Film
Pulsierende Metropolen sind denkende Städte

In diesem Jahr widmet sich der Fokus beim 17. Filmfest Hamburg dem Thema "Pulsierende Metropolen" und nähert sich dabei differenziert der Frage nach der Zukunft der globalisierten Megastädte.
Mit dem Begriff der pulsierenden Metropole unterstreicht Hamburg sein Potential einer Kreativhochburg und Medienhauptstadt. Künstler, Filmschaffende, Modedesigner, Musiker, Fotografen, Medienfachleute und Werber – sie bilden ein inspirierendes und zukunftsträchtiges Zentrum für Hamburg. Die lebendige Kultur- und Subkulturszene der Stadt bietet ein anregendes Umfeld und vielfältige Chancen für Kulturschaffende aller Genres - heißt es sinngemäß im Marketingdeutsch der Hansestadt.

Multi- und Subkulturen, Szenen und alternative Lebensformen spielen in Metropolen heute eine wichtige Rolle, sie gelten häufig als Gegenkultur zu den etablierten Strukturen und wirken als innovative Schrittbeschleuniger gesellschaftlicher, kreativer sowie kultureller Entwicklungen. Diese entstehen immer dort, wo günstiger Wohn- und Arbeitsraum vorhanden ist, wo ethnische oder soziale Minderheiten leben und sich Viertel bilden, die sich von der Gesellschaft bewusst oder unbewusst abgrenzen. In der Regel sind diese Stadträume multikulturell oder im Umbruch begriffen und mit einem morbiden Charme.

Auf diese Weise entstanden in Hamburg so unterschiedliche Quartiere wie das Schanzen-, das Karo- und das Portugiesenviertel, Ottensen und St. Pauli, die jeweils für eine gewachsene, eigene und unverwechselbare Szene und Subkultur stehen, sich aber auch wieder verändern können. Mit dem Schlagwort „Gentrification“ werden heute diese gewollten und ungewollten Veränderungen definiert. Diese Phänomene sind nicht auf Hamburg begrenzt, sondern lassen sich weltweit auch in anderen Metropolen finden.

Vom Begriff „pulsierend“ leitet sich nicht nur ein dynamisches Element ab, sondern auch der initiatorische „Impuls“, im Sinne einer „denkenden“ Metropole. Gerade diese Impulse gilt es differenziert wahrzunehmen, denn sie suchen ihre Wege an der Front der geistigen Veränderung einer Großstadt.
„Denkende“, pulsierende Metropolen konstituieren sich weltweit auf unterschiedliche Art und Weise, produzieren wichtige innerstädtische Dynamiken und schaffen einen sich verändernden sozialen und kulturellen Raum.

Der diesjährige Schwerpunkt von Filmfest Hamburg fokussiert diese Entwicklungen und Veränderungen und präsentiert Filme, die aus sehr unterschiedlichen Perspektiven urbanes Leben widerspiegeln, erschreckende Realitäten aufzeigen oder in gelassener Weise ihre Protagonisten durch die Stadt treiben lassen.

In Fatih Akins Film „Soul Kitchen“ stehen Familie und Freunde eines Restaurantbesitzers im Vordergrund. Es geht um die Widrigkeiten des Alltags, um Vertrauen, Liebe und Loyalität. Akin betont zwar, dass die Komödie überall spielen könnte und gerade deshalb ein Heimatfilm sei, nichts desto trotz ist er aber eine Liebeserklärung an Hamburg und beschreibt humorvoll Szenepublikum und ambivalente Verhaltensweisen in einem Kiez.

Anfang der 1990er Jahre entwickelte der israelisch-französische Künstler Meir Eshel aka „Absalon“ ein Lebensprojekt für verschiedene Metropolen auf unterschiedlichen Kontinenten: Tokio, Tel Aviv, Paris, Zürich, Frankfurt/M. und New York. Der französische Dokumentarfilmregisseur Céderic Venail versucht der Radikalität des jung verstorbenen Künstlers auf den Grund zu gehen. Vernail lässt Absalon selbst zu Wort kommen, durch ein altes Tondokument einer Vorlesung an der Pariser Kunsthochschule, das er aus dem Off über Filmszenen legt.

Die Werke Absalons erschließen auf komplexe und gleichzeitig unkonventionelle Weise, Räume auf systematische Art. Seine an Architektur erinnernde Modelle und Prototypen sollten ihm als Wohneinheiten dienen, egal, wo er sich auf der Welt aufhielt. Diese kleinen, aus weißem Gipskarton gefertigten und auf das Notwendigste reduzierte Miniaturwohnungen sind zeitkritische Kommentare zur globalen Mobilität und einem gestörten Verhältnis von Intimität und Öffentlichkeit.

