabelle Hofmann (IH): Herr Karasek, bevor wir richtig loslegen: Wie, bitteschön, lautet Ihr jüngster Witz?

Hellmuth Karasek (HK): Ein Mann wird zu Tode verurteilt. Der Richter sagt, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht: Die schlechte, Sie werden morgen früh erschossen. Die gute: Arjen Robben schießt.
Den habe ich während der Fußball-Europameisterschaft gehört.
Man sieht daraus, dass Witze immer aktuell aus dem Boden wachsen.

IH: Witze sind die kürzeste und prägnanteste Form der Literatur, schreiben Sie. Ist das nicht zu viel der Ehre?

HK: Entschuldigung, aber gibt es nicht auch hohe und sehr niedrige Literatur? Alles, was weitergegeben wird, ist Literatur. Märchen sind für mich die schönste Literatur und niemand hat sie ernst genommen, bis die Gebrüder Grimm sie gesammelt haben.

IH: Dennoch habe ich den Eindruck, dass sich Männer immer dann Witze erzählen, wenn Sie sich eigentlich nichts zu sagen haben.

HK: Jaaaaaa. Und Nein! Ich habe zehn Jahre lang mit Günther Jauch die 5-Millionen-SKL-Show gemacht. Da haben wir immer am letzten Abend nach der Sendung zusammengesessen und es wurden Witze erzählt. Diese Abende sind uns eigentlich in schönster Erinnerung. Aber es gibt natürlich auch Abende, wo Witze etwas Zwanghaftes entwickeln.

IH: Vor allem erzählen immer nur Männer Witze. Frauen tun das nicht, wenn sie beisammensitzen.

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HK: Frauen brauchen keine Witze, weil sie diejenigen sind, die umgockelt werden. Männer brauchen Witze, um so ein geheimes Einverständnis herzustellen. Wenn mich eine Frau nett anlacht, fühle ich mich einen Moment lang als ihr Eroberer. Ich bin 78 Jahre alt, das hat gar nichts mit der Realität zu tun. Aber das ist der Sinn der Witze. Dem Fußballreporter Marcel Reif verdanke ich folgenden Witz: Kommt ein Mann zum Arzt. „Herr Doktor, ich habe nach dem Sex immer so ein Pfeifen im Ohr“. „Was erwarten Sie in ihrem Alter?“, sagt der Arzt. „Standing Ovation?“

IH: Nicht schlecht!

HK: Sie lachen. Sehen Sie, es funktioniert!

IH: In Ihrem Buch erklären Sie, wie Sie zum Witzeerzähler geworden sind. Es war offenbar ein Akt der Verzweiflung, um als unsportlicher Junge in der Klassengemeinschaft bestehen zu können. Heißt das im Umkehrschluss, sportliche und gutaussehende Jungen erzählen keine Witze?

HK: Zumindest weniger. Die brauchen das nicht. Mario Gomez muss nur sein Hemd ausziehen, um die Damenwelt zu begeistern. Der Kleine, der Unterlegene muss witzig sein. Dadurch habe ich erst zu punkten angefangen.

IH: Sie sammeln ja auch Bücher über Witze, wissen also genau, wie viel Literatur es schon zum Thema gibt. Warum noch ein Buch?

HK: Da hätten Sie mich auch fragen können: Was hat sie animiert, ein Buch über das Alter zu schreiben? Auch davon gibt es schon viele. Ich glaubte einfach, so ein Buch verkauft sich gut. Und siehe da - ich habe Recht gehabt.

IH: Behalten Sie eigentlich alle Witze, die Sie hören, oder schreiben Sie sie immer gleich auf?

HK: Ich schreibe keine Tagebücher, aber ich habe immer bestimmte Sachen notiert, die ich in der Zeitung las oder im Zug hörte, weil ich glaube, dass sie etwas über die Zeit aussagen. Wie Märchen oder Volkslieder halten auch Witze die Zeitstimmung fest.

IH: Und wir lernen in Ihrem Buch, dass es auch „Märchenwitze“ gibt. Man kann sich aber sicher darüber streiten, ob die Parabel vom „Fischer un siner Frau“ ein Witz ist, wie Sie meinen.

HK: Doch, das ist schon witzig, dass man im Moment der größten Überhebung wieder im Dreck landet! Man denkt, man kommt mit etwas durch und dann klappt es nicht.

IH: Sie fassen die Definition von Witz auffallend breit. Es gibt bei Ihnen keine Unterscheidungen zwischen Aphorismen, Bonmots und Witzen.

HK: Ein Aphorismus kann ein großartiger Witz sein! Kommt ein Einarmiger in einen Secondhand-Shop. Die geistige Leistung, ein Lachen zu erzeugen, rechtfertigt den Witz.

IH: Witze können ja ganz unterschiedliche Funktionen haben. Freud spricht in seinem Buch „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ vom Witz als Ventil, um inneren Druck abzubauen.

HK: Mit Freuds Büchern habe ich in den 50er-Jahren erstmals verstanden, warum man überhaupt Witze erzählt. Warum sie so eine wichtige Rolle spielen: Weil sie die Gesellschaft öffnen und das Lachen über den Witz die Traurigkeit über die Pointe erträglich macht.
Sagt ein Mann zu seinem Freund: „Du bist aber dick geworden. Wie ist denn das passiert?“ Antwortet der: „Immer, wenn ich nachts im Bett die Hand nach meiner Frau ausstrecke, schreckt sie hoch und sagt: Is‘ was?! Dann gehe ich in die Küche und esse etwas.“
Die Geschichte ist eigentlich völlig trostlos, nur das Lachen macht sie erträglich.

