Fotografie
Exil – Photographien von Antoine Wagner

Das Völkerkunde Museum in Hamburg widmet sich einem zentralen gesellschaftlichen Thema: dem Exil. Ausgangspunkt für die gleichnamige Ausstellung mit Photographien des in New York lebenden Photographen Antoine Wagner war der Blick in die eigene Familiengeschichte.
Der Ururenkel von Richard Wagner hat sich auf Spurensuche ins Schweizer Engadin begeben, um jene Wanderungen durch die Gebirgslandschaft nachzuvollziehen, die der Komponist während seiner Exilzeit zwischen 1849 und 1858 unternommen hat. Beide Wagners ließen sich an diesem Ort inspirieren, der ältere zu seinen Kompositionen beispielsweise des Rings, der andere für ein Photo-Projekt und ein daraus entstandenes Buch.

Die Herausforderung der Ausstellung an der Rothenbaumchaussee in Hamburg liegt nicht allein in einer etwaigen Klärung des Begriffs Exil und den damit verbundenen Fragestellungen, welche Art der Migration denn Exil überhaupt sei. Die Herausforderung ist die Rezeption. Das Publikum wird in die Lage versetzt, multimedial wahrnehmen zu können, um umfassend in die Tiefen dieser Ausstellung einzutauchen. Das einzelne Bild erschließt sich im inhaltlichen Licht nämlich nicht umfassend aus sich selbst, sondern nur aus dem vollständigen Kontext. Die Wahrnehmung aller angebotenen technischen Mittel führt erst dann zu einem Verständnis und zur thematischen Auseinandersetzung. Tut das der Besucher nicht, bleibt er im Fragmentarischen verhaftet. Er kann sich zwar an der Ästhetik, an den Atmosphären der Bilder erfreuen, aber die Sinnhaftigkeit wächst sich erst in der Kombinierbarkeit der Bild- und Tonmittel aus.

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Multimedial heißt: es gibt zwei Bildtypen, das Landschaftsbild und das Portrait, es gibt Texte und es gibt gesprochenen Text sowie Klang. Alle aufgezählten Medien sind gleichwertige Partner innerhalb dieser Ausstellung – daher sollte von einer Installation gesprochen werden, weil es sich um ein raumgreifendes, inhalts- und situationsbezogenes Kunstwerk handelt.

„Der Rezeption eines Bildes haftet – in seiner vermeintlichen Direktheit – unbewusst immer noch der Gestus des Dokumentarischen und damit des Realen, des Authentischen, an.“ (Michael Grisko in „Unscharfe Bilder“ im gleichnamigen Buch von Ulla Hahn.) Die Suche nach „Realitätsgerechtigkeit“ ist gerade bei einem Thema wie Exil verständlich, jedoch für Künstler – und das sind neben Antoine Wagner auch alle Portraitierten, nicht Gebot. Sah man noch vor 180 Jahren die Welt mit dem Auge der Malerei hat die Fotografie dieses Auge dann als glaubwürdige realistische Abbildung ersetzt und ist schließlich durch die Digitalisierung soweit weg von Wahrhaftigkeit wie die Malerei es damals war.
Die Rhetorik der Bilder ist nur soweit glaubwürdig, als wir es glauben möchten.

Natürlich ist das Gegenteil von vermeintlicher Direktheit bei Antoine Wagner so gewollt, denn seit den Ursprüngen der Fotografie, verstand sich das Medium neben dem dokumentarischen Festhalten auch immer als künstlerische Äußerung. So zwingt der Fotograf den Betrachter das längst dekodierte Motiv durch seinen solitär aus der Welt herausgehobenen Ausdruck zu hinterfragen. Ist es wirklich das, was ich sehe? Die Aufklärung, ob es sich bei der Landschaft auf den Fotos tatsächlich um das Engadin handelt, wird nur spärlich gegeben. Es kann sich ebenso gut um ein abgelichtetes Modell, eine digitale Scheinwelt-Montage handeln, ein abfotografiertes Detail einer Postkarte. Die Verortung wird durch die Behauptung des Künstlers, durch die Titel und die eigenen historischen Zusammenhänge festgelegt sowie durch die Konfrontation mit heutigen Bedingungen.

