Kunsthandwerk, Grafik & Design
Gudrun Maass – Retrospektive. Schmuck, Bilder und Objekte aus 45 Jahren

Zum 60. Geburtstag kann man sich alles Mögliche schenken. Ein rauschendes Fest, eine Reise, ein neues Auto – oder eine Retrospektive mit Schmuck, Bildern und Objekten aus 45 Jahren, wie sie die Goldschmiedemeisterin Gudrun Maass am 26. September eröffnet. Ein Besuch im Schenefelder Atelier.

„Sie haben ihr Ziel erreicht“. Dem Navi zufolge muss es hier irgendwo sein. Doch wo? Links ein Discounter, rechts noch einer. Kein Ort, an dem man Kunst erwartet. Und doch – hinter einem langgestreckten Bau taucht der gesuchte Name endlich auf: Kunsthaus Schenefeld. In diesem Komplex hat Gudrun Maas seit 2001 ihr Atelier. Eine großzügige Werkstatt mit drei Räumen und mindestens zehn Arbeitsplätzen, wie geschaffen für die Goldschmiedekurse, die sie hier anbietet.

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Die Vorbereitungen für die große Retrospektive sind in vollem Gange. Gleich neben der Eingangstür stapeln sich Rahmen mit Bildern, die an die Wand sollen, auf dem Tisch liegen die Silberringe, die noch sortiert werden müssen und überall auf, zwischen und unter den Werkbänken tobt das kreative Chaos: Werkzeuge über Werkzeuge, halbfertige Ketten, Ringe und Armbänder, Schächtelchen mit Steinen, Ösen und Haken. Ein unüberschaubares Sammelsurium. Immerhin: Die Glasvitrinen sind größtenteils schon fein säuberlich bestückt. Breite Goldreifen fallen ins Auge, ein mächtiges Collier aus unregelmäßig gefassten Glasscherben, schwere Ringe, die man glatt als Schlagringe einsetzen könnte.

Gudrun Maass ist eine große, kräftige Frau mit großen, kräftigen Händen - das spiegelt sich in ihren tragbaren Kunstwerken. Obgleich: Es gibt auch ganz zarte Stücke. Broschen mit langen filigranen Silberdrähten, die wie Insektenbeide in der Luft zappeln. Verspielte Ohrstecker mit Perlen und Blütenornamente, viel zu klein für sie selbst, doch als Goldschmiedin „muss man auch so etwas im Repertoire haben“.

Die meisten Stücke jedoch gleichen Skulpturen im Kleinformat. Da sind einmal die „Sternenringe“: Kompakte, zumeist runde oder ovale Entwürfe aus Silber, deren Oberflächen von kleinen, unregelmäßigen Pünktchen geschmückt sind: Den Sternenbildern, wie man sie am Nachthimmel sieht.

Sehr ungewöhnlich und attraktiv sind die raumgreifenden Serviettenringe in Silber und Neopren, die von der archetektonischen Formensprache Hubert Kiecols inspiriert scheinen. Einige Kettenglieder erinnern in ihrer floralen Ornamentik und Asymmetrie an die organisch anmutenden Skulpturen von Hans Arp und Max Bill. Andere sind durchbrochen und rufen Assoziationen an Moore-Plastiken wach. Und wieder andere sind eindeutig erotisch und verraten ihre Affinität zum weiblichen Körper.

Ja, stimmt, sagt Gudrun Maass. „Weibliche Formen haben mich immer mehr angesprochen als männliche.“ Das wird auch in ihren Gemälden und Zeichnungen deutlich, die sie in großen Sammelmappen verwahrt: Viele Akte sind hier zu sehen, in Schwarzweiß, in Kohle und Bleistift. Ein paar hart konturierte Mädchen-Portraits. Aber keine Landschaften. Warum nicht? „Nein, Landschaften haben mich nie interessiert. Im Mittelpunkt stand immer der Mensch“, antwortet die Künstlerin. Sie wäre gerne Bildhauerin geworden, aber leider sei das finanziell nie möglich gewesen. Aus dem Elternhaus in Bremerhaven hätte es keine Unterstützung gegeben. Als ältestes von insgesamt drei Kindern sei sie früh angehalten worden, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Und später musste sie als alleinerziehende Mutter eines heute 25jährigen Sohnes zusehen, wie sie über die Runden kommt. Das Bildhauerstudium blieb ein Traum in weiter Ferne.

Immerhin hatten die Eltern die Weichen richtig gestellt und ihre 15-jährige Tochter 1971 in die Lehre bei dem Bremerhavener Goldschmied Peter Oellerich gegeben. „Vom ersten Moment an wusste ich, das ist es!“, sagt Gudrun Maass und man spürt ihre Liebe für dieses Metier. Aber sie wusste auch schon früh, dass konventioneller Schmuck sie wenig interessiert, dass sie vielmehr ihre Kreativität fordern und ganz eigene Objekte, in einer ganz eigenen Formensprache fertigen will. „Ich habe nie Sachen gemacht, um sie zu verkaufen, sondern immer das, was ich wollte. Ich musste mich einfach immer wieder ausprobieren“.

