Kultur, Geschichte & Management
Corny Littmann

Im Christentum ist die Acht eine heilige Zahl, in China der absolute Glücksbringer.
Am 8.8.1988, um 8.08 Uhr eröffnete Corny Littmann das Schmidt am Spielbudenplatz. Was Wunder, dass sich sein Haus zum erfolgreichsten Privattheater Deutschlands entwickelte. Nun feiert es 25. Geburtstag. Ein Gespräch mit Corny Littmann über Theater auf dem Kiez, Boomtown St. Pauli und die Angst schwuler Fußballspieler:

Isabelle Hofmann (IH): Ein Eröffnungsdatum mit sechs Achten. Sind Sie abergläubisch?

Corny Littmann (CL): Nein, mir sagt die Acht gar nichts. Wir haben das Datum gewählt, weil wir wussten, dass uns diese Schnapszahl immer in Erinnerung bleiben würde.

IH: Warum wollten Sie damals unbedingt auf die Reeperbahn? War es der besondere Reiz des Rotlicht-Milieus mit leichten Mädchen und schweren Jungs vor der Tür?

CL: Es war eigentlich mehr der Gedanke, an die Tradition der 20er- und 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts anzuknüpfen, an die Blütezeit der Reeperbahn. Es gab hier 60 verschiedene Volkstheater. Hier gingen Familien hin.

IH: Ende der 80er-Jahre war der Kiez aber ein ziemlich heißes Pflaster.

CL: Mitte der 80er-Jahre war der Kiez eigentlich relativ tot. Der Spielbudenplatz war völlig runtergekommen. Zwischen St. Pauli-Theater und dem Operettenhaus war das große Niemandsland und die Lokalität deshalb relativ preiswert.

IH: Angeblich soll jedes Lokal Schutzgeld gezahlt haben. Auch das Schmidt?

CL: Nein, völliger Unsinn. Das gab es unter Spaniern, Italienern, Albaner, aber unter den Deutschen gab es das nicht. Im Übrigen haben wir einen besonderen Schutz durch die nebenan liegende Davidwache. Das ist nicht ganz unwichtig.

IH: Der Kiez hatte doch immer eigene Gesetzte. Was mussten Sie tun, um in Ruhe gelassen zu werden?

CL: Das Entscheidende in unserem Verhältnis zu den Dorfbewohnern – und St. Pauli ist ja ein Dorf – war, dass wir nicht von außen kamen. Ich habe hier ja gelebt und das schon jahrelang. Wir waren keine Yuppies aus Eimsbüttel, sondern Menschen, die hier lebten und anfingen, hier zu arbeiten.

IH: 1988 gab es noch die D-Mark, die Mauer, dafür kein Handy und kein Internet. Was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie an diese Zeit denken?

CL: Puh! Die 1980er-Jahre sind die Zeit des Sterbens vieler Freunde. In der Aids eine Bedrohung wurde und das Todesurteil für viele meiner Freunde. Mir kommt auch die Regierung Kohl in den Sinn und dass sie dann noch zehn weitere Jahre regierte. Und natürlich unsere erste sehr arbeitsreiche und chaotische Zeit am Theater.

IH: Sie waren immer einer der schillerndsten Figuren der Hamburger Kulturszene – schräg, schwul, komödiantisch. Und immer sehr politisch engagiert: Für die Rechte der Schwulen, gegen das Establishment. Hat es Sie deshalb besonders getroffen, in der Roten Flora Auftrittsverbot erhalten zu haben – mit der Begründung, Sie seien der Ober-Gentrifizierer vom Kiez?

CL: Och, überhaupt nicht. Ich bin in meiner Zeit als Präsident des FC St. Pauli vielfach beschimpft worden. Ich habe über die Jahre ein relativ dickes Fell bekommen.

IH: Was sagen Sie inhaltlich zu den Vorwürfen, ein Gentrifizierer zu sein?

CL: Das ist schon deshalb Blödsinn, weil es den Begriff überhaupt nicht gibt. Es gibt einen schleichenden Prozess der Gentrifizierung, das ist richtig. Das hat seine Geschichte und die liegt, 50, 60 Jahre zurück. Um diesen Stadtteil hat sich die Hamburger Politik Jahrzehnte lang nicht gekümmert. Wer da regiert hat, weiß jeder. Für Sozialdemokraten war St. Pauli ein Niemandsland. Ein Stadtviertel im Übrigen, das man in der Zeit des Oberbaudirektors Egbert Kossak einmal komplett abreißen wollte.

