Film
Beale Street

Woher die innere Kraft nehmen zum Widerstand? Wie sich wehren als Schwarzer gegen die täglichen Demütigungen des Rassismus? Der afroamerikanische Autor James Baldwin war Ikone der Bürgerrechtsbewegung und Gay Community. In einer Welt von Gewalt proklamierte er Liebe als Akt der Rebellion.

Sein 1974 erschienener Roman „If Beale Street Could Talk” galt lange als unverfilmbar. Nun hat „Moonlight”-Regisseur Barry Jenkins jene Chronik juristischer Willkür für die Leinwand adaptiert. Entstanden ist eine schwermütige suggestive Lovestory von unglaublich betörender, schmerzhafter Schönheit. Wahrlich ein Meisterwerk.

Harlem, New York, Anfang der Siebziger Jahre. Nie zuvor war sich die 19jährige Tish (grandios KiKi Layne) ihrer dunklen Hautfarbe so schmerzhaft bewusst wie hier im Besucherraum des Gefängnisses. Eine Glasscheibe trennt sie von dem Mann, den sie liebt. Sie lächelt zaghaft, ängstlich, was wird Alonzo ‚Fonny’ (Stephan James) sagen, wenn er erfährt, dass sie ein Kind erwarten? Die Polizei hat den 22jährigen afroamerikanischen Bildhauer verhaftet, er soll eine Puerto Ricanerin vergewaltigt haben. Tish weiß, ihr Freund ist unschuldig, denn sie haben jenen Abend zusammen mit Daniel, einem Kumpel verbracht. Aber wer glaubt schon Schwarzen oder Vorbestraften, solch Alibi taugt wenig.

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Geschildert werden die Ereignisse aus der Perspektive der jungen Frau. Tish Rivers und ihre Familie lassen nichts unversucht, um Fonnys Freilassung zu erreichen. Ähnlich einem poetisch verklärten Stream of Consciousness durchkreuzen Rückblenden ständig die Gegenwart: der erste Kuss, die vergebliche Suche nach einer Wohnung, der Spaziergang nachts im Regen. Die Wirklichkeit ist brutal, die Augenblicke des Glücks seltsam fragil. Oscarpreisträger Barry Jenkins inszeniert „Beale Street” als Romeo-und-Julia-Parabel, eine expressionistische Choreographie, nur im Gegensatz zu „Moonlight” zurückhaltender, behutsamer, doch nicht weniger intensiv und berührend. Die saturierten sanften Farbtöne variieren zwischen den Zeitebenen, zwischen Resignation, Zärtlichkeit, Verzweiflung und Hoffnung.

„Die Beale Street ist eine Straße in New Orleans, wo mein Vater, wo Louis Armstrong und der Jazz geboren wurden”, schrieb James Baldwin. Beale Street steht für die Viertel der Schwarzen, ob in Jackson, Mississippi, Chicago oder in Miami, eine Metapher für soziale Ausgrenzung, Erniedrigung, aber auch Rebellion, die Melancholie und Schönheit des Blues. „Die Beale Street ist unser Erbe. Dieser Roman handelt von der Unmöglichkeit und der Möglichkeit, von der absoluten Notwendigkeit, diesem Erbe Ausdruck zu geben.” Tish, die schwangere bezaubernde Parfümverkäuferin, wird das Alter Ego des Schriftstellers, ihre Stimme aus dem Off erklärt uns die Psychologie des alltäglichen Rassismus. Der Zuschauer spürt ihren Blick, als würde sie sich direkt an jeden Einzelnen von uns wenden, solche Momente der Nähe sind im Kino selten und kostbar.

Tish heißt eigentlich Clementine, ihre Monologe übernimmt der afroamerikanische Regisseur oft wortwörtlich aus der literarischen Vorlage, aber vor allem fängt er den Rhythmus und die unverwechselbare Musikalität von Baldwins Sprache in atemberaubend suggestiven Bildern ein, gibt dem Porträt seiner Protagonisten die Struktur einer Jazzkomposition. Wie aus schicksalhaften himmlischen Sphären scheint sich die Kamera (James Laxton) am Anfang des Films dem Liebespaar zu näheren. „Bist Du bereit dafür?” fragt Fonny. „Ich war noch nie in meinem Leben so bereit für etwas”, antwortet sie. Die beiden sind als Nachbarskinder zusammen aufgewachsen, saßen kichernd in ihren Unterhemdchen im Schaum der Badewanne. Sexualität miteinander war unvorstellbar, dann eines Tages völlig überraschend wird ihnen die Anziehung, die Körperlichkeit bewusst, in diesem Moment verändert sich ihr Dasein für immer.

So sanft, zärtlich und ungelenk behutsam kann nur Barry Jenkins eine Umarmung in Szene setzen. Erotik gerät auf der Leinwand schnell zu Klischee oder Karikatur, hier in der magischen Abgeschiedenheit von Fonnys karger, feuchter Kellerwohnung entwickelt sich Intimität, Sinnlichkeit, ganz langsam, vorsichtig. „Alle Zeit der Welt”, hatte der Geliebte ihr einst versprochen, es ist die Rachsucht eines irischen Polizisten, die ihn hinter Gitter brachte. Immer wieder wird Tish in den nächsten Wochen und Monaten vor der Glasscheibe des Besuchsraums sitzen und zum Hörer greifen, um dem Vater ihres Kindes Mut zu machen. Das Gesicht des einst unbeschwerten Jungen verändert sich, das Leuchten der Augen verschwindet, juristische Willkür und ein rassistisches System zerstören ihn Stück für Stück. Sich schuldig zu bekennen, um der Höchststrafe zu entgehen, ist das Schicksal vieler zu Unrecht Angeklagter jener Zeit und auch heute noch.

