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Autorenfilmer Christian Petzold durchquert in „Undine” Realität und Märchenwelten. Seine Heldin verweigert sich dem Nixen-Mythos, sie kämpft um ihre Freiheit, gegen das vorbestimmte Schicksal, will sich nicht rächen, nicht töten, nicht zurück in den See. Nur was tun, wenn man am Ende selber zur Verräterin wird? Entstanden ist eine zauberhafte suggestive Lovestory, vielleicht die schönste der letzten Jahre.
Über den Umweg des französischen Impressionismus erfolgt eine vorsichtige Annäherung an die deutsche Romantik. Die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart schwindet, manchmal auch die Hoffnung auf Erlösung. Édouard Manet trifft auf Edward Hopper. Schauplatz ist Berlin, eine Stadt auf Sümpfen gebaut, die, wie der Regisseur sagt, ihre Geschichte mehr und mehr ausradiere.


Die tragische männermordende Sagengestalt zog Künstler über Jahrhunderte hinweg in ihren Bann: 1811 erschien Friedrich de la Motte Fouqués Erzählung „Undine”. Seine geheimnisvolle Wasserfrau entwickelt sich zur Inspiration par excellence: Albert Lortzing und E.T.A. Hoffmann adaptierten den Stoff für die Oper. Doch ob bei Peter Tschaikowski, Sergei Prokofjew, Richard Wagner oder der britischen Rockband Genesis, die Protagonistin blieb ein Objekt männlicher Begierde, konnte ihrem Fluch nicht entkommen genauso wenig wie der kommerziellen Vermarktung. Hans Christian Andersens Märchen wurde die Vorlage des sentimentalen Disney-Klassikers „Arielle” und Regisseur Neil Jordan inszenierte seine „Ondine” als romantisches Mystery Drama. Mit „Undine geht”, von Ingeborg Bachmann, verändert sich der Blickwinkel, die Umschwärmte und Verkannte vollzieht einen radikalen Rollenwechsel, ergreift selber das Wort.

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Mythologie und Fabeln zufolge kann ein Mann, dessen Liebe nicht erwidert wird, an das Ufer eines verwunschenen Waldsees gehen und Undines Namen rufen. Sie wird kommen. Sie wird ihn lieben, ihn aus seiner Verzweiflung erlösen. Doch diese Liebe hat ihren Preis. Sollten der Mann sie betrügen, muss Undine ihm das Leben nehmen und selber zurück in die Einsamkeit des Sees. Christian Petzolds Undine (hinreißend Paula Beer) ist Stadthistorikerin und lebt in einem anonymen Hochhausappartement. Sie gibt Führungen in der Berliner Senatsstelle für Stadtentwicklung. Der Film beginnt mit dem Moment des Verrats. In fast beiläufigem Ton verkündet Johannes (Jakob Maschenz) das Ende der Beziehung: „Du musst doch etwas geahnt haben.” Sie erstarrt. Hatte er nicht versprochen, sie immer zu lieben? „Wenn du mich verlässt, dann muss ich dich töten. Das weißt du doch." Die Protagonistin verschwindet im Gebäude gegenüber um einen Vortrag zu halten. Der untreue Geliebte soll im Café auf sie warten.

Berlin ist hier nicht die von Kinoleinwand und Bildschirm her gewohnte pulsierende in Neonlichtern flimmernde Metropole, Petzold zeigt sie aus völlig anderer Perspektive. Und wenn Undine vor den zahlreichen Zuschauern über zerstörte Vergangenheiten referiert, wird die fragile Wissenschaftlerin sein alter Ego. Die auf Sümpfen gebaute Stadt besaß keine eigenen Mythen, so der Regisseur, sie wurden „importiert” wie Waren. „Ich habe mir vorgestellt, dass all die Mythen und Geschichten, die, die reisenden Kaufleute hierher gebracht haben, durch die Trockenlegung der Sümpfe wie in einem Watt herumliegen und langsam vertrocknen,” sagt Petzold in einem Interview. „Wir haben einen Umgang mit Vergangenheit und Geschichte in Berlin, der brutal ist.” Die Mauer, einst identitätsstiftend für Berlin, wurde innerhalb kürzester Zeit abgerissen und auch vom Palast der Republik keine Spur mehr, stattdessen entsteht ein Schlossnachbau aus dem 18. Jahrhundert im 21. Jahrhundert, „als wäre Fortschritt unmöglich,” moniert Undine. Für den Filmemacher ist das Dialogzentrum Humboldt Forum reine „Vergangenheitszerstörung”.

