Kultur, Geschichte & Management
Mit allen Sinnen - Malerei von Friedel Anderson und Hinnerk Bodendieck, Fotos von Michael Zapf

Thunfisch-Carpaccio und Avocado-Tatar, Hummerplatten und Rinderfilet – es reicht schon ein flüchtiger Blick auf die Galeriewand, um das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen.
Im Hamburger Hotel Grand Elysée realisierten zwei Maler und ein Fotograf ein bislang wohl einmaliges Ausstellungs- und Buchprojekt: „Mit allen Sinnen – vom Malen, Kochen und Genießen“.

Man muss nur das Fernsehprogramm aufschlagen, um zu festzustellen, welchen hohen Stellenwert die Zubereitung von Speisen heute in unserer Gesellschaft einnimmt. Kochen ist Kultur, Kochen ist Kunst - das setzt sich allmählich auch in all jenen Köpfen durch, die es bislang als bloßes Handwerk ansahen. Kreative hatten jedoch schon immer eine ungemein enge Beziehung zu Lebensmitteln. Man denke nur an die verblüffenden Früchte- und Gemüse-Porträts des Renaissance-Malers Giuseppe Arcimboldo. Oder die opulenten Stillleben der alten Holländer. Was haben sie im 17. Jahrhundert nicht alles aufgetischt, um barocke Sinnesfreuden, aber auch die Vergänglichkeit alles Irdischen darzustellen – in einer bis heute beispiellosen Naturtreue und Detailverliebtheit.

Revolutionär gestaltete sich der Umgang mit Nahrungsmitteln dann im 20. Jahrhundert. Zu Zeiten, als es den „erweiterten Kunstbegriff“ noch gar nicht gab, Anfang der 1930er Jahre, eröffneten italienische Futuristen in Turin die Taverne zum „Heiligen Gaumen“, um die italienische Küche zu erneuern. Andy Warhol porträtierte die erste Suppendose Anfang der 1960er-Jahre und Daniel Spoerri, Erfinder der „Eat Art“, betrieb von 1968-1972 das legendäre „Restaurant Spoerri“, in dem unter anderen Aktionen mit Joseph Beuys, Robert Filliou und Schimmel-Spezialist Dieter Roth stattfanden.
Essen und Trinken haben also eine lange Tradition in der Kunstgeschichte und so ist es nicht verwunderlich, dass sich Künstler heute wieder an das lange Zeit verpönte Genre des kulinarischen Stilllebens heranwagen, um Tafelfreuden abzubilden.

Bei dem Hamburger Maler Hinnerk Bodendieck entstand dieser Wunsch im Jahr 2010, zum 25. Geburtstag des Grand Elysée. Bodendieck beobachtete das flinke Geschäft der Köche und Kellner, die im Sekundentakt Tabletts mit kulinarischen Köstlichkeiten aus der Hotelküche schoben und beschloss spontan: „Hinter diesen Türen möchte ich mal arbeiten“. Die Chefin des Hauses zu überzeugen, war nicht schwer: Christa Block ist begeisterte Kunstsammlerin und Galeristin. Sie war sofort von der Idee begeistert. Gemeinsam schafften sie es, auch Bodendiecks Malerfreund Friedel Anderson aus Itzehoe zu gewinnen, sowie den Hamburger Fotografen Michael Zapf, der bereits das Jubiläumsbuch des Hotels fotografiert hatte. Nachdem auch Küchenchef Peter Sikorra dem ungewöhnlichen Kunstprojekt seinen Segen gegeben hatte, ging es los: Sechs Mal insgesamt traf sich das Trio innerhalb eines Jahres zum gemeinsamen Arbeiten inmitten von Gästen und Angestellten. Wie einst die Künstler am Montmartre beobachteten sie das Treiben in der Brasserie und dem Restaurant Piazza Romana, im „Boulevard- Café“, im Grand Foyer und - mit Fliege und Frack - im Großen Festsaal, während des „Wiener Balls“. Vor allem trieb es sie immer wieder hinter die Kulissen – und wer weiß, was in Hotelgroßküchen für ein Betrieb herrscht, der kann die Geduld und den Langmut der Belegschaft nur bewundern, die ihre Tabletts, Töpfe und Pfannen um Staffeleien und Kamerastative herum jonglierten.

Das Projekt war eine Herausforderung für alle Beteiligten, keine Frage. Insbesondere jedoch eine künstlerische: Einerseits sollten die Räumlichkeiten, Personen und kulinarischen Delikatessen trefflich und wiedererkennbar charakterisiert werden, schließlich sollte ja ein lebendiges Bild des Hotel- und Restaurant-Alltags vermittelt werden - andererseits sollte der malerische Duktus erhalten bleiben und nicht in pure Illustration abgleiten. Das ist bestens Gelungen: Die Interieurs, Porträts und Stillleben sind von beeindruckender malerischer Qualität und Auffassungsgabe. Die Schwierigkeiten, mit denen die Künstler immer wieder zu kämpfen hatten, sind in einem 140-Seiten starken Bildband nachzulesen, den Michael Zapf fotografiert hat und dessen besonderer Reiz in der Verbindung von Malerei und Fotografie, von Künstler-Zitaten und Rezepten liegt. „Ich musste mir auch erstmal klarmachen, dass ich nicht mit der hoch technisierten Food-Fotografie mithalten muss“, ist da beispielsweise von Hinnerk Bodendieck zu lesen. Der an anderer Stelle den Anspruch formuliert, dass man „die Avocado auch als solche erkennen soll - und das nicht nur in ihrer eigentlichen Form, sondern auch in den amorphen Strukturen eines Tatars“.

Bei der intensiven Beschäftigung mit den kulinarischen Delikatessen haben er und sein Kollege Friedel Anderson übrigens jede Menge neuer Erfahrungen gesammelt. Zum Beispiel diese: „Auch Spaghetti werfen Schatten“. Wer hätte das gedacht!

Die Ausstellung „Mit allen Sinnen - Malerei von Friedel Anderson und Hinnerk Bodendieck, Fotos von Michael Zapf“ ist noch bis zum 17. Februar 2013 in der Galerie im Elysee zu sehen: Hotel Grand Elysee, Rothenbaumchaussee 10, 20148 Hamburg.
Das Buch „Mit allen Sinnen“ ist für 27,50 Euro im Grand Elysée und ausgewählten Buchhandlungen erhältlich.


Fotonachweis: v.l.n.r. Maler Friedel Anderson, Christa Block (Grand Elysee), Fotograf Michael Zapf, Grafikdesignerin Barbara Kloth und Maler Hinnerk Bodendiek. Foto: Isabelle Hofmann