Film
Watermark

Zivilisation contra Natur. Es dreht sich alles um das Element Wasser, wie der Mensch damit umgeht.
Entstanden ist eine der faszinierendsten Dokumentationen unserer Zeit. Jennifer Baichwal und Edward Burtynsky nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise rund um den Globus in zehn verschiedene Länder: 199 Stunden Rohmaterial, 29 verschiedenen Medienformate, 20 Orte und deren Schicksale sind ästhetisch virtuos miteinander verflochten. Von Hubschraubern aus gefilmt werden gigantische Staudämme, ausgetrocknete Flussadern, künstlich bewässerte Farmen zu abstrakten atemberaubenden Gemälden.

Ohne Wasser kein Leben, weder Zivilisation noch wirtschaftliche Entwicklung. Es steht für Energie, spirituelle Kraft, Sehnsucht, Freiheit, ist Metapher, Thema vieler Künstler. Um die kostbaren Ressourcen tobt schon seit langem ein unerbittlicher Kampf. “Wenn Wasser umgeleitet wird, gibt es immer einen Gewinner und einen Verlierer, “ sagt der kanadische Photograph und Regisseur Edward Burtynsky. Der Colorado River in Mexiko ist heute nur noch ein ausgedörrtes zerfurchtes graues Flussdelta. Eine alte Indianerin erinnert sich an den Fischreichtum ihrer Jugend, Barsche, Meeräschen. Die Bewohner flüchteten, nichts blieb außer geisterhafter Einöde. Der einst mächtige Strom musste den Bewässerungsanlagen der Plantagen und Felder im nahen Kalifornien weichen. Wüste verwandelte so sich zu fruchtbarem Farmland. Die eigens dafür geschaffenen Beregnungsinstallationen bilden kreisrunde Formen auf den quadratischen Äckern. Ein artifizieller Kosmos auf dem Zeichenbrett entstanden.

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Essay, Meditation, assoziative Collage? Der Dokumentarfilm der beiden kanadischen Regisseure verweigert sich herkömmlichen Definitionen und enthält sich jeglicher Polemik. Es bedarf keiner politischen Belehrungen noch erklärender Kommentare. Die Bilder sprechen für sich selbst. Die Zerstörung spricht für sich selbst. „Watermark” kokettiert nicht mit der Apokalypse, die wird dieser Tage auf der Leinwand nur zu oft praktiziert und verliert dadurch erheblich an Überzeugungskraft. Ehrfurcht, Erschrecken, Bewunderung, Angst, Wut, die Gefühle stellen sich unmittelbar ein. Der Zuschauer wird zu keiner Reaktion gezwungen, sie wird eher beeinflusst vom eigenen politischen Standpunkt, der Rolle, die man selbst in diesem Weltbild einnimmt. Manchmal ähnelt der Non-Fictionfilm Godrey Reggios “Koyaanisqatsi”(1980), nur die Fortschrittskritik ist weniger plakativ, hat nichts von jenem rauschhaften Sog oder mythologisch esoterischem Überbau, der damals so viele begeisterte. Die einzige Vorgabe der Filmemacher: Auf Distanz gehen um das Ausmaß der Katastrophe zu begreifen. Edward Burtynsky und sein Kameramann Nicholas de Pencier drehten mit über einem Dutzender verschiedener Kameras. Gefilmt wurde aus Flugzeugen, Heliokoptern und Aufzügen. Fünfzig Meter hohe ausfahrbare Masten und ferngesteuerte Hubschrauber wurden eingesetzt, um die Motive aus der Vogel-Perspektive zu erkunden.

Gigantische bräunliche Wassermassen schießen mit ungeheurer Wucht ins Bild. Der monumentale Xiluodo-Staudamm in der zentralchinesischen Provinz Henan kann 13,86 Millionen Kilowatt Strom im Jahr erzeugen, mehr als sechs Mal so viel wie der Hoover-Damm in den USA. Der Preis für den Fortschritt ist immer hoch. Überall auf der Welt. Eine alte Dame schildert, wie ihre Familie gewaltsam aus dem Haus in Owen Valley in Kalifornien vertrieben wurde. Jener spektakuläre Bau des Los Angeles Aquädukts taucht auch in Roman Polanskis Neo-Noir „Chinatown” auf. 1913 wurde die Talsperre eingeweiht, zehn Jahre später waren der Fluss wie auch Owen’s Lake völlig ausgetrocknet. Zurück blieb giftiger Staub auf dem Grund des Sees. Um zu verhindern, dass der Wind das Gift aufwirbelt und in andere Gegenden trägt, mussten kostspielige Bewässerungsanlagen gebaut werden, die den Staub als Matsch am Boden halten. Der Film verwebt immer wieder die verschiedenen Erzählstränge zu einem grandiosen globalen Mosaik. Die bildgewaltigen Ornamente erinnern an die Werke großer Meister und die Lieblingsmaler von Edward Burtynsky: Caspar David Friedrich, Jean Dubuffet, David Shapiro und Richard Diebenkorn.

