Film
Ein letzter Job

Das Alter ist ein besonders tückischer gefräßiger Moloch, die Zeit drängt, doch Schauspieler wie der 86jährige Michael Caine in „Ein letzter Job” trotzen ihr, machen den Gegner zum Komplizen: Wir sind hingerissen von Caines kühler Ironie, seinem Wortwitz und jener Verletzbarkeit, die wir selbst fürchten, ignorieren, bekämpfen. Hier wird sie voll ausgespielt.
Der britische Regisseur James Marsh inszeniert den legendären Hatton-Gardens-Einbruch anfangs als amüsant melancholische Kriminalkomödie, ein geschicktes Täuschungsmanöver, denn es geht in Wirklichkeit um Macht und Gier, den Kampf mit sich selbst, Loyalität, Verrat, den ewigen Traum vom großen Coup, die Angst vor Armut, Leere, Einsamkeit, der eigenen Bedeutungslosigkeit.

Hatton Gardens, unweit der City of London, gilt seit Jahrhunderten als Zentrum des englischen Diamantenhandels. 300 Juweliere haben hier ihr Geschäft. Fast 1000 Safes und Schließfächer befinden sich im Tresorraum der 1940 erbauten Depotfirma. Eine Versuchung par excellence für jeden ambitionierten Einbrecher, wenn auch bis dahin ein unerreichbares Ziel. Brian Reader (Michael Caine) hat seiner Frau kurz vor deren Tod versprochen, nie mehr mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Während seine Kollegen aus dem Milieu bei der Trauerfeier mit ihren Taten protzen, ist der Gentleman-Gangster einfach nur verzweifelt. Das Haus ohne Lynne ist grauenvoll still, die Tage und Nächte wollen nie enden, da hilft auch kein Whisky. Die Rechnungen häufen sich, auch seine Kumpel stöhnen, Schulden, nur ein schlechtbezahlter Job am Fastfood-Grill und Töchter, die einen herumkommandieren, wie demütigend.

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Schon vor Drehbeginn zu „Ein letzter Job” waren über den wohl spektakulärsten Einbruch in der britischen Justizgeschichte schon zwei Filme, eine TV-Serie und mehrere Bücher herausgekommen. Produzent Tim Bevan und Regisseur Marsh („Die Entdeckung der Unendlichkeit”, 2014) ließen sich davon nicht abschrecken, und erwarben die Rechte an der Artikel-Serie des Reporters Duncan Campbell zum Fall Hatton Gardens. Der investigative Journalist der Tageszeitung The Guardian berichtet seit drei Jahrzehnten über Kriminalfälle und verfügte über die notwendigen Kontakte zur Unterwelt wie auch den ermittelnden Behörden. Die Enthüllungen geheimdienstlicher Überwachungssysteme, wie des Echelon Programms, hatten seinen Ruf in der Branche begründet. Vom ersten Moment des Films an spürt der Zuschauer den trockenen Humor und die Realitätsnähe, wenn der 77jährige Jean Reader vor der Auslage eines Juweliergeschäfts seinen jungen Protegé Basil (Charlie Cox) einweist in die Geheimnisse der hochkarätigen Diamanten. Immer wieder trifft völlige Unkenntnis auf beeindruckendes Fachwissen, Ängstlichkeit auf Courage, Leidenschaft und absolute Kaltblütigkeit. Das Drehbuch schrieb Joe Penhall.

So dreist und abenteuerlich Brian Readers Plan ist, das Ganze erscheint dem Außenstehenden eher als das vergebliche Beharren auf altmodisch solidem Handwerk und straffer Organisation, ausgestattet mit einem Touch Robin-Hood-Romantik, auch wenn keiner der Beteiligten etwas von seiner Beute abgeben will. Die Tat als solche, verglichen mit Abgasskandalen, Haifisch-Bankern, Steuerhinterziehung und internationaler Korruption hat fast etwas Kindlich-Unschuldiges, oder eben Old School. Die leicht zersausten grauhaarigen grummeligen Männer am Küchentisch rühren uns, sie leiden an Arthrose, Schwerhörigkeit, Morbus Crohn, schwerem Diabetes, haben Blasenprobleme, Übergewicht, und selbst wenn es gefährlich wird, nickt schon mal jemand kurz ein. Nicht die besten Vorrausetzungen für einen ausgefeilten Coup von militärischer Präzision. Die einst furchtlosen Haudegen haben unglückseliger Weise von Internet und Digitalisierung keine Ahnung. Geschenkt. Sie vermissen den Thrill ihres alten Lebens. Kriminell zu sein wurde irgendwann Teil der Persönlichkeit, ohne fühlen sie sich überflüssig. Manche der Protagonisten scheinen arg klapprig, andere sind eher ruppig gehässig, doch jeder in seiner verqueren Originalität ist unwiderstehlich. Hier sind die besten britischen Schauspieler versammelt.

