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Johann Joachim Winckelmann

Am 9. Dezember 2017 jährt sich der 300. Geburtstag von Johann Joachim Winckelmann.
Als Sohn eines armen Schuhmachermeisters 1717 in Stendal, Sachsen-Anhalt geboren, gelang ihm als Altertumsforscher eine unglaubliche Karriere. Er gilt bis heute als Stammvater der Klassischen Archäologie und der archäologischen Kunstwissenschaft. Winckelmann ließ im 18. Jahrhundert die griechische Antike wieder aufleben. Er machte deren Kunst zum Vorbild einer neuen Epoche im deutschsprachigen Raum: dem Klassizismus. Seine Ideen beeinflussten das geistige Potential der Weimarer Klassik, die deutschen Dichterfürsten Goethe, Schiller und andere Literaten. Und unserer heutiges Bild der Antike.

Nach Schulabschluss, Studium, den beruflichen Stationen als Lehrer, Bibliothekar bei Heinrich Graf von Bünau auf Schloss Nöthnitz sowie Studien der Dresdner Antikensammlung am Hof August des Starken, wurde ihm die Stelle eines Bibliothekars in Rom angeboten. Winckelmann nahm an, denn nur in Rom - seinem "kulturhistorischen Sehnsuchtsort" - konnte er die Antike studieren. Ein kursächsisches Stipendium ermöglichte ihm im Herbst 1755 den Umzug nach Rom. Als Scrittore der Bibliotheca Vaticana und der Altertümer-Verwaltung von Rom machte er eine glänzende Laufbahn. Er bereiste Italien, studierte die antiken Ruinenfelder, die Überreste der Tempelanlagen und Monumentalbauten, die Kunstschätze, vorzugsweise deren Skulpturen. Praktische Erfahrungen sammelte er bei den Ausgrabungen in Herculaneum und Pompeii. Er entwickelte seine Theorie von der Zeitlosigkeit griechischer Kultur und Kunst, der Harmonie von Körper und Geist, der absoluten Schönheit von Architektur und Bildhauerei. Nur, vieles was Winckelmann als griechisches Artefakt deutete, war das Werk römischer Kopisten.

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Als Winckelmann sein erstes Regelwerk die "Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst" 1755 veröffentlichte sowie 1764/67 seine "Geschichte der Kunst des Altertums" schrieb, ahnte er nicht, welche Wirkung beide Werke bis ins heutige Jahrhundert haben sollten. Vor allen Dingen sein legendäres Zitat sollte zum Leitmotiv des Klassizismus werden: "Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdruck."

Die damaligen Architekten besannen sich auf den antiken Proportionskanon, dessen geometrische Grundformen und strenge Symmetrie. Die bildende Kunst versuchte sich von der überladenen Formensprache des Barock und Rokoko zu befreien. Diesen Stilrichtungen setzte Winckelmann sein Bild der Antike entgegen, seinem Ideal von Schönheit und Harmonie, von Natürlichkeit und geistiger Freiheit. Seine Überhöhungen, seine idealistischen Vorstellungen der Antike entsprachen jedoch nicht der historischen Wirklichkeit. Seine epigonale Verherrlichung lässt einen objektiven, kritischen Umgang mit antiken Vorbildern vermissen. "Die ideale Schönheit erhebt sich über den Bereich des Sinnlichen, wird durch den Sinn empfunden, aber durch den Verstand erkannt und begriffen", so Winckelmann. Ganz neu war seine Auffassung von der idealen Schönheit nicht, hatte sie doch bereits der Kunst- und Architekturtheoretiker Leon Battista Alberti in der Renaissance formuliert. In dieser Tradition sah sich Winckelmann. Ganz dem Zeitgeist der Aufklärung verpflichtet, stellte er den Verstand, die Ratio, über die sinnlich wahrnehmbare Realität.

Um die Euphorie der damaligen Antikenrezeption besser zu versehen, sollten Winckelmanns Kunsttheorien im Kontext der politischen Situation des 18. Jahrhunderts gesehen werden: der beginnenden bürgerlichen Aufklärung und der Abkehr vom absolutistischen Despotismus. Winckelmanns idealisiertes Bild vom antiken Griechenland und seiner Kunst prägte nicht nur die Ästhetik des deutschen Klassizismus, sondern auch das Schönheitsideal der bildende Kunst, der Philosophie und Literatur: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller oder Johann Heinrich Wilhelm Tischbein sind einige bekannte Vertreter.

Nach Winckelmann besaßen vor allen Dingen die griechischen Meisterwerke wie der "Apoll von Belvedere" oder die berühmte "Laokoon-Gruppe" diese, seiner Geisteshaltung entsprechende, edle Einfalt und stille Größe. Bei diesen Statuen lohnt sich der Blick auf seine kunsthistorischen Aufsätze. Ändern wir also unsere Sehgewohnheiten und lesen, was Winckelmann im 18. Jahrhundert zu Laokoon schrieb: "Die Skulptur strahlt im Moment des größten Schmerzes Ruhe und Konzentration aus. Es wird hier ein Konzentrat gezeigt, die Essenz also von dem, was und wer Laokoon ist. An der Grenze zwischen Leben und Sterben wird die Seele sichtbar und diese ist groß, würdevoll. Sie ist es einfach, braucht es nicht zu beweisen, kann ruhig, kann still bleiben - stille Größe eben."
Die Laokoon-Gruppe, wahrscheinlich von den Bildhauern Hagesandros, Polydoros und Athenodoros im 1. Jahrhundert vor Christus erschaffen, wurde im Januar des Jahres 1506 von Felice de Fredis in seinem Weinberg auf dem Oppius in Rom, gefunden. Er unterrichtete Papst Julius II. (Giuliano della Rovere) von seiner Entdeckung, der persönlich zum Fundort eilte und den sehr gut erhaltenen Fund für sich beanspruchte. Allerdings handelt es sich bei dieser Gruppe um ein hellenistisches Marmor-Replikat aus dem 2. Jahrhundert vor Christus. Die Skulpturengruppe zeigt den verzweifelten Kampf des trojanischen Priesters Laokoon und seiner beiden Söhne mit zwei Schlangen.

