Film

Wieder gilt die Liebe von Wes Anderson den Vertriebenen, den politisch Verfolgten: der amerikanische Kultregisseur lehrt uns das Erinnern, während er von der Zukunft erzählt und die Gegenwart alles überschattet.
Der skurrile Humor seiner dystopischen Stop-Motion-Parabel „Isle of Dogs – Ataris Reise” ist um vieles düsterer als in der melancholisch grotesken Gaunerkomödie „The Budapest Hotel”. Trotzdem lachen wir, sind hingerissen von dem überbordenden bizarren Zauber dieses neu entdeckten Miniaturkosmos zwischen schillernden Müllhalden und fernöstlicher Kunst, Diktatur und Rebellion, Wuff und Wau. Ein Tanz auf dem Vulkan.


Japan in naher Zukunft, Bürgermeister Kobayashi strebt nach Alleinherrschaft in der (fiktiven) Metropole Megasaki. Er entstammt einer Dynastie, deren Hundehass bis ins zehnte Jahrhundert zurückreicht. Die Population jener von ihm so verabscheuten Vierbeiner ist den offiziellen Verlautbarungen zufolge explodiert, ein Ausbruch von Hundegrippe und ‚Schnauzenfieber‘ macht den besten Freund des Menschen angeblich zur lebensbedrohenden Seuchengefahr für die Bewohner. Der furchteinflößende Lokalpolitiker erlässt Notverordnungen, fordert eine sofortige Quarantäne, die indoktrinierten Massen klatschen frenetisch Beifall. Trash-Island als Exil-Kolonie: Per Seilbahn werden die bellenden Staatsfeinde übers Meer abgeschoben, dann öffnet sich der Boden ihres Transportkorbs und unsanft landen die Tiere auf einer gigantischen Mülldeponie, verseucht von toxischen Chemikalien.

 

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Wenn Wes Anderson einen Film dreht, muss ein ganzes Universum kreiert werden: es hat seine ureigene Zeitrechnung, Geschichtsschreibung, Sprache, Philosophie, Architektur und Dekor. Selbst die Natur erinnert oft weniger an die Realität als an Holzschnitte von Hokusai oder Momoyama-Genremalerei auf goldenem Grund, doch ob Kalligraphie, Haiku oder Kabuki-Theater, es dreht sich um den Hund und für ihn empfindet Wes Anderson immensen Respekt. Dieses Mal arbeitet der Meister des amerikanischen Independent-Kinos ohne literarische Vorlage, das Drehbuch schrieb er zusammen mit Roman Coppola, Jason Schwartzman und Kunichi Nomura. Ihre gequälten Kreaturen/Protagonisten fristen ein kärgliches Dasein auf der Insel. Frisches Wasser ist rar, ohne Nahrung, abgesehen von scheußlichen verschimmelten Abfällen, um die es nicht einmal lohnt, sich zu balgen, sind die Vierbeiner mittlerweile abgemagert zu Skeletten, das räudige Fell, verlaust, verfilzt, beim Kampf um Überleben verliert man schon mal Ohr oder Auge, jedem Satz folgt ein unfreiwilliger Schnief.


Mehr noch als der Verlust ihrer einstigen Haustier-Privilegien, schmerzt aber das lädierte Selbstbewusstsein. Loyalität dem Besitzer gegenüber, Gehorsam, Ergebenheit, Pflichtbewusstsein waren tief in ihrer Seele verwurzelt, nun stehen sie da, um alles betrogen, Heimat, Identität, Zuneigung und fühlen sich zutiefst verraten. Manche haben sich schon an der eigenen Leine erhängt. Niedlich ist nichts an diesem modernen Märchen, ganz bewusst meidet der Regisseur jede Form von awaii, der japanische Ausdruck für süß oder liebenswert, ein ästhetisches Konzept, das Kindlichkeit betont und sich mittlerweile auf die verschiedensten Bereiche der Gesellschaft ausgedehnt hat. “Isle of Dogs- Ataris Reise” verbindet thematisch unerwartet viel mit „The Budapest Hotel”, inspiriert durch Stefan Zweigs Autobiographie „Die Welt von gestern”, Untertitel: „Erinnerungen eines Europäers”. In der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 1942 nahm sich der österreichische Autor in Petrópolis (bei Rio de Janeiro) zusammen mit seiner Frau Lotte das Leben. Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa” und die für ihn daraus folgende Perspektivlosigkeit ließen ihm seinem Empfinden nach keine andere Wahl. Stefan Zweig wurde damit zum Symbol für die Intellektuellen im 20. Jahrhundert auf der Flucht vor der Gewaltherrschaft des Faschismus.


