Film

Ein felsiger Strand in der Bretagne. Das Rauschen der Wellen wird übertönt vom Geschrei der Möwen. Eine Familie lässt einen Drachen steigen. Etwas weiter weg sitzt Romy Schneider auf der Hotelterrasse, unverwechselbar ihr Stil, Trenchcoat, Pferdeschwanz, Zigarette, sehnsüchtige Ausstrahlung. So beginnt Emily Atefs Film „3 Tage in Quiberon" über die damals berühmteste europäische Schauspielerin und jenes legendäre letzte Interview 1981 mit dem Magazin ‚Stern’.

Es ist das Porträt eines verzweifelten Befreiungsversuchs: intensiv, leidenschaftlich, schmerzvoll, ungeschminkt in der Tradition von John Cassavetes’ „A Woman Under the Influence” (1974). Momentaufnahmen hinreißend melancholischer Schönheit und doch erschreckend realistisch, die Traumrolle par excellence für Marie Bäumer.


In dem exklusiven Kurhotel an der französischen Atlantikküste soll der Weltstar sich erholen, Kräfte sammeln für das nächste Filmprojekt „Die Spaziergängerin von Sans-Souci.” Trotz ihrer schlechten Erfahrungen mit der deutschen Presse hat die Schauspielerin sich bereit erklärt zu einem ausführlichen Interview mit dem „Stern’ –Reporter Michael Jürgs (Robert Gwisdek) und dem von ihr so geschätzten Fotografen Robert Lebeck (Charly Hübner). Die aus Wien angereiste Jugendfreundin Hilde (Birgit Minichmayr) reagiert entsetzt, sorgt sich um die fragile sensible Künstlerin. Sie wird in den folgenden Tagen immer wieder sich schützend vor Romy stellen wollen, doch die möchte eigentlich gar nicht beschützt werden, sie sucht die Konfrontation, will ihr Bild in der Öffentlichkeit revidieren, endlich loskommen von dem fatalen Image-Mix aus Skandal-Diva und Kaiserin Sissi, auf das man sie in Deutschland immer wieder reduzierte. So treffen vier Menschen mit völlig konträren Interessen und Erwartungen aufeinander, eine unterschwellig hochexplosive Mischung. Nicht nur durch seine Ästhetik auch durch die Verlorenheit der Gestalten, ihre Empfindsamkeit, erinnert Emily Atefs filmischer Essay manchmal an Wim Wenders Schwarz-Weiß Epos „Der Stand Der Dinge”.

 

 

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„Sie sind eine Erregung öffentlichen Ärgernisses in Deutschland, Frau Schneider”, Jürgs spielt auf ihre Affären, Scheidungen, Drogenexzesse an, nimmt von der ersten Sekunde an den Star unter Beschuss. Vieles klingt ein wenig teutonisch borniert, selbstzufrieden, übergriffig ist der gängige Begriff dieser Tage, mit dem man/frau sich gern empört, wenn es um Machos geht. Doch die Aggressivität der sogenannten Edelfedern hatte in den Siebziger- und Achtzigerjahren oft einen anderen Stellenwert, sie konnte durchaus auch als Zeichen des Respekts für den Interviewpartner gelten und war bei weniger konservativen Printmedien Pflichtkür. In diesem Fall ist es wie eine Herausforderung, die eine brillante Revanche erst ermöglicht, weil der Journalist die leidigen Vorurteile zitiert. Zudem, unbehagliche Fragen können immer mit „No Comment” abgeschmettert werden, so lernten wir es in unserer Ausbildung. Der Strategien gibt es viele, Schmeicheleien oder betulich inszeniertes Verständnis, jemand wie Romy würde es durchschauen und mit Verachtung strafen. Sie weicht den Attacken des Gegenübers geschickt aus, kontert Fragen mit Gegenfragen, sanft, charmant, mit der Andeutung eines Lächelns, um zu demonstrieren, wer sich an sie heranwagt, sollte intelligenter sein. Sie wechselt die Tonart. Ihre frappierende Offenheit, die Wahrhaftigkeit ihrer Antworten ist zutiefst berührend, wenn sie bekennt, wie unglücklich sie ist. Im richtigen Leben könne sie nichts, auf der Leinwand dafür alles. Immer wieder hatte man die Privatperson mit den Rollen ihrer Filme gleichgesetzt.

