Film
Am grünen Rand der Welt Film Trailer.

Dogma 95 ist passé, Filmemacher Thomas Vinterberg hat sich radikal vom Purismus der Bewegung abgewandt. Er inszeniert „Am grünen Rand der Welt” als betörendes opulentes Drama mit feministischem Anspruch ganz im Sinne des Romanautors Thomas Hardy.

Südwestengland im 19. Jahrhundert. Drei Männer werben um eine Frau. Sie könnte kaum ungewöhnlicher sein: Bathsheba Everdene (Carey Mulligan) ist jung, schön, intelligent, stolz, höchst eigenwillig und ihrer Zeit weit voraus. Unabhängigkeit bedeutet der kapriziösen Protagonistin in diesem Moment mehr als ein Gelübde vor dem Traualtar und das macht sie dem attraktiven Schafzüchter Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts) auch unmissverständlich klar: „Ich will keinen Ehemann. Wenn ich jemals heiraten würde, dann jemand, der mich zähmt und ihr wärd nie fähig dazu.” Und schon jagt Bathsheba auf ihrem Pferd in rasendem Galopp wieder über die Hügel von Wessex, jener halb-fiktiven Grafschaft, in der Thomas Hardy viele seiner 14 Romane spielen ließ. „Far from the Madding Crowd” (so der englische Titel) brachte dem Briten 1874 den entscheidenden literarischen Durchbruch.

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Eines Nachts treibt Gabriels Hütehund die riesige Schafsherde über die Klippen in den Abgrund. Das erschütternde Bild der toten blutigen Tiere unten am Strand verkörpert die Unbarmherzigkeit des Schicksals. Noch lasten Hypotheken auf der Farm, Gabriel verkauft seinen gesamten Besitz, um wenigstens die Schulden zu begleichen. Er steht nun vor dem Nichts und muss sich als einfacher Arbeiter verdingen. Bathsheba erbt unerwartet das Gut ihres Onkels, es ist heruntergekommen, doch die unerschrockene junge Frau nimmt die Herausforderung an. Sie entlässt den Verwalter, erklärt den Landarbeitern: „Von jetzt ab habt Ihr eine Herrin, keinen Herrn mehr. Es ist mein Ziel, Euch zu erstaunen”. Das tut sie und trifft dabei wieder auf Gabriel, der in letzter Minute das Ausbreiten einer Feuersbrunst verhindert. Der Schäfer wird in ihrem Leben öfter noch den Part des Retters und Beschützers übernehmen. Eigentlich aber möchte Bathsheba, alles nur aus eigener Kraft erreichen, es kommt sie schwer an, ihn um Hilfe zu bitten, weil die Schafe an einer rätselhaften Leiden erkrankt sind. Die beiden trennt eine unüberbrückbare gesellschaftliche Kluft, die einstige Vertrautheit scheint für immer zerstört, an den Gefühlen ändert es nichts.

Die Landschaft, das Meer mit seinen felsigen Klippen, die Äcker, Wiesen und Felder sind bei Vinterberg mehr Protagonist als Kulisse. Die Natur in ihrer Schönheit und Schroffheit wird zum Zentrum des Films, symbolisiert jene geheimnisvollen unberechenbaren Kräfte, die über die  Zukunft der Akteure entscheidet. Wie Scarlett O’Hara in „Vom Winde verweht”, ist Bathsheba mit der eigenen Scholle, Haus wie Hof, eng verwachsen. Sie lernt sich zu behaupten in dieser, damals noch rein männlichen Domäne. Wenn die hartnäckige Gutsherrin die Preise für ihre landwirtschaftlichen Erträge auf dem Markt aushandeln muss, sind sie und ihre Bedienstete die einzigen weiblichen Wesen unter lauter Männern. Sie weiß sich Respekt zu verschaffen, diese fragile vor Energie sprühende Person, ist die Erste und Letzte auf den Feldern, packt mit an, selbst beim Scheren der Schafe. Gabriel ist nach Außen hin jetzt nur noch ein Untergebener von Bathsheba, und doch ahnt der Zuschauer, dass abgesehen von der Arbeit auf dem Gut die beiden mehr miteinander verbindet, auch wenn offensichtlich keinerlei Hoffnung besteht, dass die Sehnsucht des Schäfers sich je erfüllen wird.