Das Hundegebell wird für uns Menschen ins Englische übersetzt, hinter jedem Tier, jeder Figur verbirgt sich die Stimme eines hochkarätigen Stars, Bill Murray, Yoko Ono, Harvey Keitel, F. Murray Abraham oder Frances McDormand. Das Japanische dagegen bleibt, was es ist, eine Sprache, die außerhalb des Landes nicht viele beherrschen, was dem Verständnis der Handlung keinerlei Abbruch tut, manchen Kritiker aber verstimmt hat und ihn finstere politische Absichten vermuten ließ. Da scheint halt jemand den lakonische vielschichtigen Humor des Regisseurs noch nicht ganz verstanden zu haben. Den meisten Hunden fehlt selbst der Mut der Verzweiflung, zu Rebellen sind sie wahrlich nicht geboren, eher abgerichtet ein Stöcken zu apportieren. „Ich kenne Katzen, die haben mehr Eier als ihr”, spottet ‚Chief‘ (Bryan Cranston). Dabei macht ihm der eigene wilde Charakter zu schaffen, er ist ein Mischling, ein Streuner, nach außen gibt er sich stolz, zynisch und unnahbar. Aber er wird sich nie verzeihen, dass er einmal zugebissen hat, als es jemand gut mit ihm meinte. Wenn die anderen von ihren Lieblingsspeisen schwärmen, was ihnen von Herrchen oder Frauchen früher zum Geburtstag serviert wurde, muss er schweigen. Mit seinen Kameraden, die äußerlich inzwischen einem Straßenköter wie ihm gleichen, hat er wenig gemeinsam außer dem Exil, und doch, auch in seiner Vergangenheit gab es eine unvergessliche Mahlzeit. Momente tiefster Traurigkeit wechseln mit bezaubernd absurden Szenen.


Auf dem Festland treffen wir durchaus noch Menschen, deren ganze Sorge dem Wohl der Hunde gilt. Da ist der zwölfjährige Atari (Koyu Rankin), Neffe und Mündel des machtgierigen Bürgermeisters (Kunichi Nomura), die Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen, seine ganze Zuneigung hat der einsame Junge auf seinen Bodyguard-Hund Spots übertragen, der wurde als erster in die Verbannung geschickt. Despot Kobayashi wollte mit gutem Beispiel vorangehen, kein wirkliches Opfer für einen fanatischen Katzenfreak. Atari dagegen ist untröstlich. Wie ein Besessener hat Professor Watanabe (Akiro Ito) geforscht, um ein Serum gegen das ‚Schnauzenfieber‘ zu entwickeln, aber der Erfolg wird ihm zum Verhängnis. Die magere amerikanische Austauschschülerin Tracy Walker (Greta Gerwig) ähnelt mit ihren gigantischen blonden Afrolook ein wenig Angela Davis, sie setzt bei ihrer Schülerzeitschrift auf ‚toughen‘ investigativen Journalismus und kämpft unverdrossen für Rechte und Rückkehr der diskriminierten Minderheit. Einschüchtern lässt sie sich nicht. Die witzige Fassade des Films wird brüchig, der Humor schwärzer und die Stimmung melancholischer, doch dann taucht am Himmel über Trash Island plötzlich eine winzige Propellermaschine auf, stürzt ab und zerschellt auf dem Müll. Aus den Trümmer kriecht Atari, schwer lädiert, nur das Foto von ‚Spots‘ hat den Unfall heil überstanden.