Nach erfolgreich absolvierter Lehre und drei Gesellenjahren, bewirbt sie sich an der Zeichenakademie Hanau, entdeckt dort das Zeichnen und die Malerei, erwirbt die Fachhochschulreife und macht 1979 ihren Meister im Goldschmiedehandwerk.
Im Schenefelder Atelier hängt das Meisterstück nun unter dem Gesellenstück und führt eindrucksvoll den enormen Sprung vor Augen, den die junge Goldschmiedin in den zwei Jahren Hanau gemacht hat. Das obere Stück, eine rechteckige Brosche mit einem zentral platzierten Stein, ist handwerklich zwar tadellos, doch noch wenig aufregend in seiner Optik. Der meisterliche Halsschmuck hingegen ist ein für die Zeit geradezu avantgardistisches Objekt, das seine Spannung aus dem Kontrast zwischen der filigranen Silberkette und dem silber-geschwärzten Anhänger in Form eines schlichten Ovals bezieht. Dieses vollkommene Oval lässt an einen Talisman denken, an die vom Wasser rund geschliffenen Steine am Meer. In jedem Fall an ein Amulett, das seiner Trägerin einen gewissen Schutz verleiht. In seiner minimalistischen Strenge und Funktionalität (Höhenverstellbarkeit) ist dieses Stück eindeutig mehr dem Design als dem Kunsthandwerk zuzurechnen.

Mit dem neuartigen Halsschmuck ist der künstlerisch ambitionierte Weg gleichsam vorgezeichnet. Gudrun Maas geht nach Hamburg, einer Beziehung willen, die leider nicht hält, und lernt hier Hilde Leiss kennen, heute eine renommierte Galeristin und Goldschmiedin mit Sitz am Großen Burstah, damals noch genauso unbekannt und mittellos wie ihre sechs Jahre jüngere Kollegin. Die beiden schließen sich zusammen, treten in die Arbeitsgemeinschaft des deutschen Kunsthandwerks ein und ziehen 1981 in das neu eröffnete Haus des Kunsthandwerks, Koppel 66. Ein halbes Jahr später wird Gudrun Maass gefragt, ob sie nicht Lust hätte, einen Goldschmiedekurs in Lissabon, an der Freien Kunstschule ARCO, zu leiten. Sie hat Lust und fährt – um vor Ort festzustellen, dass keiner ihrer Schüler englisch spricht. „Ich konnte ja auch kein Französisch und kein Portugiesisch, aber die Verständigung hat trotzdem gut geklappt“, erzählt sie lächelnd. Solche Aktionen wie Lissabon seien typisch für sie und wenn es etwas gäbe, das sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht, dann sei es das: „Einfach Ja zu sagen und zu machen!“

So war es nach vier Jahren in der Koppel, als sie in Eppendorf ihren eigenen Laden, die „Goldader“, aufmachte und so war es auch, als sie sich nach der Geburt ihres Sohnes 1990 entschloss, vor die Tore Hamburgs zu ziehen, und sich hier eine Existenz aufzubauen. Und so begann sie 1994 auch eine Ausbildung Orgodynamik, eine Bewusstseinsschulung, um Körper, Geist und Seele in vollkommenen Einklang zu bringen. Nur mit ihrem Ehemann war es nicht ganz so. Mit ihm lebte sie erst 20 Jahre zusammen, ehe sie ihm im vergangenen Jahr ihr Ja-Wort gab.

60 Jahre - eine stolze Zahl. Und ein guter Zeitpunkt, Bilanz zu ziehen. Ist sie zufrieden mit ihrem Leben, mit ihrem Werdegang? „Im Großen und Ganzen schon“, sagt Gudrun Maass und lässt ihren Blick über die Vitrinen mit all den vielen Stücken schweifen, die sie im Laufe der Jahre geschaffen hat und die sie nun als Leihgaben von ihren treuen Kunden für diese Retrospektive zurück erhielt. „Ich bin nicht verwöhnt worden im Leben“, sagt sie nachdenklich „Vielleicht bin ich auch deshalb so stark geworden.“
Und dann, nach einer kleinen Pause: „Vor allem aber bin ich erschrocken, wie schnell die Zeit vergangen ist“.
Isabelle Hofmann

Gudrun Maass – Retrospektive. Schmuck, Bilder und Objekte aus 45 Jahren
Friedrich-Ebert-Allee 3-11. 22869 Schenefeld.
Eröffnung der Ausstellung: Sonnabend, 26. September, 16 Uhr. Sonntag, 27.9. 15-18 Uhr, 28.9.-4.10., 15 -18 Uhr.
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis: Alle Fotos Isabelle Hofmann
Header: Serviettenringe
Galerie:
01. Gudrun Maass mit einer von ihr entworfenen Kette
02. Kette mit flöoiralen Elementen
03. Ring
04. Kette aus Glas