Die Menschen werden auf der Leinwand manchmal zu winzigen Punkten, als wollten sie an die eigene Bedeutungslosigkeit in dem nihilistischen Kosmos von Thomas Hardy erinnern. Schatten und flackerndes Kerzenlicht faszinieren, aber der eigentliche Zauber des Films liegt nicht im Dunkel sondern im Tageslicht. Die Ästhetik ist geprägt von den Gemälden William Turners. Die Tableau-artigen Aufnahmen der dänischen Kamerafrau Charlotte Bruus Christensen sind manchmal so atemberaubend, dass wir die salzige frische Seeluft, den scharfen Wind, zu spüren glauben. Beim Dreschen steigt der Spreu als feiner Nebel auf, in der Ferne blöken die Schafe. Doch die Idylle trügt. Gedreht wurde in 35 mm, durch die ausgewaschenen Farben und leichte Körnigkeit entsteht die Illusion früher Hollywood-Produktionen. Regisseur Thomas Vinterberg („Das Fest”, „Die Jagd”) idealisiert Bathsheba nie. Er hatte eine Art „Prärie-Lady” vor Augen, die reiten und jagen kann, mit einer starken körperlichen, leidenschaftlichen Ausstrahlung. Carey Mulligan („An Education” 2009, „Der große Gatsby”, 2013) ist unwiderstehlich in der Rolle. Die Arme auf die Hüften gestützt, wartet sie schon ungeduldig darauf, die nächste Aufgabe in Angriff zu nehmen. In gestrecktem Galopp geht es in die verschiedenen Himmelsrichtungen, fast als würde sie vor etwas fliehen. Vielleicht vor sich selbst.

Sie nimmt von niemandem Befehle entgegen, nur mag sie auch keinen wohlmeinenden Ratschlag akzeptieren. Die junge Protagonistin steckt voller Widersprüche. „Ich habe mich daran gewöhnt, allein zu sein, manche sagen, ich sei zu unabhängig,” sagt sie, doch ihr Problem scheint eher, dass sie sich manchmal selbst überschätzt. Ihr Stolz grenzt fast an Eitelkeit, sie ist nicht fähig ist, den wirklichen Wert Anderer zu erkennen wie im Fall von Gabriel. Zugegeben, er hat etwas unbeholfen um ihre Hand angehalten, verspricht ein Piano als Inbegriff von gehobener Kultur und tiefer Zuneigung. Der sonst so zurückhaltende Schafzüchter zeigte Anzeichen jener Art von Treuherzigkeit, über die Frauen sich gern mokieren. Weltmännischer und wortgewandter wirbt William Boldwood (Michael Sheen) um die unnahbare Gutsherrin. Der kultivierte Witwer und wohlhabende Nachbar versucht die Zuneigung Bathshebas zu erringen, indem er eindringlich die finanziellen Vorteile einer Heirat schildert. Die Idee, beide Güter zusammenzulegen, begeistert die emanzipierte Heldin wenig und lässt ihr Herz wahrlich nicht höher schlagen. Eigentlich haben beide Männer sich durch ihre Liebeserklärungen bereits in der ersten Runde disqualifiziert. Genießt es Bathsheba, eine Abfuhr zu erteilen? Sie hat ein besonderes Talent Menschen, die ihr nahe stehen, zu verletzen. Sie kann egoistisch sein, grob, misstrauisch, ungerecht, trifft ihre Entscheidungen aber ohne Kalkül, mutig, unbeugsam und von entwaffnender Ehrlichkeit: „Es ist schwierig für eine Frau ihre Gefühle in einer Sprache auszudrücken, die hauptsächlich von Männern gemacht wurde, um ihre auszudrücken.” Thomas Hardy beschreibt sie als „eine Leopardin im Käfig”.