Wasser bedeckt 70 Prozent der Erdoberfläche, 70 Prozent des menschlichen Wasserverbrauchs fließt in die Landwirtschaft, aber es ist auch Grundlage für die Herstellung von Produkten jedweder Art. Eine Gerberei in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh verbraucht für jeden Arbeitsschritt bis zu 2000 Liter für das Färben von Leder. Die giftigen Zusätze wie sechswertiges Chrom, einer der gefährlichsten chemischen Stoffe, fließen direkt in den Buriganga, der Lebensader von Dhaka. Ein Vater wäscht seinem Sohn mit dem verseuchten Wasser das Gesicht. Und natürlich wird das Leder nicht im Land verkauft. Alles ist für den Export bestimmt, Italien, Deutschland, China, Hongkong und die USA. Die tanzenden Fontänen vor dem Hotel Bellagio in der Wüstenstadt Las Vegas. Mehr Wahnsinn als Touristenattraktion. Die Maha Kumbh Mela im indischen Allahabad. 30 Millionen Hindus versammeln sich hier zum rituellen Bad im Ganges um sich von ihren Sünden zu reinigen. Die kunstvollen terrassenförmigen Reisfelder in der Yunan-Provinz Chinas bestehen seit dem Jahr 300, ‘water guards’ schützen sie vor unliebsamen Besuchern. Step Wells, der mehrstöckige Brunnen im indischen Rajasthan, entstand im 12. Jahrhundert, heute ist er fast ausgetrocknet und enthält Müll statt Wasser. Jede Sequenz kommentiert zugleich auch die anderen Szenen.

„Wasser hat die einzigartige Fähigkeit Größe und Form gleichzeitig auszudrücken,” erklärt Jennifer Baichwal. „Es kann die Form eines mäandernden, pastoralen Baches annehmen, es kann ein kleines Rinnsal sein, das von der Kante einer Eisdecke herab tropft oder kann mit monumentaler Kraft auftreten wie die Niagarafälle oder Pazifische Ozean. Doch unabhängig von der Vielfalt seiner Erscheinung ist Wasser im Grunde immer die gleiche Substanz.” In „Watermark” hat jeder Ort seine Geschichte, einen Protagonisten, der uns in wenigen Worten seine Erfahrungen vermittelt wie der Züchter von Meerschnecken in der Luoyan Bucht am Ost-Chinesischen Meer oder der Wissenschaftler, der auf Grönland Proben in bis zu 2.535 Meter Tiefe aus unterschiedlichen Eisschichten entnimmt. „Wir sind Wasser,” sagt Oscar Dennis, während sein Boot über den Stikine River im kanadischen Northern British Columbia gleitet und erzählt von den Menschen die hier lebten, lange bevor die Europäer kamen. Er ist die Stimme, die uns daran erinnern soll, ohne Wasser keine Zukunft, Wasser eint und teilt, im Innern jeder einzelnen lebenden Zelle, ob Mikrobe, Pflanze oder Mensch. Discovery Bay, ein exklusives künstlich angelegtes Wohnviertel in Kalifornien oder der Ogallala-Aquifer, ein Grundwasserleiter von 450.00 Quadratmetern, der durch acht amerikanische Bundesstatten führt, beweisen, dass es mehr Verlierer gibt als Gewinner, wenn Wasser umgeleitet wird und am Ende wahrscheinlich nur Verlierer. H2O in all seinen Aggregatzuständen, von Nahem, aus der Ferne: Vier Jahre recherchierte und fotografierte Edward Burtynsky für dieses Projekt, es ist nach „Manufactured Landscapes” die zweite Zusammenarbeit mit der Dokumentarfilmerin Jennifer Baichwal. („Act of God”, „Payback”). Seine monumentalen scheinbar schwebenden Landschaftspanoramen sind von unglaublicher Schönheit, seltsamer Poesie, aber sie nehmen der Zerstörung nichts von ihrem Schrecken.

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Originaltitel: Watermark
Regie: Jennifer Baichwal, Edward Burtynsky
Herstellungsland: Kanada, 2013
Länge: 92 Min.
Kinostart: 15. Mai 2014
Verleih: Senator Filmverleih


Fotos & Video: Copyright Senator Entertainment AG