 


„Ich versuche grade aus so einer Zwangsjacke auszubrechen. Es hätte alles sehr viel besser laufen können mit meinem Leben.” Jürgs simuliert Mitgefühl, oder meint er es wirklich ernst, wenn er aufmunternd sagt: „Im Moment sind Sie down, aber das geht vorüber”. Romy wirft Lebeck und Hilde einen kurzen vielsagenden Blick zu, plötzlich ist die Verzweiflung aus ihrem Gesicht verschwunden, sie wirft sich auf Boden, wälzt sich auf dem Hotelteppich vor Lachen, wirkt von einer Sekunde zur anderen fünfzehn Jahre jünger, ein koketter Kobold, außer Rand und Band, wie nur Kinder sein können. Hat sie den Journalisten und uns, die Zuschauer, nur gefoppt, sind wir im Grunde eigentlich nur urkomisch mit unserem darstellerisch beschränkten Repertoire an Gefühl und Ausdruck? Oder lacht die Ausnahmekünstlerin so scheinbar befreiend eigentlich aus Verzweiflung, weil sie im Unterbewusstsein ahnt, was wir schon wissen, eine Rettung gibt es für sie nicht. Schändlich bleibt, wie der Journalist beharrt auf dem Thema des Suizids von Ex-Mann Harry Meyen. Wortreich gibt er vor, Zeuge ihres Schmerzes gewesen zu sein, später beichtet er Lebeck, nur sein Wagen stand in der Tiefgarage, die Geschichte stammt von einem Kollegen. Aber die grauenvolle Frage, ob sie das Gefühl habe, nicht mehr hätte tun müssen, diesen Selbstmord zu verhindern, die stammt von ihm.

 


Skrupel kennt Jürgs keine, fragt ungeniert, wie ihr Sohn David damit umgegangen sei, dass sein Vater sich erhängt hat. Genau ihn, den Sohn droht Romy zu verlieren, der Vierzehnjährige zieht ein abenteuerliches Leben an der Seite seines jungen Stiefvaters vor. Was kann ihm die eigene Mutter schon bieten, Depressionen, Exzesse, Warten an den Film-Sets. Der Journalist bezweifelt ihre Eignung zur Mutter, aber Romy selbst denkt ähnlich wie er, da stockt dem Zuschauer der Atem.

 


Selten gelingt es einem Film, derart eindringlich zu schildern, wie viel Trauer, Angst, Depression, Scham sich hinter dem strahlenden Lächeln einer Frau verbergen kann. Schönheit, Charme fungieren als probates Ablenkungsmanöver, sind wie ein verwirrendes, nicht eingelöstes Versprechen auf Glück. Die Betroffenen zwingen sich, die Umwelt zu betören, zu täuschen, spielen das brave Mädchen, wie Romy in den ersten Stunden mit Hilde: „Ich darf an diesem Ort nicht trinken, nicht essen, nicht rauchen, nicht lachen, nichts.” Die Protagonistin wird gegen alle Verbote verstoßen, und letztendlich sich als Versager fühlen. Die eigentlichen Antworten auf Jürgs Fragen erfolgen, wenn er nicht im Raum ist. Der weltberühmte Star sehnt sich nach Normalität, Drachen steigen lassen mit der Familie am Strand, das wäre ihr Traum. Aber sie entfernt sich davon immer mehr, Tabletten, Champagner, ob tagsüber während des Interviews oder Nachts im Hafenrestaurant. Sie tanzt mit einem Poeten-Vagabund (großartig Denis Lavant), der längst seine eigenen Gedichte vergessen hat. Vergessen möchte auch Romy, es gelingt immer nur für Stunden. Gerade noch kann Hilde sie daran hindern, in völlig betrunkenem Zustand, David anzurufen. Als er sie zurückruft den nächsten Tag, lässt sie sich verleugnen, Romy ist ein Wrack. Und doch wird sie den nächsten Tag wieder in die Kamera lächeln.

 