Zwar gibt es die historischen Bezüge zum Ururgroßvater Richard Wagner und dessen Exil in der Schweiz, aber durch das Hinzufügen von zeitgenössischen Portraits, sowie die textliche und sprachliche Kommunikation mit wie auch im einzelnen gearteten Schicksalen, wird die Installation zu einem „Archiv der Gegenwart“, denn der zeitliche Raum zwischen Richard Wagner im Schweizer Exil und den Portraitierten ist latent mitgedacht. Die direkte, konkrete und heutige Erfahrung, also das Erlebte von Exilanten und Migranten wird in dem Kontext Antoine Wagners immer sofort transformiert zum Erinnern und/oder zum eigenen Reflektierten. Die Verantwortung was diese Installation mit uns macht liegt dadurch nicht allein beim Künstler, sondern auch bei uns Betrachtern. Wir müssen einen gehörigen Anteil der angebotenen Kommunikation aufnehmen und weiterführen. Diese Ausstellung regt an zum Nachdenken und zum Diskutieren. Sie ist weder der l’art pour l’art-Ausdruck eines systemimmanenten innerkünstlerischen Diskurses, noch der einer rein soziokulturellen oder ethnologischen Auseinandersetzung. Sie ist schlichtweg wesentlicher: sie gesellschaftsrelevant, getragen durch künstlerische Ausdrucksmittel.
Und weil die einzelnen Werkteile dieser Ausstellung Realität und Abstraktion vermitteln, bilden sie einen großen gedanklichen Raum.

Welche Formen der Abstraktion in dieser Ausstellung zu sehen sind? Der Dreiklang heißt „Landschaft – Portrait – Text/Ton“.

Das Wort Landschaft wird vor allem in zwei Bedeutungen verwendet: zum einen bezeichnet es in der Geographie ein Gebiet, das sich durch naturwissenschaftlich erfassbare Merkmale von anderen Gebieten abgrenzt und zum anderen wird es verwendet als kulturell geprägte, subjektive Wahrnehmung einer Gegend in seiner ästhetischen Ganzheit – also, ein philosophisch-kulturwissenschaftlicher Landschaftsbegriff.
Generell aber gibt es keine einheitliche Definition, was Landschaft sei, weshalb der Begriff aufgrund seiner lebensweltlichen, ästhetischen, territorialen, sozialen, politischen, ökonomischen und ethnologischen Bezüge auch als ein „kompositorischer“ , bezeichnet werden kann, dessen „semantischer Hof“ von einer über tausendjährigen, mitteleuropäischen Ideen-, Literatur- und Kunstgeschichte geprägt wurde. Letzteres interessiert hier in besonderer Weise.
Landschaft ist in dieser kulturellen Konnotation als Haltepunkt der eigenen Existenz verankert. Wir wissen, dass deutsche Exilanten, die aus religiösen Gründen Mitte des 19. Jahrhunderts beispielsweise ihre süddeutsche Heimat im Schwarzwald verlassen haben sich deswegen im US-amerikanischen Bundesstaat Vermont ansiedelten, weil die Landschaft aussah wie in der Heimat oder Schleswig-Holsteiner bevorzugt nach Wisconsin emigrierten, aus eben jenen Gründen. Die Landschaft schafft Vertrauen, der Raum schafft Verlässlichkeit und Bindung.

Eine verbreitete Vorstellung hält Landschaft einfach für ein Stück Natur. „Einfache“ Natur war jedoch noch nie „Landschaft“. Auch nicht in der Kunstgeschichte. Motivauswahl, Komposition und Arrangement von Naturelementen machten Landschaftsgemälde immer schon zu subjektiven Collagen. Heute lässt die digitale Bildbearbeitung Elemente miteinander verschmelzen, und es entstehen sogar Abbildungen von Orten der Welt, die ohne jede Vorlage vollständig oder größtenteils am Computer errechnet worden sind. Letzteres ist bei Antoine Wagner nicht der Fall:
Seine Landschaften sind neben einer rein ästhetischen dokumentarartigen Fotografie, an seinen historischen Kontext gebunden, der familiengeschichtlich als Nukleus zu sehen ist. Der Künstler schafft es aber, den Bildern eine für uns alle nachvollziehbare Gültigkeit zu verleihen. In dem Wissen, dass diese alpine Schweizer Landschaft Inspirationsquelle seinem Ururgroßvater Richard gedient hat ist die erste Abstraktion, weil wir weg vom Bildraum und hin zu einem Klangraum kommen.

Es gibt jedoch weitere Formen der bildnerischen Abstraktion. Auf sehr vielen Bildern ist nämlich kaum oder wenig Landschaft zu sehen, vielmehr eine verschleierte, wolkenummantelte Wirklichkeit. Es sind Wetter, Dunstschwaden, Flüssigkeit in verschiedenen Aggregatszuständen von fließendem Wasser über Wolken zu Schnee und Eis. Der Raum ist den Blicken nicht immer freigegeben, wir fangen lediglich an, zu ahnen und zu vermuten. Wir schauen gegen das Licht in Silhouetten und mit dem Licht auf Felswände.

