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Sie trabten nebeneinander her. Jan überlegte, ob er mit dem Kind U-Bahn fahren sollte (hunderte von Zeugen) oder Taxi (ein einziger Zeuge, aber der intensiv.) Zu Fuß war’s zu seiner Wohnung zu weit. Über den Transport hätte er sich vorher Gedanken machen sollen.
„Und hast du auch Zuckerwatte, Yaya?“
„Nein. Wer hat schon Zuckerwatte Zuhause?“
„Und Fischbrötchen? Hast du Fischbrötchen?“
„Ich hab Pizza und Nudeln. Hör mal zu, jedes Kind mag doch Pizza und Nudeln?“
Alex blieb stehen und kämpfte sich mühsam unter seiner Kapuze hervor. „Ich weiß, wo wir Currywurst kriegen und Zuckerwatte und Fischbrötchen und Hamburger Speck und Zuckerstangen…“
„Wo denn?“
„Auf dem Winterdom!“
„Der ist nicht mehr da“, sagte Jan erleichtert.
„Nein? Oh. Aber irgend so ’n Weihnachtsmarkt? Da gibt’s das auch alles.“
Natürlich wäre es nicht klug, das Kind mit nach Hause zu nehmen. Aber wo sollte er es sonst aufbewahren, bis das Lösegeld eintraf? In irgendeinem Keller? Da hätte Axel bestimmt Angst.
Jan wollte den Kleinen am liebsten überhaupt nicht merkten lassen, dass er entführt worden war, nachdem er schon den Kummer hatte, Schuld zu sein am Unfrieden im Elternhaus.

Sie nahmen ein Taxi zum Gerhard-Hauptmann-Platz und das Entführungsopfer futterte sich durch Currywurst, Liebesäpfel, Kokosnuss, Zuckerwatte, heiße Maronen – „Hier, nimm mal, Yaya, die mag ich nicht, iss du die mal auf…“ – Fischbrötchen und noch mehr Zuckerwatte.
Dann war ihm übel.

Jan zerrte den Kleinen gerade noch rechtzeitig in einen Winkel hinter der Jacobikirche, wo er ihm die gesamte Ladung auf die Schuhe spuckte. Erfreulicherweise bekam der teure neue Anorak nichts ab.
Jan wischte erst das jetzt sehr blasse Gesicht des kleinen Axel und dann seine Schuhe mit mehreren Papiertaschentüchern ab. „Geht’s wieder?“
„Hmhm.“
„Hol schön tief Luft, lehn dich hier an – so. Siehst du, das wäre noch viel schlimmer geworden, wenn wir auf den Dom gegangen wären.“
„Wieso?“
„Na, dann wärst du doch bestimmt auch noch Achterbahn gefahren und Autoscooter. Mit all dem, was du zu dir genommen hast, auch noch überkopf und geschüttelt…“
Inzwischen war der Himmel aufgerissen, die Nachmittagssonne übergoss alles rosig. Von den Weihnachtsbuden klang Musik und Gelächter bis hinter die Kirche.

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