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Mistress America Film Trailer

Hintergründige Screwball Comedy mit einer hinreißenden Greta Gerwig. Die Muse des amerikanischen Arthaus-Kinos spielt in „Mistress America” eine vor Energie sprühende Dreißigjährige beim vergeblichen Kampf um Karriere und Lebensglück im mondänen New York.
Den tragisch-komischen Selbstfindungstrip seiner konfusen Heldin inszenierte Noah Baumbach in der Tradition von Ernst Lubitsch und Howard Hawks. Das Drehbuch schrieb der Regisseur wieder zusammen mit Freundin Greta Gerwig. Manches erinnert verdächtig an ihren gemeinsamen Film „Frances Ha” (2012), ist aber genau das Gegenteil des in melancholischem Schwarz-Weiß gedrehten Hommage an Jean-Luc Godard und Woody Allen. Der kunterbunte Retro-Mix aus moderner Satire und altmodischer Hollywood Farce explodiert vor Farbe, Tempo, Wortwitz genau wie seine Protagonistin.

Die 18jährige Tracy (Lola Kirke) sucht verzweifelt Anschluss, Stadt und College fühlen sich noch immer wie feindliches Territorium an. Die Seminare sind öde, die Mitbewohnerin ist bösartig, das Literaturmagazin, für das sie gerne schreiben würde, scheint unerreichbar. Und ihr Schwarm Tony (Matthew Shear) hat ein extrem eifersüchtiges Sweetheart namens Nicolette (Jasmine Cephas-Jones). Nur deshalb ruft die schüchterne Tracy Brooke (Greta Gerwig) an, eine für sie bis dahin völlig Unbekannte, deren verwitweter Dad aber bald ihre geschiedene Mutter heiraten wird. Die zukünftige Stiefschwester zeigt sich begeistert, schon beim erstes Treffen auf dem Times Square verstehen die beiden sich auf Anhieb blendend. Von dem Drive der coolen, weltgewandten, eloquenten Brooke ist die unbedarfte Studentin völlig hingerissen. Sie selbst schafft es nicht mal Pasta im Supermarkt zu kaufen, und hier ist jemand, der ganz offensichtlich alles kann und weiß. Die Ältere nimmt das introvertierte Küken nur zu gerne unter ihre Fittiche, Bewunderer kann man nie genug haben und eine neue beste Freundin braucht sie dringend. Erzählt wird die Geschichte wie oft in der amerikanischen Literatur aus dem Blickpunkt des Neuankömmlings, dem Greenhorn, vielleicht berühmtestes Beispiel F. Scott Fitzgeralds „Der große Gatsby” (1925).

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Brooke scheint kreativ, dynamisch, clever. Sie hat Stil, und darauf ist sie sehr stolz, leider keinen wirklichen Beruf, aber große Ambitionen und viele Projekte am Laufen: als Innenarchitektin, Spin Trainer, Mathe Nachhilfe. Sie ist dabei, ihr erstes kleines Restaurant zu eröffnen, eine Art Künstler- und Nachbarschaftstreff mit noch unzähligen anderen Funktionen, sogar als Friseursalon, ‚Mum’s’ soll es heißen. Das Einzige was noch fehlt, ist das Geld. Ihr Leben ähnelt einem kunstvollen Durcheinander aus den verschiedensten Rollen, zwischen denen Brooke in frappierendem Tempo kurzfristig hin und her wechselt und eigentlich alle bravourös beherrscht (findet zumindest Tracy). Doch ob sie auf der Bühne mit einer befreundeten Band tanzt, in einer chicen Kneipe mal wieder den Mittelpunkt mimt oder die Feuerleiter hinaufkrabbelt zu ihrem Industrie-Loft (was natürlich nicht ihr gehört), es bringt sie den hochgesteckten glamourösen Zielen in keiner Weise näher. Der wilde Aktionismus und ungezügelte Tatendrang der Protagonistin verschlägt dem Zuschauer manchmal die Sprache, trotzdem starren wir völlig fasziniert auf das närrische flatterhafte Wesen. Wir glauben ihr bald schon kein Wort mehr, sind uns hundertprozentig sicher, dass alles, was diese junge Frau anpackt, zum Scheitern verurteilt ist, wollen aber trotzdem nichts davon verpassen. Ob als Francis oder Brooke, Greta Gerwig macht den Misserfolg zu einem unwiderstehlichen Leinwanderlebnis. Jene Mischung aus verdrängtem Selbstzweifel, Hoffnung, Naivität und absurder Zuversicht, entlarvt die angeschlagene Heldin als geborene Tagträumerin. Ihr scheinbar unerschütterlicher Glaube an sich selbst ist unendlich peinlich (irgendwann kapiert das sogar Tracy), aber diese für ihr Alter so erschreckend kindliche Ernsthaftigkeit hat zugleich auch einen entwaffnenden Charme. Brooke ist ein Widerspruch in sich, vielleicht die heimliche Karikatur eines jeden von uns, Kollateralschaden der Gier nach sozialem Aufstieg.