IH: Die befreiende Wirkung von Lachen zeigt sich vor allem dort, wo die Menschen sonst nicht zu lachen haben - in Diktaturen. Sie haben die anarchische Kraft von politischen Witzen beschrieben.

HK: Ja! Weil sie die Unterdrückten in die Lage versetzt, wenigstens im Witz die Oberhand über die Unterdrückung zu gewinnen. Witze können lebensbedrohlich sein, aber auch lebenserhaltend.

IH: Ihre Sammlung enthält Witze aus allen Lebensbereichen: Politische Witze, jüdische Witze, Arztwitze, Tierwitze, Klein-Erna-Witze. Welche Kategorie bevorzugen Sie?

HK: Eigentlich bevorzuge ich Witze, die klar machen, was der Witz ist – nämlich die Umkehrung der Logik.
Kommt ein Mann mit einer Kröte auf dem Kopf zum Arzt. Fragt der Arzt: Wie ist das passiert? Sagt die Kröte: Den habe ich mir eingetreten.
Witze wie diese mag ich sehr, denn sie befreien von der Zwangsvorstellung der Logik. Billy Wilder hat übrigens mal gesagt, der Witz vollendet sich im Kopf des Zuhörers. Mein kürzester Klassiker in diesem Zusammenhang:
Fragt ein Mann seinen Kollegen: Seit wann trägst Du einen Büstenhalter? Antwortet der: Seitdem ihn meine Frau im Auto gefunden hat.

IH: Sind Sie mal mit einem Witz so richtig ins Fettnäpfchen getreten?

HK: Ja, vor vielen Jahren erzählte ich in einer Gaststube einen Behinderten-Witz. Was ich nicht sah: Hinter einer Säule saß eine Dame im Rollstuhl. Man sollte solche Witze nicht erzählen. Sie sind immer an der Grenze zu der von der jeweiligen Zeit festgestellten Gürtellinie.

IH: Diese Gürtellinie, so behaupten Sie, hing in den 70er Jahren längst nicht so hoch wie heute. Ist die Gesellschaft wieder prüder geworden?

HK: Ich denke schon. Es liegt ganz einfach daran, dass sich die Zeit immer in Wellen bewegt. Nach Zeiten der sexuellen Befreiung schlägt das Pendel wieder zurück. Aber ein einmal gebrochenes Tabu bleibt gebrochen.

IH: Gibt es überhaupt noch Witze, die tabu sind?

HK: Ja. Blasphemische Witze, die religiöse Gefühle verletzen. Die erzählt man nicht vor großem Publikum.

IH: Schade, dann erfahren wir keinen?

HK: Doch, ich erzähle Ihnen jetzt einen: Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus? Der Gesichtsausdruck beim Nageln.
Jetzt können Sie sich überlegen, ob Sie den bringen oder nicht.

Der katholische Schriftsteller und Büchner-Preisträger Martin Mosebach hat ja gerade eine neue, für mich sehr fragwürdige Debatte angestoßen. Er hat gesagt, man müsse Blasphemie bestrafen und dass er es gut findet, dass strenge Muslime Menschen durch Terror davor abschrecken, blasphemisch zu sein. Sie sehen, der Witz streift manchmal gefährliche Gebiete.

IH: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Karasek. Und zum Schluss bitte noch einen Witz.

HK: Ich habe in Frankreich einen sehr schönen über Dominique Strauss-Kahn gehört. Seine Frau hat ihn ja gerade rausgeschmissen. Also: Kommen der Pabst und Strauss-Kahn an die Himmelspforte. Durch ein Versehen wird der Pabst in die Hölle geschickt und Strauss-Kahn in den Himmel. Als sie am nächsten Morgen ausgetauscht werden sollen, sagt Strauss-Kahn zum Papst: Ich weiß gar nicht, was Sie im Himmel wollen. Antwortet der Papst: Die Heilige Jungfrau Maria sehen. Sagt Straus-Kahn: Zu spät.


Hellmuth Karasek: „Soll das ein Witz sein?“
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Mit einem Vorwort von Eckart von Hirschhausen

Seit seiner Jugend sammelt Hellmuth Karasek, Journalist und Schriftsteller, Witze in allen Varianten. Diktatorenwitze, jüdische Witze, Arztwitze, Irrenwitze, Männerwitze, Frauenwitze, Elefantenwitze – kein Lebensbereich, der nicht als Witz taugt. Viele davon gibt er in seinem Buch preis. Natürlich interessiert er sich dabei auch für den geistigen Hintergrund, für Freuds psychoanalytische Deutung, für die Psychologie hinter der Pointe: Was macht Witze witzig? Gibt es ganz neue oder nur immer wiederkehrende Varianten? Ist der Witz eine wirksame Waffe der Unterdrückten? Unterscheidet sich der Humor von Frauen und Männern? So macht er sich stark für eine fast vergessene Kultur, die angeblich keine ist. Er versteht den Witz als die kürzeste und präziseste Form von erzählter Literatur. Romanautoren brauchen Hunderte Seiten, um die Realität zu erfassen, ein Witz kann dies in wenigen Zeilen auf den Punkt bringen. Angeregt wurde Karaseks Buch von gemeinsamen Auftritten mit dem Arzt, Bestsellerautor und erfolgreichen Komiker Eckart von Hirschhausen.

Quadriga
Hardcover, 380 Seiten
ISBN: 978-3-86995-015-0

Fotonachweis:
Header: Hellmuth Karasek. Foto: Isabelle Hofmann
Galerie:
01. Buch-Cover, Hellmuth Karasek; Soll das ein Witz sein?. Copyright und Quelle: Bastei Lübbe.
02. Hellmuth Karasek. Foto: Isabelle Hofmann.