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Dabei plagt ihn nicht nur ganz gewöhnliches Lampenfieber, sondern auch noch die ständige Angst, entlarvt zu werden und als Resultat die schlimmstmögliche Katastrophe: Wiederverlust von Marie. Zwar ergeben seine heimlichen, schuldbewussten Recherchen, dass der vermutliche Verfasser der melancholischen Romanze offenbar, nachdem er den Schlusspunkt setzte, Selbstmord beging; Selbstmord aus Liebeskummer – dieser Jüngling war durchaus ein Seelenbruder von David. Aber es könnte ja immer noch jemanden geben, der darüber informiert ist?

Und eines Abends steht dann einer in der Schlange der Buchkäufer, mit langem, grauem Haar und blanken schwarzen Augen, frech, selbstbewusst, geschwätzig: Jacky (Henry Hübchen) erklärt dem entsetzten David, er selbst habe den Bestseller vor langer Zeit verfasst. Nur fand er damals keinen Verleger dafür. Nein, es war nicht seine eigene Geschichte. Er kannte den sentimentalen Helden, den, der sich entleibte.

Jacky legt keinen Wert darauf, David bloßzustellen und sich selbst als eigentlichen Autor zu outen. Einen alten Kerl wie ihn, sagt er, will sowieso keiner sehen. David soll ruhig so weiter machen – er MUSS sogar so weitermachen. Und er MUSS Jacky kommerziell beteiligen. Der Ruhm ist dem alten Gauner egal, der Gewinn ganz und gar nicht. Er hat viele handfeste Tipps, wie der sich steigern ließe, er schwadroniert überall von seiner literarischen Vergangenheit und den Kunstgrößen, mit denen er angeblich befreundet war – (‚Max Frisch hat immer zu mir gesagt…’) - er zwängt sich in das Leben von David und Marie, bei Festen in ihre neue gemeinsame Wohnung und auf den Fotos zwischen sie. Jacky hat sofort erkannt, womit er David erpressen kann: Marie wird alles erfahren, falls David nicht mitspielt.
David spielt also mit.

Im Buch kann er Marie immer nur die unbefriedigende Erklärung liefern, Jacky erinnere ihn an seinen Großvater. Im Film behauptet Jacky, David schon aus dessen Kindheit zu kennen: er sei sein Eishockeytrainer gewesen. Daraus ergibt sich, für jeden einsehbar, eine Art respektvolle Verpflichtung. Wenn der penetrante Alte den Jungen damals schon gecoacht hat, liegt es nahe, dass er dies immer noch tut. Jacky strebt den Agentenstatus an, er managt David, ordinär, laut, ungeniert. Er lebt gut auf dessen Kosten, vor allem trinkt er viel. Marie, die ihn anfangs noch ganz sympathisch fand, hat bald die Nase voll und verlangt von ihrem Liebsten, dass der schreckliche Jacky wieder verschwinden soll. Und ausgerechnet diesen Gefallen kann David ihr doch nicht tun, weil er sie dann umso sicherer verliert…

Henry Hübchen spielt den Jacky (‚Ich bin kein Penner!’) haarscharf an der Grenze zur Karikatur, aber er kippt nie über. Manchmal ist er wirklich abstoßend, manchmal wieder sehr rührend und die ganze Zeit atemberaubend echt.

Alain Gsponer hat ja, im Gegensatz zu Suter, die Möglichkeit, nicht nur zu erzählen, sondern auch zu zeigen. So lässt er bei einem der ersten Gespräche zwischen David und Jacky in einem Restaurant den Alten seinem Gegenüber einen Happen auf der Gabel hinhalten: diese Sülze müsse er unbedingt probieren, die sei großartig. Das ist ganz nebenbei zu betrachten während der Dialog weitergeht. David hat weder Appetit noch Interesse, ihn plagen ganz andere Sorgen, doch wieder einmal ist er der weniger Energische: er schluckt ergeben den Bissen und zeigt damit, dass man im Grunde alles mit ihm machen kann. In der Sülze steckte gewissermaßen der Angelhaken, der nun in seinem Gaumen festhakt.

Bleibt der David in der Romanvorlage eher wehleidig und passiv, bekommt Daniel Brühl ab einem bestimmten Punkt im Film einen harten Blick, strampelt seine Windeln ab und zeigt einen Wutanfall bis zur Mordlust, sehr glaubwürdig und ausgesprochen erfrischend.

Dieser Film ist rund in sich, ich würde sagen aus einem Guss, wenn das für ein so federleichtes Gebilde kein so unpassendes Wort wäre. Alles das, was noch vor zehn oder fünfzehn Jahren deutschsprachige Filme – und gerade heitere! - immer etwas holperig und uncharmant machte, gibt es nicht mehr. Hier stimmt wirklich alles, von Anfang bis Ende, auch der versöhnlicher gehaltene Schluss.

Man geht lächelnd nach Hause.

Lila, Lila Filmstart: 17. Dezember 2009
Ab dem 27. August 2010 auf Blu-rayTM, DVD und als Download erhältlich!

Siehe auch unser Interview mit dem Regisseur Alain Gsponer.

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