Der Autorenfilmer präsentiert uns die geschwätzigen Hipster New Yorks als Verkörperung des modernen Narzissmus. Originell sein um jeden Preis, koste was es wolle. Verletzbarkeit muss kaschiert werden, Sensibilität ist nur erlaubt als Quelle der Inspiration und leicht vermarktbarer Trends. Der schlimmste Makel ist, nicht mehr jung zu sein, Brooke negiert die zwölf Jahre Differenz zwischen sich und der zukünftigen Stiefschwester mit Vehemenz. In dieser Welt ist nichts von Dauer, alles fragil, unsicher, permanent in Auflösung begriffen. Beziehungen und Freundschaften werden probiert, benutzt und dann lieblos entsorgt. Tracy entdeckt, dass Brooke mit ihren endlosen Enttäuschungen die perfekte Hauptfigur für eine Kurzgeschichte abgibt. Der Titel: „Mistress America” nach einer TV Show, für die die 30jährige mal wieder eine der üblichen großartigen Ideen hatte, aus denen nichts wurde. Die Zeit der Bewunderung ist endgültig vorbei, jene Stiefschwester in spe nur noch ihr obskures Objekt literarischen Interesses, das es optimal auszubeuten gilt. Der Schriftsteller als Parasit? Im 18. Jahrhundert nannte es der Kupferstecher Giovanni Battista Piranesi beobachtende Phantasie. Noah Baumbach mischt Tragik und Komik immer wieder neu und anders, Verzweiflung, Betrug, Schuld, Illusionen und Realität. Seine amüsanten Beziehungsgeflechte, durchzogen von kapriziösen eleganten schnellen Worttiraden erinnern an Peter Bogdanovitchs „They All Laughed” (1981), ein Film für den auch Wes Anderson und Quentin Tarantino schwärmen. “Ich habe meine Mutter sterben sehen,” ruft Brooke ihrem Schützling zu. Offensichtlich ein unergiebiges Thema, also wechseln sie zu gefrorenem Jogurt. Sentimental ist der Film gewiss nicht, eher eine bitter-süße zärtliche Stadtballade.

Irgendwann fragt Brooke, “Brauchen wir Fotos von jeder Sekunde unseres Lebens als Beweis, wie cool wir sind?” Natürlich brauchen wir das, Bescheidenheit kennt die Protagonistin nur als Koketterie. Dabei werden ihr grade Internet, Facebook und Twitter zum Verhängnis, die vergrößern den ausbleibende Erfolg und das Scheiterns bis aufs Unerträglichste. Der Alltag wird zur Bühne, jeder Satz ein Auftritt, jede Bitte als Pitch formuliert, das Ringen um Aufmerksamkeit höhlt die Menschen aus. “Mir werden ständig Ideen geklaut”, klagt Brooke. Und nicht nur das, auch der Verlobte und ihre zwei Katzen. Was übrigens zutrifft und den Zuschauer völlig überrumpelt, der mittlerweile überzeugt war, dass Brooke nur übertreibt. Ihr Dasein besteht deshalb darin, sich den Anderen zu erklären, zu offenbaren und irgendwo einen Schuldigen für diese schaurige Misere zu suchen. Bis Montag müssen die 75.000 Dollar für das Restaurant aufgetrieben werden, der ehemalige, sehr reiche Verlobte (der um den sie betrogen wurde), soll das Geld investieren als eine Art Wiedergutmachung für erlittene Seelenpein. Eine durchaus praktikable Geschäftsidee. Also machen sich Brooke, Tracy, ihr Kumpel Tony und die schrecklich eifersüchtige Nicolette auf nach Connecticut. Damit beginnt das eigentliche Abenteuer, der 46jährige Noah Baumbach läuft zu Höchstform auf. Der erste Teil von „Mistress America” handelte von dem trügerisch-harmonischen Zusammensein der beiden fast-Stiefschwestern, im zweiten Teil kommt es zur Konfrontation, wird umwerfend komisch mit einer Vielzahl grandioser Akteure und Verwicklungen. Nicolette enttarnt Tracy als literarische Betrügerin, Brooke kündigt ihr natürlich die Freundschaft auf. Glücklicherweise haben auch Mutter und Vater entdeckt, dass sie nicht einen Bund fürs Leben schließen wollen.

Kaum eine andere Schauspielerin hat solch pantomimisches Talent wie Greta Gerwig. Zwei Minuten genügen ihr, die ganze Katastrophe eines verkorksten Lebens in ein paar klägliche Tanzfiguren zu stopfen. Sie ist unschlagbar, wenn sie die Verlassene oder Betrogene spielt, eine Nonkonformistin mit dem ihr eigenen unverwechselbaren Charme, die sich jedes Mal neu erfinden muss.

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Originaltitel: Mistress America
Regie: Noah Baumbach
Darsteller: Greta Gerwig, Lola Kirke, Matthew Shear
Produktionsland: USA, 2015
Länge: 84 Minuten
Verleih: Twentieth Century Fox of Germany
Kinostart: 10. Dezember 2015

Von Anna Grillet ist auch die Filmkritik über
Frances Ha vom gleichen Regisseur, Noah Baumbach, lesenswert.

Fotos & Trailer: Copyright Twentieth Century Fox of Germany

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