Film
Venus im Pelz

Ironisch, provokant, amüsant, erotisch. Geschlechterkampf als Kammerspiel.
Roman Polanski versteht sich auf die düsteren Abgründe der menschlichen Seele. Mit meisterhafter Eleganz und Raffinesse verfilmte er David Ives’ Broadway Hit. Unwiderstehlich: Emmanuelle Seigner.

Das Vorsprechen ist eigentlich längst vorbei, keine der Schauspielerinnen taugte etwas. Theaterregisseur Thomas (Mathieu Amalric) möchte am liebsten alles hinwerfen, zumindest schnell heim, da steht plötzlich Vanda (Emmanuelle Seigner) vor ihm: Laut, vulgär, ungebildet, ganz offensichtlich ohne jedes Talent, aber sie lässt sich nicht abwimmeln, quasselt ununterbrochen. Ein Kaugummi kauendes abgetakeltes Flittchen, genau der Typ von Frau, den Thomas verabscheut. Doch nach und nach verwickelt sie den völlig verwirrten Regisseur in eine Diskussion über das Stück, zwingt ihn nicht nur die Stichworte fürs Vorspielen zu liefern sondern auch die Rolle des masochistischen Severin zu übernehmen.

Das Zwei-Personen-Stück des amerikanischen Bühnenautors David Ives basiert auf der, 1870 erschienen, gleichnamigen Novelle Leopold von Sacher-Masochs. Der österreichische Schriftsteller schildert die lustvolle Selbstunterwerfung des jungen Severin von Kusiemski. Der Adlige, besessen von der Phantasie, einer schönen Despotin ausgeliefert sein zu wollen, verpflichtet sich vertraglich der Auserwählten als Sklave zu dienen. Ives greift die Kernstücke des berühmten Prosatextes auf, baut um ihn herum eine raffinierte moderne Rahmenhandlung, in der sich die Macht- und Ohnmachtskonstellationen der Erzählung auf amüsant groteske Weise spiegeln. Im Film wird nach der traumhaften Kamerafahrt von Pawel Edelman entlang der regennassen menschenleeren Pariser Boulevards ein altes kleines Theater zum klaustrophobischen Mikrokosmos der geheimen Leidenschaften.

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Vanda ist plötzlich um vieles talentierter als vermutet, zaubert Kostüme der Epoche aus ihrer Tasche, beherrscht nicht nur den Text, sondern selbst die Beleuchtungstechnik der Bühne zur Perfektion. Ihr ordinärer Ton scheint spurlos verschwunden, sie wechselt von einer Rolle zu anderen, mal kultiviert weltgewandte Dame aus dem 19. Jahrhundert, dann furchteinflößende Domina in Lack und Leder, Sekunden später wieder kriegerische Feministin, die den Klassiker der Weltliteratur als SM Porno enttarnt. Der arme Thomas/Severin stolpert immer hinter her, entzückt, verschreckt von ihrer Wandlungsfähigkeit oder den eigenen Begierden. Die Grenze zwischen Realität und Phantasie verschwimmt: die Protagonistin versteht sich auf alle Variationen der Provokation und Demütigung. Unwiderruflich wird die fiktive Unterwerfung eine reale.

„Nackt auf der Bühne, kein Problem. Das kriegen sie von mir gratis. Mit Sadomasochismus kenne ich mich aus, ich arbeite schließlich im Theater,” sagt Vanda lakonisch und Polanski stimmt zu. Diese Dialogzeilen waren der auslösende Moment für die Entscheidung des 80jährigen Filmemachers “Venus im Pelz” fürs Kino zu adaptieren mit seiner Ehefrau Emmanuelle Seigner in idealer Besetzung. Ihn fasziniert das Spiel im Spiel, die Art wie die Beziehung Regisseur-Schauspieler parodiert wird, sie ihre Plätze tauschen.

In der frappierenden Ähnlichkeit Mathieu Amalrics mit dem jungen Roman Polanski liegt eine besondere Ironie der boshaften Burleske, da Thomas das absolute Gegenteil ist: Prätentiös, chronisch mürrisch. Selbstgefällig überschätzt er sich und seine kärgliche Kreativität. Jener eitel larmoyante Typ von Künstler, der sich versucht aufzuwerten mit Sprüchen wie: „Andere Regisseure haben ja keine Ahnung, da bringe ich lieber meinen Text selber auf die Bühne.” Vanda hat ihn sofort durchschaut. Gnadenlos demaskiert sie seine Schwächen, seziert jedes Vorurteil mit wissenschaftlicher Präzision. Sie scheint überhaupt alles über ihn zu wissen, selbst über seine Verlobte, das wird auch dem Zuschauer irgendwann unheimlich.