Ein Mann um die dreißig (grandios Franz Rogowski) lauscht hingerissen den Worten Undines. Er heißt Christoph und ist Industrietaucher. Magisch angezogen von ihr, folgt er der schönen Akademikerin in das gegenüber liegende kleine Café, drinnen holzgetäfelt, herrlich altmodisch mit einem dunklen düsteren Aquarium. Die Kamera verharrt für Sekunden auf einer winzigen Taucherfigur, ihr werden wir immer wieder begegnen. Anfangs hat Johannes tatsächlich gewartet, die Drohung zeigte Wirkung. Doch jetzt ist nichts mehr von ihm, dem Verräter, zu sehen. Bevor Enttäuschung die Betrogene überwältigt, tritt Christoph in ihr Leben, verlegen lächelnd, macht er eine unbedachte falsche Bewegung, stößt gegen ein Regal, es kippt um, das Aquarium zerbirst, die Akteure stürzen, eine gigantische Welle grünlichen Wassers voller Algen und Fische rollt über die beiden hinweg. Von nun an sind sie zusammen, und wenn nicht, dann können sie den Moment des Wiedersehens kaum erwarten. Zum ersten Mal wird Undine um ihrer selbst willen geliebt. Christoph bewundert ihre Kunst der Formulierung, die intellektuelle Brillanz, nachts im Bett, bittet er sie, ihm die morgige Rede vorzutragen. Undine begleitet ihn auf seinen Tauchgängen in der versunkenen Welt eines Stausees. Aber Christoph spürt zwischen Umarmungen und Zärtlichkeit, dass sie vor etwas davonläuft.

Petzolds See ist kein verwunschener Waldsee, sondern ein Stausee irgendwo zwischen Romantik und Industrialisierung. Gedreht wurde in der Nähe von Wuppertal, der Region, wo der Regisseur aufgewachsen ist: „Die Wupper ist ein Fluss, der eine Grenze markiert, der Styx des Industriezeitalters. Thyssen ist da entstanden, eine kleine Schmiede, die zum Weltkonzern wurde, weil sie damals den besten Stahl der Welt, den Schweizer blauen Stahl kopiert hat und dann hier wesentlich billiger produzieren konnte. Diese Industrie brauchte viel Energie, deshalb sind alle Zuflüsse der Wupper heute Talsperren, für Energie oder Trinkwasser. Und weil das Industriezeitalter, in dessen Anfängen sie gebaut wurden, noch keine eigene Ästhetik hatte, sehen sie oft aus wie alte Kirchen. Da ist beides drin, das gestaute Wasser, die Energie, und ein geflutetes Tal, in dem mal ein Dorf war. Unten ist ein geheimnisvolles, verborgenes Leben, die alten Geschichten, und oben ist die Moderne, der Stahl, und beides ist im selben Raum. So wollte ich die Geschichte bauen, im selben Raum. Und diese verfluchten Wesen, die in den Märchen und Mythen da unten im Wasser ihr Unwesen treiben, die tauchen als Rest in dem Film auf.”

