Kunsthandwerk, Grafik & Design
„Fast Fashion“

„Fashion Victims“ nennt man die (zumeist weiblichen) Konsumenten, die jeden Trend mitmachen, egal, ob er zum eigenen Typ passt oder nicht. Die wahren Opfer der Mode jedoch sind weit davon entfernt, irgendeinem Trend folgen zu können. Es sind die Textilarbeiter und vor allem -Arbeiterinnen, die unter meist katastrophalen Bedingungen in Billiglohnländern wie Bangladesch, China, Indien, Kambodscha oder Vietnam für die amerikanische und europäische Überflussgesellschaft schuften.
In der Ausstellung „Fast Fashion“ zeigt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe derzeit die beklemmenden Schattenseiten der Mode, die hierzulande nur allzu gern verdrängt werden.

Politisches Engagement und soziale Verantwortung sind Sabine Schulze, Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe, ausnehmend wichtig, das hat sie schon in der Ausstellung „Endstation Meer“ bewiesen. Wie bei dem großangelegten Plastikmüll-Projekt 2012/2013, soll nun auch „Fast Fashion“ die Menschen wachrütteln: „Es ist uns ein besonderes Anliegen zu zeigen, dass es Leute gibt, die darunter leiden, wenn wir den Hals nicht vollkriegen.“

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Wohl wahr! Die „schnelle Mode“ der Billigketten ist längst zu einem irrwitzigen Textil-Produktions-Müll-Entsorgungs-Kreislauf verkommen. T-Shirts, die weniger als ein Becher Kaffee kosten und Hosen, die unter dem Preis eines Kino-Tickets zu kaufen sind, werden in der Regel kaum mehr als ein, zwei Mal getragen - um dann im Altkleider-Container zu landen und den Weg zurück an den Ursprungsort ihrer Produktion anzutreten.

Im MKG wird dieser Kreislauf in sieben Themenkomplexen didaktisch ausführlich aufbereitet. Von menschenverachtenden Produktionsbedingungen über enormen Ressourcenverbrauch und den schockierend niedrigen Mindestlohn, der sowohl in Asien als auch in Osteuropa weit unter dem Existenzlohn liegt, reicht die Aufklärungsarbeit bis zum lebensgefährlichen Einsatz von Pestiziden. Wer kann sich schon vorstellen, dass bis zu 7000 unterschiedliche Chemikalien in einer Produktionskette eingesetzt werden?!

Wie die Alternative zu diesem Wahnsinn aussieht, zeigt der zweite Teil, „Slow Fashion“, mit nachhaltigen Materialien und Herstellungsverfahren. Und hier gibt es noch viel mehr zu studieren und zu lesen.
Man braucht also Zeit für diese Ausstellung, doch sie lohnt sich und sollte Pflichtprogramm für Schulen sein, denn gerade Teenies sind die Haupt-Konsumenten der Billigware.

Gleich zu Anfang trifft Haute-Couture-Glamour auf Ausbeutung übelster Art. Auf Menschen, die ihr Leben lassen mussten, weil sie von ihren Arbeitgebern gezwungen wurden, in einem Gebäude, in dem Risse festgestellt worden waren und das die Polizei schon abgesperrt hatte, ihre Arbeit aufzunehmen. Der Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza bei Dhakar am 24.4. 2013 ging um die Welt und wurde zum Synonym für die unsäglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Niedriglohnländern. 1127 Menschen starben, 2438 wurden verletzt. Die aus Bangladesh stammende Dokumentarfotografin Taslima Akhter hat unmittelbar nach dem Unglück vor Ort fotografiert und einigen Opfern in ihrer beklemmenden Fotoserie „Death of a Tousand Dreams“ ein Andenken bewahrt.

Doch nicht nur die Menschen leiden unter dem globalen Billigmode-Wettrüsten: In einer Ecke versteckt und mit dem Warnhinweis „erst ab 18 Jahren“ versehen, zeigt ein Video, wie Angora-Kaninchen das Fell bei lebendigem Leib ausgerissen wird. Und wie Schafe bei der industriell ablaufenden Massen-Schur zu Tode gequält werden.

Auf Facebook kursierte unlängst ein erhellendes Video: In einem Supermarkt bietet ein Schlachter leckere Wursthappen zum Probieren an. Die Passanten greifen begeistert zu, doch sobald sie bestellen, zieht der Schlachter ein süßes, rosiges Ferkel aus einer Kiste hervor und wirft es vor den Augen der schockierten Kunden in den (vermeintlichen) Fleischwolf. „Was ist los?“, fragt er mit Unschuldsmine. „Sie wollten doch Würste, oder?“.

Ja, die Menschen wollen Würste – und verdrängen dabei, wie Tiere dafür sterben. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Mode. Auch da dürfen wir Konsumenten nicht mehr die Augen vor den unsäglichen Produktionsbedingungen verschließen. „Fast Fashion“ trägt dazu bei, uns unserer sozialen Verantwortung bewusst werden. „Wir können nur ein kleines Rädchen drehen“, sagt Sabine Schulze, „aber wir müssen versuchen, die Welt zum Besseren zu wenden.“

„Fast Fashion“
Zu sehen bis 20. September 2015, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz. 20099 Hamburg.
Alle Infos und das reichhaltige Begleitprogramm unter www.fastfashion-dieausstellung.de


Abbildungsnachweis:
Header: Susanne Friedel, beyond fashion III, 2012, Piezo-Pigment-Print von analoger Vorlage. © Susanne A. Friedel
Galerie:
01. Tim Mitchell, Clothing Recycled, 2005. © Tim Mitchell
02. Tim Mitchell, Women cut up jumpers, jackets and coats using traditional vegetable cutters. Garment labels advertising expensive brand names and global origins are discarded as worthless information, 2005. © Tim Mitchell
03.
Fast Fashion, Ausstellungsansicht. Foto: Annika Lampe/Friederike Palm
04. Susanne Friedel, beyond fashion I, 2012, Piezo-Pigment-Print von analoger Vorlage. © Susanne A. Friedel
05. Susanne Friedel, beyond fashion VI, 2012, Piezo-Pigment-Print von analoger Vorlage. © Susanne A. Friedel
06. Fast Fashion, Ausstellungsansicht. Foto: Annika Lampe/Friederike Palm
07. Taslima Akhter, Death of A Thousand Dreams, Rojina lost her hand under the rubble. To save her own self Rojina first started cutting her hand. Rojina and her sister Morjina both were worker. Morjina is missing, Savar, Bangladesh, 2013, © Taslima Akther
08. Taslima Akhter, Death of A Thousand Dreams. Missing worker Rina’s (18) Mother still waits for her missing daughter in front of the barricade. Debris of collapse is on the other side of the barricade, Savar, Bangladesh, 2013, © Taslima Akhter
09. Fast Fashion, Ausstellungsansicht. Foto: Annika Lampe/Friederike Palm
10. Paolo Woods, “Pepe“, Haiti, 2013, © Paolo Woods/INSTITUTE
Abdruck jeweils nur eines Motivs von Paolo Woods.
11. Elisa van Joolen, 11”x17” Sweater ‘G-Star RAW x no label x moniquevanheist’. Foto: Blommers / Schumm
12. Manu Washaus, SWEATER, study of the possible II , 2013. © anna.k.o.

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