Oscar-Preisträger Sir Michael Caine („Hannah and her Sisters”, 1986, „The Cider House Rules”, 1999) verkörpert Brian Reader, das älteste Bandenmitglied mit unglaublicher Subtilität. Im Film selbst erfahren wir wenig Details über dessen Karriere, Reader war so nah am Star-Status, wie das ein Verbrecher nur sein kann und galt als einer der erfolgreichsten Juwelendiebe Großbritanniens, verwickelt in Überfälle und Einbrüche mit einer Beute im Wert von mehr als 200 Millionen Pfund. Sein Name steht für einige der berüchtigtsten Coups, im Alter von 32 Jahren gehörte er zu einer Truppe von Meisterdieben, den ‘Millionär-Maulwürfen’. 1971 hatten sie einen Tunnel in die Lloyds Bank London gegraben. Dort brachen sie 268 Schließfächer auf. Reader wurde auch mit dem Brinks-Mat-Job von 1983 in Verbindung gebracht, einem Raubüberfall in Heathrow, bei dem die Täter Goldbarren im heutigen Wert von 145 Millionen Dollar erbeuteten. Er gab sich als kultivierter Lebemann, besuchte teure Restaurants, segelte im Sommer und fuhr im Winter Ski. Seine Kollegen nannten ihn ‘Gouvernor’. Caine strahlt als Brian Reader ironische Überlegenheit aus, er ist das Mastermind der Gruppe, aber genau das provoziert die Anderen. Zuneigung, Loyalität schlägt um in blanken Hass, die Autorität ist zerstört.

Marsh setzt Jim Broadbent („Another Year”, 2010, „Iris”, 2001) bewusst konträr zu seinem Leinwand-Image ein, keine ausgewogene Balance mehr zwischen Tragik und Komik, dem Nebeneinander von Zufriedenheit und Verzweiflung. „In diesem Film,” erklärt der Regisseur, „spielt er einen ganz üblen Kerl, der das düsterste Herz von allen hat.” Er ist nicht besonders clever dieser Terry Perkins, das absolute Gegenteil von Reader: Ein kaltblütiger Berufsverbrecher, der 1986 am Einbruch ins Hauptquartier der Depotfirma Security Expres beteiligt war, angeblich der größte Bargeldraub. Er wurde zu 22 Jahren Haft verurteilt und bei der Urteilsverkündung als bösartig und skrupellos bezeichnet. Genau 32 Jahre später bohrte Perkins die Öffnung zum Tresor von Hatton Gardens– an seinem 67. Geburtstag. Jeder der ältren Schauspieler in „Ein letzter Job” präsentiert ein Stück ruhmreicher Kinogeschichte, es fasziniert uns weitaus mehr als jener sagenhafte Coup, gleich ob in der Realität oder auf der Leinwand. Den heute 82jährige Tom Courtenay kennen wir noch aus David Leans romantischem Epos „Dr. Schiwago” (1965). Filme wie Peter Yates „Ein ungleiches Paar” (1983) und Andrew Heighs „45 Years” (2015) sind unbemerkt Teil unserer eigenen Vergangenheit geworden. Courtenay verkörpert Johnny Kenny Collins (75), er beschreibt den Wiederholungstäter „als Kriminellen mit der geringsten Kompetenz. Er steht Schmiere und ist verantwortlich für die Flucht. Er hat nicht viel drauf, bringt die anderen schon mal aus der Fassung, weil er ausgesprochen hinterlistig ist. Trotzdem scheinen sie ihn irgendwie zu mögen.”

Und genau daran scheitern später unsere Senioren: Ihrer Unfairness, sie sind hinterlistig, doppelzüngig und große Heuchler, voller Missgunst und Gier. Grade noch genoss der Zuschauer, ihnen zuzuschauen, wie sie am Gründonnerstag 2015 die Sicherheitssysteme von Hatton Gardens lahmlegen, die 50 Zentimeter dicke Betonwand des Tresorraums durchbohren, 72 Schließfächer aufbrechen und Juwelen, Gold, Edelstein, Bargeld im Wert von wahrscheinlich 200 Millionen britischer Pfund erbeuten. Mastermind Reader hat sich zu diesem Zeitpunkt schon ausgeklinkt. „Äußerst Intelligent und extrem kräftig”, so werden die Täter vor den Fernsehkameras charakterisiert, welch ein Triumph des Alters. Aber während die Polizeimaschinerie auf vollen Touren läuft, versuchen die schweren Jungs einander auszutricksen. Eine wundervolle Charakterstudie im Retro-Stil. Neben Danny Jones (Ray Winstone) ist Basil das fünfte Bandenmitglied und das große Rätsel nicht nur dieses Heist-Movies. Er ist der Einzige, der nach dem Einbruch entkommen konnte, aber tat Basil das wirklich? Viele Verschwörungstheorien ranken sich um seine Identität und was aus ihm wurde, wenn es ihn denn tatsächlich gegeben hat. Doch all das ist pure Spekulation. Der Basil im Film versteht sich auf die moderne Technologien, ohne ihn und seine Insider-Tipps wäre der Einbruch nie möglich gewesen, das weiß Reader, aber seine grobschlächtigen Macho-Kumpel behandeln den schmalen schweigsamen Jungen voller Abscheu, halten ihn für schwul und hänseln ihn, ohne überhaupt mit dem Gedanken zu spielen, er könnte ihnen geistig überlegen sein, sie mit ihren eigenen Waffen schlagen.

 

Originaltitel Film: King of Thieves

Regie: James Marsh
Drehbuch: Joe Penhall
Darsteller: Sir Michael Caine, Jim Broadbent, Tom Courtenay, Ray Winstone, Paul Whitehouse, Charlie Cox, Michael Gambon
Großbritannien, 2018
Länge: 103 Minuten
Kinostart: 25. April 2019
Verleih: StudioCanal Deutschland

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright
StudioCanal Deutschland