Als Thomas/Severin die Lust gesteht, die ihm als kleiner Junge die Birkenstockschläge seiner Tante im Pelz bereiteten, unterbricht Vanda ihn sofort. Das Stück handle also von Kindesmissbrauch... Den Regisseur packt die Wut, er verliert die Contenance, ob denn in der heutigen Zeit alles gleich Missbrauch sei, schreit er. Es geht darum, wie viel oder wenig ein Autor von sich selbst in seine Charaktere legt, ein bissiges Statement von Polanski über sein künstlerisches Schaffen und seine Erfahrungen mit der Justiz. Der Zuschauer begreift, es gibt hier keinen Unterschied mehr zwischen off stage oder on stage, Novelle, Theater, Film und Wirklichkeit. Ab und zu klingelt Thomas’ Handy, aber die Welt draußen scheint irreal, unvorstellbar, der Donner des Gewitters wie ein reiner Bühneneffekt. Die Ebenen wechseln ständig, das Wirrwarr der Obsessionen verdichtet sich zu einem unentrinnbaren Geflecht, die psychologischen Duelle werden immer symbolischer und abgründiger, verlieren aber nie ihre Komik.

Überall entdecken wir Anspielungen, Parallelen zu früheren Filme Polanskis wie „Rosemaries Baby”, „Tess”, „Der Mieter”, „Wenn Katthelbach kommt”, „Das Messer im Wasser” oder „Bitter Moon”, thematisch, atmosphärisch, manchmal ist es auch nur ein Requisit, ein Kostüm. Als Mathieu Amalric zum ersten Mal in die grüne Hausjacke von Severin schlüpfte, fühlte er sich, als wäre er in „Tanz der Vampire”. Emanuelle Seigner ist sich nicht sicher, ob ihrem Ehemann diese Anspielungen bewusst waren, aber sie ist sicher, dass er deshalb das Skript so mochte, es sei „ziemlich polanskiesk”, erklärt sie in einem Interview. Von all den Rollen der Vanda, hat sie am liebsten den Vamp gespielt.

Finale oder Höhepunkt: Die mysteriöse Protagonistin wird zur rächenden Göttin und Thomas/Severin endet als Frau geschminkt am Marterpfahl. In diesem Fall ein Kaktus, Überbleibsel der Kulisse einer gefloppten Muscial-Version von John Fords Western „Stagecoach”.

Wer den Regisseur oder sein Werk noch besser verstehen möchte: „Roman Polanski: A Film Memoir” (DVD)

Ein Gespräch zwischen Freunden. Regisseur Roman Polanski und Produzent Andrew Braunsberg kennen sich seit Jahrzehnten. Der Zuschauer spürt ihre Vertrautheit. Polanski erinnert sich: Paris, seine Geburtsstadt, die Flucht als Zehnjähriger aus dem Krakauer Ghetto, der tägliche Überlebenskampf allein ohne Eltern. Die Mutter stirbt im KZ, der Vater überlebt das Lager. In seinem Film „Der Pianist” verarbeitet der Künstler die Erlebnisse jener Jahre.

Fiktion und Realität überschneiden sich bei ihm immer wieder. Tragödien und Triumphe. Es geht um Schuld, Sühne, sich und anderen zu verzeihen: Der Mord an seiner schwangeren Frau Sharon 1969 durch die Mason Clique, die Verhaftung 1977 in den USA wegen sexuellem Missbrauchs. Polanski weiß um seine Fehler, beschönigt nichts. Er ist gelassen, eloquent, manchmal zynisch, amüsant, aber es gibt auch Momente tiefer Betroffenheit für ihn und uns. Das Interview wurde aufgezeichnet während des neunmonatigen Hausarrests in seinem Schweizer Chalet. Ein fesselndes Porträt über die außergewöhnliche Karriere des Regisseurs von „Chinatown” und „Rosemaries Baby” mit Filmausschnitten, Making Ofs sowie zahlreichen Zeitdokumenten.

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Originaltitel: La Vénus à la fourrure (Venus im Pelz)
Regie: Roman Polanski
Darsteller: Emmanuelle Seigner, Mathieu Amalric
Produktionsland: Frankreich, Polen 2013
Länge: 96 Min. Verleih Prokino Filmverleih
Kinostart: 21. November 2013

Originaltitel: Roman Polanski: A Film Memoir
Regie: Laurent Bouzereau
Mitwirkende: Roman Polanski, Andrew Braunsberg
Produktionsland: Großbritannien, Italien, Deutschland, 2011
Länge: 90 Min.


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