Kunsthandwerk, Grafik & Design

Wohin man derzeit schaut – alles blüht. Im Schloss Reinbek blüht es sogar im Krummspanner, dem Ausstellungsraum unter der imposanten Dachkonstruktion des Schlosses. Dort präsentiert Dorota Albers noch bis zum 19. August 2018 ihre fragilen Porzellan-Objekte unter dem Titel „Und ewig blüht…“.

 

Der Titel erinnert an die Heimatfilme der 1950er-Jahre, an „Heidi“ und das „Rosenresli“, an eine „Heile Welt“, nach der man sich nach den Kriegsjahren so sehnte. Heute, in Zeiten weltweiter Kriege und Krisen, technologischer Umbrüche und zunehmender Umweltzerstörung, gleicht dieser Titel fast einer Beschwörungsformel. Denn wie man weiß: Nichts blüht ewig. Blumen sind nicht nur ein Symbol der Schönheit, Reinheit, Sinnlichkeit – Blumen sind auch ein Symbol der Vergänglichkeit.

 

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Doch da sie auch nach dem kältesten Winter wieder zu blühen beginnen, Triebe aus halbvertrockneten Zwiebeln und Rosenästen sprießen, gelten sie genauso als Zeichen des Wiedererwachens und der Wiedergeburt.
In ihrem Dorf Apensen bei Buxtehude erlebt Dorota Albers dieses Wiedererwachen der Natur jedes Jahr sehr bewusst. Die vielen japanischen Kirschbäume, die dort wachsen, haben die Künstlerin bereits 2009 zu streng geometrischen Assemblagen in Grün und Rosé inspiriert.
Die fragilen Blütengespinste aus Porzellan und Drahtgewebe, die sie nun im Schloss Reinbek zeigt, sind jedoch ihren Kindheitserinnerungen geschuldet.


Im polnischen Stuhm, wo Dorota Albers 1958 geboren wurde und wo sie bis zu der Übersiedlung mit ihren Eltern nach Deutschland Anfang der 1970er-Jahre aufwuchs, sind die Wälder jedes Frühjahr mit dicken Teppichen von Buschwindröschen übersät. Diesen zauberhaften, kleinen weißen Blüten, die den Waldboden erstrahlen lassen.


Über vierzig Jahre später inspirierten die Erinnerungen an dieses Schauspiel Dorota Albers zu der Werkreihe „Flora“: Zu hauchzarten, fragilen Blütenteppichen und Blütenkissen aus Porzellan, die aus tausenden von Einzelteilen modelliert und dann auf ein feines Drahtgewebe als Trägermaterial genäht sind.
Dennoch ist Dorota Albers keine Keramikerin. Sie ist vielmehr Autodidaktin, Quereinsteigerin in Sachen Kunst. Als junges Mädchen lernte sie zuerst das Kürschner-Handwerk, später absolvierte sie noch eine Ausbildung zur Diätassistentin und widmete sich dann ihrer Familie und den beiden Kindern. Als Künstlerin machte sie sich erst im Jahr 2000 selbständig. Seitdem gibt wohl kaum ein Material, mit dem Dorota Albers noch nicht gearbeitet hat: Acryl, Holz, Kunststoff, Plastikmüll, Eisen, Kupfer, Kohlefaserverbundwerkstoff - sogar ausgekochte Rinderknochen gehören zu dem überraschenden Materialmix der eindringlichen Installationen, mit denen die 59-jährige Themen wie Genforschung, Kernenergie, bedrohte Artenvielfalt und Umweltzerstörung kommentiert.


Ohne ihre beiden Ausbildungen als Pelz-Designerin und Ernährungsberaterin wäre Dorota Albers sicher nicht die Künstlerin geworden, die sie heute ist. Diese beiden Stränge bilden gleichsam die Grundlagen ihrer vielfältigen künstlerischen Projekte: Die gestalterische Kraft und Geduld der Pelz-Designerin verbindet sich hier mit dem profunden Verständnis von gesunder Lebensweise, Umweltschutz und naturwissenschaftlichen Kenntnissen.


So entwarf Albers zum Internationalen Kongress für Maus-Genetik in Braunschweig 2003 (ein Jahr zuvor hatte eine internationale Forschergruppe das Erbgut der Maus vollständig entschlüsselt) die ersten „genmanipulierten“ Austern (aus Keramik), die sie dann 2006 im Helmholtz-Zentrum für Insektenforschung zu einem beklemmenden Abendmahl mit 12 Gedecken, Kronleuchter und gift-grünen Gummihandschuhen aus dem Labor zusammenstellte.

 

Im Greifswalder Max-Planck-Institut für Plasmaphysik setzte sich Albers 2009 mit Fusions-Forschung auseinander und visualisierte die Verschmelzung von Wasserstoffkernen symbolhaft mit der Verschmelzung von Kupferdraht und Porzellan.


Seit 2010 ist Dorota Albers Werk zunehmend poetischer und meditativer geworden. Die philosophischen Fragen des Lebens treiben sie verstärkt um. Die Fragen nach Werden und Vergehen, nach dem Kreislauf der Natur – und nach der oft so überraschend betörenden Schönheit der Natur. Gleichzeitig setzt sich die Künstlerin verstärkt mit ihren Kindheitserinnerungen und den polnischen Wurzeln auseinander.


Alle drei Aspekte konzentrieren sich in den Blüten-Objekten – sowohl inhaltlich, wie auch formal. Denn so, wie die Künstlerin in ihrer Zeit als Kürschnerin Fell für Fell zu einem Pelz zusammennähte, näht sie nun ihre kleinteiligen Porzellan-Elemente zu Blütenteppichen zusammen. Zu Gebilden, die an Fruchtknoten und Dolden erinnern – aber auch an Amöben unter dem Mikroskop, diese vielgestaltige Gruppe von Einzellern, die keine feste Körperform besitzt, sondern durch Ausbildung von Scheinfüßchen ihre Gestalt laufend verändern.


Sie sind zart, schön und hoch empfindlich. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen. Die Werke von Dorata Albers sind nie „nur schön“ und schon gar nicht harmlos. Ein paar dunkle Elemente zeigen die möglichen Veränderungen bereits an. Und wer Frank Schätzings „Schwarm“ gelesen hat, der weiß, dass auch Einzeller angreifen können. Also schützen wir unser Ökosystem. Denn was uns sonst blüht, hat Dorota Albers noch gar nicht ausformuliert.


„Und ewig blüht…“, Porzellanobjekte und Installationen von Dorota Albers

Zu sehen im Schloss Reinbek, Schloßstraße 5, 21465 Reinbek,
geöffnet Mittwoch bis Sonntag 10-17 Uhr,
Eintritt 3 Euro, erm. 1,50 Euro.
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis:

 

Galerie: Alle Fotos: Dorota Albers
01. Vitrine mit verschiedenen Objekten.
02. und 03. Blick in die Ausstellung im Schloss Reinbek.
04. Objekt Flora (Detail), 2015, Rahmen: 50x50x1,5cm, Objekthöhe: 84cm, Drahtgitter, glasierte Porzellanblüten mit Lüsterfarbe
05. Flora I, 2015, Rahmen: 50x50x2cm, Farbpigmente auf Holz, Drahtgitter, glasierte Porzellanblüten mit Lüsterfarbe
06. Ohne Titel, 2016, 50x80x3,5cm, Porzellan, Drahtgaze, Drahtgewebe

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