Manchmal fühlt sich das traumartig magische Drama an wie ein entschleunigter Psychothriller. Die Bilder von Kameramann Hans Fromm ähneln mit ihrer geheimnisvoll kühlem Eleganz und Leichtigkeit dem Flüchtlings-Melodram „Transit”, jenem wundervoll komponierten filigranen Neo-Noir-Konstrukt. Dort schien die politische Thematik dominanter genau wie in „Barbara” oder „Phoenix”, aber eigentlich ging es auch dort um Liebe, erklärt der Regisseur: „...um eine unmögliche Liebe oder eine zerstörte Liebe oder eine, die sich entwickelt. Jetzt wollte ich einen Film machen, in dem man sieht, wie die Liebe entsteht und bleibt.” Das klingt nach fast schon gängigem Happy End-Anspruch, weit gefehlt. Es ist unendlich schmerzhaft und traurig, doch dieses Mal entscheidet Undine, wer leben oder sterben wird und nicht das Schicksal. Der Wunsch nach Selbstbestimmung ist charakteristisch für Petzolds Protagonistinnen, sie definieren sich nie über den Mann an ihrer Seite, und der Subtext bleibt politisch. Eng umschlungen gehen Undine und Christoph die Straße entlang, ein Paar kommt ihnen entgegen. Es sind Johannes und seine Neue. Ein heimlicher Blick über die Schulter, in diesem Augenblick sei Undines Herz stehen geblieben, behauptet Christoph. Es ist der Beginn des Verrats, des eigentlichen Thrillers, die Schöne aus dem See hat ihr Vorleben, die Existenz von Johannes verschwiegen. Christoph will nicht verzeihen.

Die Rollen haben gewechselt, Undine ist kein Opfer mehr, hat den Mythos gebrochen, doch die neue Freiheit verlangt bald schon einen unfassbar hohen Preis. Entsagung löst Rache ab, irgendwie klebt der Fluch männlicher Projektion noch an ihr. „Wenn man sich am freiesten fühlt, ist man am angreifbarsten”, glaubt Petzold. Schon in „Transit” begegnen sich Paula Beer (Frantz”) und Franz Rogowski (Lux”), wundervoll wie sie sich ergänzen zwischen Wirklichkeit und Imaginärem, ihre Sehnsucht ist fast greifbar: Er voll romantischen Überschwang, anhänglich wie ein Kind und von rührender Ernsthaftigkeit, ungelenk, liebevoll sentimental, aber unerwartet schlagen seine Gefühle in tiefes Misstrauen um. Die beiden sind einander so nahe, da ist jeder falsche Ton, jeder Zweifel unerträglich, Vertrauen nicht verhandelbar. Undine, der Wassergeist, der durch die Liebe eines Mannes eine Seele erhält, ist ihrem Christoph zugetan, kämpft für diese Beziehung. Sie, das wunderschöne kühle ätherische Wesen ist kompromisslos. Ihre Liebe, die über jede Distanz hält, selbst den Tod überwindet. Verzicht, Trennung wird hier zur höchsten Form der Verbundenheit.

Eine solche Geschichte verfilmen, ist ein Wagnis. Petzold gelingt es: „... wir kommen ja nicht ganz raus aus der deutschen Romantik, da kann man machen, was man will. Wir müssen sie von einer anderen Seite her angehen, über die Impressionisten, über das Kino, über Edward Hopper. ... Die Undine erfährt den Zauber in diesem Film außerhalb des Wassers. Mir war der Zauber wichtig, der in der Gegenwart, durch die Liebe entsteht und nicht, weil alles wie ein verzauberter Ort aussieht. Die Talsperren in der Morgendämmerung, die Unterwasserwelt, die versunkene Stadt, der Wels, das sieht toll aus, das erschließt sich sofort. Aber das Appartement, in dem Undine lebt, ist kein gewachsener, verzauberter Ort, nur die Liebe der beiden verzaubert ihn. Zwei Liebende, die es schaffen, mit ihrer Liebe einen hässliche Ort zu verzaubern, das finde ich beeindruckend.”

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Undine

Regie & Buch: Christian Petzold
Darsteller: Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaare, Anne Ratte-Polle, Jakob Matschenz
Produktionsland: Deutschland, Frankreich, 2020
Länge: 92 Minuten
Kinostart: voraussichtlich 11. Juni 2020
Verleih: Piffl Medien GmbH

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright
Piffl Medien

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