 


 

Einem ganz anderen Thema nimmt sich „Al Ghaba“ (The Demons of Cairo) an. Zwei Millionen Straßenkindern fällt es schwerer in Kairo zu überleben als zu sterben. Gewalt prägt das tägliche Leben, ob für die Kinder oder für die Erwachsenen: Straßenkämpfe, Willkür und Brutalität, aber auch Fürsorge in einigen ganz wenigen Momenten. Der Spielfilm zeigt die ägyptische Hauptstadt als gnadenlosen Moloch und entwirft eine apokalyptische Welt, die nur besser werden kann.

Anders nähert sich der Film „Examined Life“ dem Thema Leben in Metropolen: philosophisch, nachdenklich, lebensklug und intelligent. Die junge Dokumentarfilmmacherin Astra Taylor holt die Denker aus ihren Büros und von deren Schreibtischen weg und fährt oder geht mit ihnen durch die Stadt oder zu Orten, an denen man jedwedes Denken nicht vermutet. Die Stadt prüft unbarmherzig, ob die Philosophen und Intellektuellen es mit ihr aufnehmen können und das gelingt nur, wenn sie die „Elfenbeintürme“ verlassen und auf die Straße kommen. Die Protagonisten sprechen über Moralphilosophie, Sozialwissenschaft, über autonome Individuen, Umwelt und über Themen der Kulturtheorie.

Unterschiedlicher könnten zwei Städte nicht sein. New York ist nicht Belgrad. Robert ist von New York abgestumpft und seinem serbischen Freund Branko vergibt Big Apple keinen Fehler. Um seine Freundin in die USA zu holen soll Robert nach Belgrad reisen, diese dort heiraten, damit sie die US-Einwanderungspapiere erhält. Das Unternehmen scheint völlig schief zu laufen. Belgrad macht den Eindruck als wolle jeder Zweiter so schnell wie möglich die Stadt verlassen: Man sitzt auf gepackten Koffern. „Here & There“ zeigt mit stoischem Humor wie ein New Yorker der serbischen Hauptstadt durchaus etwas abgewinnen kann.

Istanbul ist ein Sammelbecken für Millionen Kleinstbürger, die hart für ihren sozialen Aufstieg arbeiten müssen oder in die Armut abrutschen. Die Vorstädte bestehen aus kriminellen Machogesellschaften. Sie bestimmen darüber, ob jemand erfolgreich sein kann oder nicht. Die Männer in den Anzügen haben das Sagen! Alle Jungen wollen etwas aus sich machen - wie schwer das ist, zeigt „Black Dogs Barking“, rasant, gewalttätig, übertrieben. Eine Sozialkritik aus Istanbul.

In „Low Lights“ geht es um zwei Männer und eine Frau, die sich nach Sonnenuntergang mit Night Driving beschäftigen: ziellosem Cruisen durch Litauens Hauptstadt Vilnius. Die nächtliche Fahrt verwandelt die Stadt; sie kommen an Orte, die man tagsüber gar nicht wahrnehmen würde, sie entdecken nächtliche Rituale der Jugendkultur, fühlen Eros und Freiheit, und lassen sich immer weiter treiben.

Der Schwerpunkt vom 17. Filmfest Hamburg zeigt unterschiedlichste Metropolen mit ungeheuren Gegensätzen. Die Filme sind soziale Kritiken, thematisieren radikale Überlebensstrategien, zeigen gewachsene urbane Traditionen und atemlose Hypermoderne.

Das Programm des Fokus' "Pulsierende Metropolen" umfasst die Spielfilme "Al Ghaba (Demons of Cairo)" (2008) von Ahmed Atef, "Beirut, Open City" (2008) von Samir Habchi, "Black Dogs Barking" (2008) von Mehmet Bahadir Er und Maryna Gorbach, "Bombay Summer" (2009) von Joseph Mathew Varghese, "Burning Down the House: The Story of CBGB" (2009) von Mandy Stein, "Here and There" (2009) von Darko Lungulov, "Low Lights" (2009) von Ignas Mi˚kinis, "No One Knows About Persian Cats" (2008) von Bahan Ghobadi, Fatih Akins "Soul Kitchen" (2009) und "The Firm Land" (2008) von Chapour Haghighat sowie die Dokumentarfilme "A Virus in the City" (2008) von Cédric Venail, "Examined Life" (2008) von Astra Taylor und "Tehran Without Permission" (2009) von Sepideh Farsi.

Fotos: "Al Ghaba" - "Here & There" - "Black Dogs Barking"
Weitere Informationen unter: www.filmfest-hamburg.de
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