Diesen Landschaften setzt Antoine Wagner Portraits, die er erst kürzlich in Hamburg und Berlin aufnahm, dialogisch gegenüber und aneinander, als ob es einen tatsächlichen Bezug zwischen Verortung und Person gäbe. Den gibt es aber nicht wirklich, er ist frei konstruiert.
Das Portrait – eigentlich müsste man von Brustbildern oder Büsten sprechen – zeigt Bilder der Identität. Der Begriff ist deshalb passend, weil ihn Antoine Wagner benutzt, denn sein französischer Sprachraum verwendet für das deutsche „Passbild“ das „photo d’identité“. Wagner bat die abgelichteten Protagonisten nämlich Kleidung und Gesichtsausdruck so zu wählen, wie sie das für Passfotos ebenfalls tun würden. Zumeist ungeschminkt, neutral, modisch zurückhaltend. Das Ergebnis – und hier hat sich der Fotograf für eine überaus wirkungsvolle und intelligente Lösung entschieden – ist eben nicht ein Gesichtsfoto, sondern ein, an die Renaissance-Malerei angelehntes Brustbildportrait, das realen Raum und Denkraum nach oben lässt, als ob der Fotograf mit Hilfe des Goldenen Schnitts auch noch die ideale Proportionierung gesucht hätte. Der nicht gefüllte Raum kann durchaus symbolisch als die Leere im Exil gedeutet werden, sowohl als einen externen Raum, den es neu zu füllen gilt, in einem fremden Land und möglichweise in einem anderen kulturellen Sprachraum, zu anderen aber auch als Inneres Exil, in der harten Auseinandersetzung mit sich selbst, das immer auch die Aufgabe des eigenen Ichs in sich birgt. Das macht diesen Dialog so immens kraftvoll. Die Hängung ist aufgelockert, in einer Verschiebung der Regel Landschaftsbild-Portrait-Landschaftsbild-Portrait usw. hin in eine Abfolge von Portrait neben Portrait, was wiederum die bereits erwähnte Renaissance in die erste Reihe ruft und Bildnisse von Malern wie Jan van Eyck, Giovanni Bellini, Sandro Botticelli oder Lorenzo Lotto oder Büsten von Donatello assoziieren.

Eine Verortung der Herkunftsländer und Regionen, die Individualisierung der bestimmten Person ist über die Texte und Erläuterungen gegeben. Das ergibt wiederum einen neuen Dreiklang von unterschiedlicher Herkunft – über eine historisch konnotierte Berglandschaft – zum Hier und Jetzt und dem neuen gemeinsamen Ort des Seins. Die Bilder der Landschaft, die Bilder der Portraitierten sind somit immer auch Projektionsflächen von Schicksalen, von Chancen, von Freiheit und von Möglichkeiten per se, sie bergen aber ebenso in sich Zweifel, Skepsis, Unsicherheit und letztlich Scheitern.

Die Ausstellung „EXIL – Photographien von Antoine Wagner“ ist noch bis zum 31. Januar 2016 zu sehen. Im Museum für Völkerkunde Hamburg, Rothenbaumchaussee 64, in 20148 Hamburg.
Eine Ausstellung von Antoine Wagner in Kooperation mit Peter Schmidt und
dem Museum für Völkerkunde Hamburg.
Öffnungszeiten: Di bis So 10–18 Uhr Do bis 21 Uhr.
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis:
Header: In der Ausstellung. Foto: Paul Schimweg, Museum für Völkerkunde Hamburg
Galerie:
01. Blick in die Ausstellung. Foto: Paul Schimweg, Museum für Völkerkunde Hamburg
02. Portrait Aneta Barcic. Foto: Antoine Wagner
03. Landschaft, Engadin, Foto: Antoine Wagner
04. Portrait Liao Yiwu, Landschaft. Foto: Paul Schimweg, Museum für Völkerkunde Hamburg
05. Portrait Liao Yiwu. Foto: Antoine Wagner
06. Landschaft, Engadin, Foto: Antoine Wagner
07. Portrait Jerome Kouadio. Foto: Antoine Wagner
08. + 09. Blick in die Ausstellung. Foto: Paul Schimweg, Museum für Völkerkunde Hamburg
10. "Landschaftsraum". Foto: Paul Schimweg, Museum für Völkerkunde Hamburg
11. Antoine Wagner

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