Endlich hat das Leben wieder einen Sinn, Rex (Edward Norton), Boss (Bill Murray), Duke (Jeff Goldbum) und King (Bob Balaban) sind begeistert, sie wollen dem Jungen helfen, wenn sie auch nicht zu den Tapfersten gehören, machen sie sich mit Atari auf zur epischen Suchexpedition quer über die Insel, begleitet von Alexandre Desplats minimalistischem Soundtrack, Taiko Trommeln geben den Rhythmus vor, und zwischendurch erklingt Prokofiews „Troika”. Chief hat Probleme sich dem Willen eines Menschen zu beugen, auch wenn der noch wie ein zartes Kind ausschaut und hält trotzig Abstand, aber er lässt die Truppe keinen Augenblick aus den Augen. Mit der Seilbahn oder zu Fuß geht es entlang Pipelines, Kanälen, durch stillgelegte Industrieanlagen und einen verlassenen Rummelplatz, über Brücken und Viadukte, das Vernichtungslager mit den schmiedeeisernen Lettern „Welcome Dogs” beschwört Auschwitz und dessen nationalsozialistischer Tötungsmaschinerie. Atari und seine Freunde treffen auf ein Rudel verzweifelter, kranker Hunde, zu medizinischen Experimenten missbraucht, ihr Anführer starb dabei, ein heulendes Wehklagen setzt ein. Das Universum schrumpft zum Puppenhaus, gibt den Blick frei auf unsere Vergangenheit. Die Tiere helfen einander mit Rat und Tat, ob ehemaliges Baseballmaskottchen oder Mops Oracle (Tilda Swinton), so genannt, weil sie Fernsehen versteht. Jeder Hund hat seine ganz eigene Art sich zu bewegen, zu denken, zu bellen, Gefühle zu zeigen oder zu überspielen, ist ein delikates Kunstwerk für sich. Wenn man „Isle of Dogs” schnell ausspricht, klingt es wie „I love dogs”.


Trockener verschrobener Humor bleibt die favorisierte Waffe des Regisseurs, der Lächerlichkeit können sich weder Täter noch Opfer entziehen, die Helden werden vielleicht nie etwas anderes sein als tragisch komisch, obwohl die Hunde im Gegensatz zum Menschen eine besondere Würde haben. Farce und Fantasie verbinden sich auch in dem nostalgischen arbeitsaufwendigem Stop-Motion-Epos zum elegant skurrilen Dekor, der Einfluss von Akira Kurosawa ist unverkennbar. Gigantische Müllquader sind entstanden, filigran, fein ziseliert und farblich betörende Flaschen-Ruinen, der Ideenreichtum ist überwältigend. Akribisch zerlegt Wes Anderson die Welt in ihre kleinsten Bestandteile, um sie dann wieder neu zusammenzufügen auf jene unnachahmliche Weise mit seiner Obsession für Symmetrie und Zentralperspektiven, dieses Mal ist sogar ein wenig Hoffnung mit dabei. Zuvor gilt es jedoch Geheimnisse zu lüften, Verschwörungen zu entlarven und Abenteuer zu bestehen wie die militärischen Roboter-Angriffe des Despoten. Chief verliebt sich derweil in Nutmeg (Scarlett Johansson), ein Show Dog mit wundervoll seidigem Fell, die sich nicht nur auf Kunststücke versteht sondern auch auf die Psyche der Vierbeiner. Die politischen Parallelen zur Gegenwart sind offensichtlich und doch nicht so geplant, Wes Anderson hat sich an historischen Konflikten orientiert bei der Vorbereitung seines Projekts.

 

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Originaltitel: Isle of Dogs

Regie / Drehbuch: Wes Anderson
Sprecher: Bryan Cranston, Frances McDormand, Edward Norton, Tilda Swinton, Scarlett Johansson u.a.
Produktionsländer: Deutschland, USA , 2017
Länge: 102 Minuten
Kinostart: 10. Mai 2018
Verleih:
20th Century Fox Deutschland

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright 20th Century Fox Deutschland

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