Tish steht hochschwanger hinter dem Tresen des luxuriösen Kaufhauses zwischen teuersten Parfüms, krampfhaft um ein Lächeln bemüht. Das Baby im Bauch tritt heftig, erinnert sie daran, was ein Neugeborenes erwartet mit einem Vater im Knast. Die Arbeitgeber sind stolz auf ihre Großzügigkeit, einer schwarzen jungen Frau Arbeit zu geben in dieser glamourösen Hochburg des Kommerz’. Unsere Heldin fühlt sich den Blicken wehrlos ausgeliefert, ein exotisches Objekt der Begierde. Nicht nur alte weiße Damen kommen, um das Parfum an ihrem Handrücken zu schnuppern. Ein schwarzer Mann würde das nie tun, sinniert Tish, der streckt seine Hand aus, damit die junge Frau sie einsprüht, und hält seine eigene Hand an die Nase. Die Gedanken der Protagonistin kreisen unaufhörlich um die schicksalhafte Aussage jener vergewaltigten Puerto Ricanerin, sie ist untergetaucht, in die Heimat zurückgekehrt. Die Männer der beiden Familien verhökern geklaute Waren, um irgendwie das Geld für Fonnys Anwalt aufzutreiben. Eine Trompete trifft auf ein Streichquartett, die Musik (Nicholas Britell) hat ihren eigenen Dialog zwischen Verzweiflung und Hoffnung.

In ihrer Familie ist Tish umgeben von Liebe und bedingungsloser Loyalität, ganz anders Fonny, dessen aufgetakelte religiös bigotte Mutter (Aunjanus Ellis) theatralisches Entsetzen mimt über eine Schwangerschaft vor der Ehe, sie verteufelt Fleischeslust als Werkzeug des Teufels, Gott wird beschworen in jedem Satz, doch christliche Demut und Mitleid kennt Mrs. Hunt keine, ihr klaustrophobischer Fanatismus ähnelt der Vaterfigur in James Baldwins autobiographischem Roman „Go Tell It on the Mountain”, 1953 („Von dieser Welt”). Sharon Rivers (Regina King), die Mutter der Protagonistin, fliegt nach Puerto Rico, in der Hoffnung, die Zeugin überreden zu können, ihre Aussage zurückzunehmen. King wurde für die Rolle mit dem Oscar als Beste Nebendarstellerin ausgezeichnet und ist wirklich schauspielerisch grandios. Sharon weiß, der Ausgang dieses Abends entscheidet über die Zukunft von Tish und Fonny, in ihrem Gesicht wechselt Entschlossenheit mit Mutlosigkeit, während sie sich vor dem Spiegel im Hotelzimmer sorgfältig schminkt, die Perücke aufsetzt, wieder runterreißt, sie muss jünger, verführerisch wirken, wenn sie ihr Ziel erreichen will. Die erste Runde geht an sie, aber die Begegnung mit dem Vergewaltigungsopfer endet als albtraumhaftes Desaster, die Frau schreit gellend, halb wahnsinnig vor Angst und Hass. Die Mission ist gescheitert.

Barry Jenkins ist ein hinreißender Erzähler und scharfsinniger Beobachter, fast liebevoll legt er eine Schicht nach der anderen frei, dringt so vor bis ins Innerste seiner Figuren. Die Gesichter werden zu einer Art Landschaft in dem magischen Kosmos Harlems, dazwischen geschnitten Schwarz-Weiß-Fotos vom Elend und Kampf auf den Straßen. Tapeten, Kleider, Kissen, die Oberflächen sind wundervoll gemustert, zierliche filigrane Strukturen und Ornamente statt der reichen Vegetation in „Moonlight”. Die Armut hat nichts Klägliches. Die Farben sind von geheimnisvoll melancholischer Schönheit, dergleichen glaubt man nie vorher wahrgenommen zu haben. Der Zorn über Ungerechtigkeit und Polizeiwillkür wird ersetzt durch Trauer, dahinter verbirgt sich aber auch Angst, Unsicherheit. „Beale Street” ist eine Suche nach Identität, die Verweigerung der Opferrolle, stilles Aufbegehren gegen die Unterdrückung. Während die poetisch tragische Liebegeschichte einem Hommage an Wong Kar-Wais „In the Mood for Love” gleicht, klingt Baldwins Roman härter, anklagender.
Der 1987 verstorbene Schriftsteller hatte lange und unerbittlich gekämpft um eine eigene unverwechselbare Sprache, fern vom Einfluss westlicher weißen Kultur. Gefängnisse waren für ihn eine Fortsetzung der Sklaverei.

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Originaltitel: If Beale Street could talk

Regie + Drehbuch: Barry Jenkins nach dem Roman von James Baldwin
Darsteller: Kiki Layne, Stephen James, Regina King, Colman Domingo, Brian Tyree Henry
Produktionsland: USA 2018
Länge: 119 Minuten
Kinostart: 7. März 2019
Verleih: DCM Filmdistribution

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright
DCM Filmdistribution