Bathshiba ist eine der ersten modernen Heldinnen der klassischen Literatur. Sie wurde Vorbild für Generationen junger kämpferischer Frauengestalten. Vinterberg steckt seine Protagonistin in eine braune Lederjacke, die entfernt an den Amazonen-Outfit der Rebellin wider Willen, Kate Everdeen („Die Tribute von Panem”, 2014) erinnert, aber auch durchaus tragbar scheint für uns im normalen Alltag. Ein dezenter Hinweis darauf, wie aktuell das historische Beziehungsdrama 140 Jahre nach seinem Erscheinen immer noch ist. Drehbuchautor David Nicholls („Die Zeit, die uns noch bleibt”, 2007) findet genau den richtigen Ton. Er hatte bereits 2008 für die BBC „Tess of the d’Ubervilles” adaptiert. Der heute wohl bekannteste Roman von Thomas Hardy stieß 1891 wegen seiner Kritik an der rigiden Sexualmoral des Viktorianischen Zeitalters auf harsche Ablehnung. Thomas Vinterbergs facettenreiche Verfilmung kommt dem Charakter Bathshibas sehr nah im Gegensatz zu John Schlesingers Version. Julie Christie gab sich 1967 weit verführerischer, als die Rolle es erfordert, nichts liegt der Protagonistin ferner. Skandinavische Regisseure verfügen über das Talent, englischen Filmen einen besonderen Reiz zu geben wie der Schwede Tomas Alfredson  in „Dame, König, As, Spion” (2011) oder der Norweger Morten Tyldum mit „The Imitation Game” (2014).

Und dann steht plötzlich Frank Troy (Tom Sturridge) vor Bathshiba. Der schnittige selbstbewusste Offizier in der leuchtend roten Uniform, ist ein Blender, der sich auf billige Komplimente versteht: „Ihr habt Euch nie mit den Augen eines Mannes gesehen, Ihr raubt einem den Verstand.” Troy nimmt sich skrupellos, was er will, fuchtelt wild mit dem Säbel herum als kläglichen Beweis von Leidenschaft oder besser Potenz. Er stibitzt eine Locke und bekommt Bathshibas Liebe. Warum das funktioniert, dem Zuschauer bleibt es unerklärlich. Jede Warnung scheint vergeblich, wer so oft gegen den Strom schwimmen musste, verliert vielleicht das Gespür, dem Richtigen zu vertrauen. Natürlich heiratet die starrköpfige Bathshiba ihren verwegenen Aufschneider, der eine Andere liebt. Troy kennt weder Moral noch Ehrlichkeit, ein Spieler, der ihr Vermögen verzockt, jede Geste spiegelt die Verachtung für seine reiche Ehefrau wider. Unwirsch, gereizt, sich des eigenen Versagens durchaus bewusst, kommt die Aggression erst unterschwellig dann offen zum Ausbruch. Troys hochschwangere Geliebte stirbt im Armenhaus, aufgebahrt wird sie auf dem Gut. Eine starke Frau wie die Protagonistin kann mit Schwäche nur schlecht umgehen. Selbstbehauptung ist nicht gleich Selbstfindung. Das tragische Beziehungsgeflecht spiegelt die sozialen Konflikte und Klassengegensätze jener Zeit wider.

Das Manifest Dogma 95 richtete sich gegen die zunehmende Wirklichkeitsentfremdung des Kinos, verbannte Spezialeffekte, künstliche Beleuchtung, Requisiten, gedreht werden durfte ausschließlich an Originalschauplätzen. Beschränkung kann Kreativität fördern, hilft eine eigene unverwechselbare Sprache zu finden. Das ist Thomas Vinterberg gelungen. „Far from the Madding Crowds” ist eine Zeile aus Thomas Grays Gedicht „Elegy written in a Country Churchyard” (1751), der Titel des Romans gilt als ironische Anspielung Thomas Hardys auf die idealisierte romantische Darstellung des ländlichen Lebens.

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Originaltitel: Far from the Madding Crowd
Regie: Thomas Vinterberg
Darsteller: Carey Mulligan, Matthias Schoenaerts, Michael Sheen
Produktionsland: Großbritannien, USA, 2015
Länge: 119 Minuten
Verleih: Fox Germany
Kinostart: 16. Juli 2015

Fotos & Trailer: Copyright 20th Century Fox Deutschland

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