Genau dieses Lächeln berührt den Zuschauer, kaum eine andere Schauspielerin jener Zeit beschwor in Sekunden so viele widersprüchliche Emotionen in uns, Schmerz, Sehnsucht, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Lebenshunger, es ist das Gegenteil von dem einstudierten glatten amerikanischen Hollywood-Smile. Romy arbeitete mit Regisseuren wie Orson Welles, Luchino Visconti, Claude Chabrol, Andrzej Żuławski, Henri-Georges Clouzot, Jacques Rouffio, Francis Girod, Joseph Losey, Pierre Granier-Deferre und vor allem Claude Sautet. In Deutschland maulte man, dass sie der heimischen Filmindustrie den Rücken kehrte. Aufatmen, manches hat sich hier doch verändert, wer im Ausland zu Ruhm gelangt, wird nicht gleich als Landesverräter abgestempelt. Das Wissen um die Nähe des Todes ist immer präsent, verstärkt die Melancholie der Schwarz-Weiß Aufnahmen von Kameramann Thomas Kiennast. Romy klammert sich an die Liebe zu ihrem Sohn wie eine Ertrinkende, nur wegen ihm unterzieht sie sich der Tortur des Interviews und des Entzugs, das eine gelingt, das Andere nicht. Sie will richtig stellen, was in ihren Leben falsch gelaufen ist, David soll erfahren, wie es in ihrem Innersten ausschaut, warum sie unbedingt noch diesen einen Film drehen muss, und dann vielleicht den nächsten und übernächsten. Mit Geld konnte sie nie umgehen, sagt sie, die Mutter hatte sie ausgenützt, hier in Quiberon ist es manchmal nicht viel anders. Die Akteure unterziehen sich gegenseitig Kreuzverhören voller Schuldzuweisungen, böse Worte fallen, Hilde, die glücklose spröde Restauratorin büßt an Sympathien ein, Jürgs gewinnt. Lebeck, der Romy la Belle nennt und sie ihn Beau, wacht an ihrem Bett, er schärft ihr ein, selber über das Schicksal zu bestimmen: „Sag alles ab, schick sie einfach alle zur Hölle”. Drei Monate später stirbt der Sohn, als er versucht über den Zaun des Grundstücks von Daniel Basinis Eltern zu klettern, David wird von einer Eisenspitze aufgespießt. Und am frühen Morgen des 29. Mai 1982 findet der französische Filmproduzent Laurent Pétin die Schauspielerin leblos zusammengesunken am Schreibtisch in der gemeinsamen Pariser Wohnung.

 


Emily Atefs Vater ist Iraner, die Mutter Französin, sie selbst in Westberlin geboren, den Großteil ihrer Kindheit und Jugend hat sie in Frankreich verbracht. Mitte der Achtziger war sie dort im Internat und ihre Mitbewohnerin glühender Romy-Fan. „Sie wünschte sich Romy regelrecht als eigene Mutter und hatte ihr Zimmer mit Postern und Artikeln über sie dekoriert... Jeden Tag bin ich also im Internat zwischen diesen Bildern eingeschlafen, die auch auf mich eine Faszination ausgeübt haben. Zu dieser Zeit lebte Romy bereits einige Jahre nicht mehr- aber ihr Ikonenstatus in Frankreich war ungebrochen. Romy, war so beliebt, dass sie von vielen Franzosen als eine von ihnen angesehen wurde.”

 


Die Wahrhaftigkeit der intimen, uneitlen Bilder Robert Lebecks berührte Atef, zog sie in deren Bann. Dem Fotografen war 1981 gelungen, den Menschen Romy Schneider zu porträtieren und nicht den Weltstar. 600 Bilder entstanden damals bei dem Treffen in Quiberon, Probeaufnahmen, Schnappschüsse aus der Nacht in der Bar. Für Atef („Das Fremde in mir“, „Molly’s Way“) waren sie von unschätzbarem Wert. Als sie anfing zu schreiben, sah sie alle Szenen in schwarz-weiß. „Es ging gar nicht anders, schwarz-weiß fühlte sich einfach richtig an”, funktionierte als Brücke zur fiktionalen Geschichte. Es ging Atef nicht darum, die Erlebnisse realitätsgetreu nachzuerzählen, sondern den Zustand erlebbar zu machen. Die Realität diente lediglich als Inspiration. Auch das Interview von Michael Jürgs ist nicht eins zu eins das Interview aus dem ‚Stern’ sondern ihre Interpretation davon. „Jürgs ist die Figur mit der größten Entwicklung”, erklärt die Regisseurin in einem Interview, „Vom anfänglich sehr ehrgeizigen und manipulativen Antagonisten zu jemandem, der am Ende Gefühl zulässt und loslassen kann.” Nach dem tödlichen Unfall ihres Sohnes versteckte sich Romy vor der Presse. Nur Jürgs und Lebeck hat sie noch einmal zu sich eingeladen und ein unendlich trauriges Interview gegeben. Jürgs hat dieses Interview aber nie veröffentlicht.

 

 

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Originaltitel Film: 3 Tage in Quiberon

Regie / Drehbuch: Emily Atef
Darsteller: Marie Bäumer, Birgit Minichmayr, Robert Gwisdek, Charly Hübner, Denis Lavant
Produktionsländer: Deutschland, Österreich, Frankreich, 2018
Länge: 114 Minuten
Kinostart:12. April 2018
Verleih: Filmverleih Prokino

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright
Filmverleih Prokino

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