Ein weiteres Beispiel ist der "Apoll vom Belvedere" im Vatikanischen Museum, welcher für Winckelmann das bedeutendste griechische Kunstwerk überhaupt war: "Die Statue des Apollon ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums, welche der Zerstörung desselben entgangen sind", schrieb er 1764. Die Marmorstatue zeigt Apollo, den griechischen Sonnengott als Jäger und Bogenschützen, der gerade einen tödlichen Pfeil auf das Drachen-Ungeheuer Python geschossen hat. Die Statue wurde 1489 auf einem Landgut des Kardinal Giuliano della Rovere an der Via Appia gefunden. "Ich vergesse alles andere über dem Anblicke dieses Wunderwerks der Kunst, und ich nehme selbst einen erhabenen Stand an, um mit Würdigkeit anzuschauen", schwärmte Winckelmann. Auch bei dieser Marmorstatue handelt es sich um die römische Kopie einer griechischen Bronzestatue aus dem dritten Jahrhundert vor Christus.

Anfang 1764 erschien Winckelmanns Hauptwerk, die "Geschichte der Kunst des Alterthums", das die stilistischen Kriterien einer Statue analysiert und so eine historische Zeitbestimmung ermöglicht. Veränderungen in der Kunst gehen immer einher mit politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder religiösen Umbrüchen. Die griechische Antike umspannte einen Zeitraum von Mitte des 7. bis zum 1. Jahrhundert vor Christus. Der Altertumsforscher unterteilte sie in eine archaische, klassische, hellenistische und römische Epoche, wobei letztere bei ihm keine Wertschätzung fand. Die Datierung eines Kunstwerkes hängt nicht nur ab von der Lage des Fundortes, den technologischen sondern auch von ikonographischen und stilistischen Kriterien, wie Kleidung und Haartracht, Körperhaltung, Proportionen des Körpers und die Physiognomie. Waren die archaischen Skulpturen noch blockhaft und steif, die lächelnden Gesichtszüge vereinfacht, die langen Haare gewellt, so finden wir in der klassischen Zeit eine freiere und idealisierte Darstellung von Götterfiguren und mythologischen Heroen. Die bedeutendste "Stilerfindung" war der Kontrapost. Er sorgte für eine ausgewogene Stabilisierung von Stand- und Spielbein, für eine lebendige Veränderung des Körpers und dessen Funktionalität. In der hellenistischen Epoche stand nicht nur die idealisierte Schönheit im Mittelpunkt, sondern auch das menschliche Individuum mit seinen physischen und psychischen Gebrechen.

Winckelmanns Verdienst war es, dass er als erster Altertumsforscher ein einheitliches Konzept für die Stilentwicklung der Kunst im antiken Griechenland aufstellte, wobei er viele vermeintlich griechische Statuen nicht als römische Kopien erkannte. Bis heute gehört die "Geschichte der Kunst des Alterthums" zum Studium der Klassischen Archäologie. Er schuf damit ein Standardwerk für diese Wissenschaft, anhand dessen Studenten antike Kunstwerke einzuordnen lernen. Viele von Winckelmanns Thesen sind allerdings heute widerlegt oder durch die aktuelle Forschung überholt. So vertrat er zum Beispiel das Bild einer marmorfarbenen Antike. Die heutige Antikenforschung hat das längst widerlegt: Die griechische und auch die römische Antike war farbig. Tempel und Skulpturen strahlten in bunt bemalten Farben, waren kunstvoll verziert.
Johann Joachim Winckelmann starb mit nur fünfzig Jahren. Auf einer Reise nach Deutschland wurde er am 8. Juni 1767 in seinem Hotelzimmer in Triest überfallen und ermordet.


Abbildungsnachweis:
Header: links; Christian Ferdinand Sebastian Hartmann: Johann Joachim Winckelmann (nach Angelica Kauffman), 1794, Öl auf Holz. Gleimhaus, Halberstadt rechts; Anton von Maron: Johann Joachim Winckelmann, 1768, Öl auf Leinwand. Schloss Weimar.
Galerie:
01. Hagesandros, Athanadoros, und Polydoros. Lakoon und seine Söhne, auch als Lakoon-Gruppe bekannt. Marmor, Nachbildung aus hellenistischem Original von 200 v.Chr., gefunden auf dem Esquilin in Rom im Jahr 1506. Vatikan Museum; Museo Pio-Clementino, Oktagon, Laocoon Halle. Foto: Tobias Härnvi
02. Johann Winckelmann: "Geschichte der Kunst des Alterthums", 1764. Quelle: Bibliothek der Universität Heidelberg
03. Apollonios' Torso vom Belvedere, von Winckelmann in einer schwärmerischen Ekphrasis beschrieben.
Torso of the Belvedere, neo-attic artwork, 1st century CE. The inscription on the pedestal reads "made by Apollonios, son of Nestor, Athenian". Museo Pio-Clementino (Inv. 1192), Vatican Museums, Rome. Photography: F. Bucher, 140 v. Chr.
04. Ludwig Wilhelm Wichmann Statue Johann Joachim Winckelmann in Stendal (Bronze), 1840-1850 auch als Marmorstatue in der Nationalgalerie Berlin.

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