IH: Jetzt hat sich St. Pauli vom Brennpunkt zur Boomtown gewandelt – mit Wahrzeichen wie den Tanzenden Türmen, dem East Hotel und dem Empire Riverside.

CL: Die sind für das Viertel absolut unschädlich. Was schädlich ist: Die Stadt besitzt hier kaum noch Häuser. Dadurch sind die meisten Miethäuser in privater Hand und fallen der Spekulation anheim. Der Wohnraum, der hier frei wird, wird zur doppelten oder dreifachen Miete weitervermietet.

IH: Sie sind ja auch Unternehmer und zwar ein sehr erfolgreicher. Verkörpern Sie heute den Typus Manager, gegen den Sie vor 30 Jahren auf die Straße gegangen wären?

CL: Also, als wir mit dem Theater anfingen, waren wir gewissermaßen zwangsweise plötzlich in einer Arbeitgeberposition, die wir im Grunde unseres Herzens gar nicht einnehmen wollten. Das war schon eine schwierige Zeit und ein bisschen schizophren. Mittlerweile habe ich damit keine Probleme mehr.

IH: Für viele sind Sie ja noch der liebenswerte, schrullige Herr Schmidt aus der „Schmidt Mitternachtsshow“ im NDR-Fernsehen Anfang der 90er-Jahre. Wie passen der Komödiant und der kühl kalkulierende Geschäftsmann zusammen?

CL: Also, erst einmal bin ich sehr froh, dass ich heute nicht mehr als Herr Schmidt angesprochen werde. Heute sagen die Menschen Corny oder Herr Littmann und verwechseln mich nicht mehr mit einer fiktiven Kunstfigur. Zum Zweiten habe ich mit den verschiedenen Rollen überhaupt keine Probleme. Verstehe aber, dass sich ein anderer Mensch fragt, wie kommt er damit klar?

IH: Warum kommen Sie damit so gut klar?

CL: Weil ich ein sehr ruhiger Mensch bin. Weil ich mittlerweile ein Alter erreicht habe, wo man sich nicht mehr so aufregt. Ich habe einen niedrigen Blutdruck und viel Erfahrung in dem Metier. Das hilft alles, um die verschiedenen Rollen zu bewältigen.

IH: Keine Angst vor dem Älterwerden?

CL: Nein. Das Alter hat gute und schlechte Seiten. Zu den guten gehört die Gelassenheit. Ich bin jetzt nicht mehr so auf Konfrontation aus, sondern in der Lage Konflikte anders zu lösen. Ich kann jetzt auch gut abgeben. Abgeben im Sinne von Loslassen können.

IH: Sie haben schon mehrmals überraschend mit Ämtern und Projekten aufgehört. Mit der TV-Mitternachtsshow 1993 beispielsweise. Oder auch mit Ihrem Rücktritt als Präsident des FC St. Pauli. Was werden Sie als nächstes loslassen?

CL: Ich habe das Glück, einen Beruf ausüben zu dürfen, der keine Verrentung kennt. Solange ich klar im Kopf bin, kann ich spielen und inszenieren, vielleicht sogar noch mit 80 Jahren. Das Geschäftliche muss nicht sein. Es ist an der Zeit darüber nachzudenken, wer künftig die Geschäfte übernehmen soll. Das heißt aber nicht, dass ich im Theater nicht mehr anwesend bin. Nur dass andere noch mehr Verantwortung tragen als bislang.

IH: In Ihrer Amtszeit als Präsident des FC St. Pauli haben Sie es geschafft, den Verein aus seiner desolaten Lage herauszuholen. Als Sie 2010 gingen, hinterließen Sie einen sanierten Club und ein neues Stadion. Aber auch hier warfen Ihnen Kritiker Gentrifizierung vor. Es hieß, Sie hätten „die Seele des Vereins verkauft“.

CL: Ich würde niemals von mir behaupten, dass ich alles richtige gemacht habe. Aber beim Fußball ist es so: Am Ende zählt das Ergebnis. Ohne eine kleine Gruppe sehr aktiver Menschen gäbe es diesen Verein heute nicht mehr.

IH: Können Sie den Vorwurf denn nachvollziehen?

CL: Natürlich bin ich einer gewesen, der – zur Überraschung vieler Fans und Vereinsmitglieder – auch unangenehme Entscheidungen getroffen hat. Aber merkwürdiger Weise ist noch nie einer der Kritiker auf mich zugekommen und hat mit mir darüber diskutiert. Wohl aber sind eine Menge Menschen zu mir gekommen und haben sich dafür bedankt, was ich für den Verein getan habe. Worin die Seele des Vereins bestanden hat, die ich angeblich verkauft hätte, würde mich in der Tat sehr interessieren.

IH: Sie waren der erste Fußballpräsident, der sich offen zur Homosexualität bekannt hat…

CL: Was wäre denn die Alternative gewesen? Es wussten doch alle. Wenn ich beim Amtsantritt gesagt hätte: „Und im Übrigen habe ich seit gestern eine Freundin“, hätten sich doch alle totgelacht.

IH: Stimmt. Der Fußballclub hat damit wieder einmal unter Beweis gestellt ist, dass er anders ist als alle anderen.

CL: Es war eher so: Da kommt jetzt der schwule Clown und den leisten wir uns – und nur wir! Und dann hat sich der Clown als etwas ganz anderes entpuppt.

IH: Sie wurden unterschätzt. War das ein Vorteil?

CL: Natürlich. Das hat mir Freiräume gegeben. Die haben ja nicht geahnt, dass Schwulsein nicht abendfüllend ist und dass da jemand kommt, der gewisse unternehmerische Erfahrungen hat. Keiner hat gedacht, dass ich die ganze Führungsriege des Vereins innerhalb eines Jahres entlassen würde.

IH: Ist der Clown eine Maske?

CL: Überhaupt nicht. Gar nicht! Aber ich bin permanent Gegenstand von Projektionen. Ist doch klar, dass bestimmte Erwartungen, aber auch Ängste und alle möglichen irren Vorstellungen kommen, wenn ein offen Schwuler in einen natürlich sehr heterosexuell geprägten Fußballverein kommt.

IH: Ein Vorurteil zum Beispiel?

CL: Schwule können nicht die Hand geben, haben einen wabbeligen Händedruck. Ich habe aber einen sehr festen Händedruck. Da haben sich die Spieler, als ich sie begrüßte, erst mal gewundert.

IH: Homosexualität ist im Profifußball immer noch ein Tabu. Wird sich das ändern, nachdem Robbie Rogers sich in den USA jüngst als schwul geoutet hat?

CL: Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Ein Profispieler wird niemals etwas von sich preisgeben, was innerhalb einer Mannschaft als Schwäche ausgelegt werden könnte. In den geschäftlich interessanten Liegen sind heute die verschiedensten Kulturkreise vertreten. Nun muss man sich mal fragen, wie gehen Russen, Serben, Kroaten, Türken mit einem Mitspieler um, von dem sie wissen, dass er schwul ist. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Mannschaftsverband schwierig sein.

IH: Seit Sie 1997 öffentlich den Spiegel in einer Männertoilette zerschlugen, um zu zeigen dass sich dahinter eine Kamera befand, die Schwule heimlich filmte, hat sich in Deutschland vieles in Punkto Gleichstellung von Schwulen und Lesben getan. Die Gesellschaft wird jedoch wieder konservativer.

CL: Ich glaube, was die Rechte von Schwulen und Lesben anbetrifft, wir es keine Rolle rückwärts geben. Die lassen sich ihre Rechte nicht mehr nehmen.

IH: Zum Schluss noch eine ganz persönliche Frage: Hätte der Corny aus den 80er-Jahren den Herrn Littmann von heute wohl gemocht?

CL: Na, ich hoffe doch. Es gibt ja diesen schönes schöne Zitat von Brecht: „Ein Mann begrüßt Herrn K. mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert“.

IH: Oh! sagte Herr K. und erbleichte.

CL: Ja, richtig. Es würde mich doch ausgesprochen erschrecken, wenn ich mich in all den Jahren nicht verändert hätte...


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