Film
„The Riot Club”. Willkommen bei den bornierten Rowdys der britischen Oberschicht

Satire oder Realität? Das ironisch amüsante Gesellschaftsdrama lehrt uns das Fürchten und die Unmöglichkeit des Traums einer klassenlosen Gesellschaft.
Vorbild für den Film der dänischen Regisseurin, Lone Scherfig, ist die exklusive Studentenverbindung des 1870 gegründeten Bullingdon Clubs an der Universität von Oxford. Zu den illustren Mitgliedern der geheimen Dining Society zählten viele, die später Macht und Einfluss hatten: König Edward VII und Edward VIII, Banker, Wirtschaftsführer, prominente Adlige, Politiker wie der englische Premierminister David Cameron, Schatzkanzler George Osborne und Londons Bürgermeister Boris Johnson. Weniger ruhmreiches Mitglied: Gottfried Alexander Leopold Graf von Bismarck-Schönhausen.

Rückblick als Prolog: Lord Riot war im Oxford des 18. Jahrhunderts eine Art Lichtgestalt; progressiver Denker, Gelehrter, Kunstkenner und ein Meister des ausschweifenden Lebensstils, der keine Gelegenheit ausließ, die Lust am Leben auszukosten. Das heißt solange, bis ihn ein gehörnter Ehemann 1776 in flagranti mit seiner Gattin erwischte und dem irdischen Dasein des Lords ein Ende setzte. Seine Bewunderer gründeten ihm zu Ehren den Riot Club. Ihr hehres Ziel war die Dekadenz aufrechtzuerhalten, die jener Aristokrat mit unerschütterlicher Überzeugung zelebriert hatte wie ein Geburtsrecht auf Grund seiner gesellschaftlichen Stellung. Seither ranken sich unzählige Legenden um den Geheimbund, dessen Mitglieder mit mehr oder weniger Erfolg versuchen die Generationen zuvor an Exzess wie Hemmungslosigkeit zu übertreffen. Die Tradition hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Immer noch versammelt sich der Club zum alljährlichen bacchanalischen Dinner, um seiner Lordschaft zu gedenken und immer noch dürfen nie mehr als zehn Studenten zum elitären Zirkel gehören. Nur männliche versteht sich.

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Oxford heute, James (Freddie Fox), Präsident des (fiktiven) Riot Clubs und seine Freunde suchen nach würdigem Nachwuchs. Die Wahl fällt auf die Erstsemestler Miles (Max Irons) und Alistair (Sam Claflin). Letzterer stand immer etwas im Schatten des älteren Bruders, der auch hier, an der ältesten Universität Großbritanniens studierte, und zu seiner Zeit einen prächtigen Clubpräsident abgab. Obwohl, nun will es mit dessen Karriere doch nicht so klappen. Miles passt eigentlich wenig in die Clique selbstgefälliger versnobter Jungen aus gutem Haus, für die in erster Linie Geld, Abstammung und Saufgelage zählen. Ihre Verachtung für die Arbeiterklasse kennt offensichtlich keine Grenzen: „Ich habe die Schnauze voll von armen Leuten”, auf Englisch klingt das noch härter “I`m sick of f... poor people”. Miles verliebt sich genau in eine von ihnen, Lauren (Holliday Grainger). Ein zauberhaftes Mädchen, sie kommt aus einfachen Verhältnissen, die Erste in ihrer Familie mit einer akademische Laufbahn. Für die hohen Studiengebühren muss sie neben dem Studium hart arbeiten, während die Riot Boys derweil die Stadt unsicher machen und sich voll laufen lassen. Als einer von ihnen Dimitris (Ben Schnitz) Luxus-Cabriolet vollkotzt, beschließt der griechische Reeders-Sohn ohne langes Zögern sich der Karosse zu entledigen: „Die Aschenbecher waren eh voll.” Er wirft den Schlüssel in den Briefkasten der staatlichen Wohlfahrt. Jede Geste demonstriert Herablassung. Und doch so garstig diese bornierten Studenten sich gebärden, manche von ihnen haben auch unendlich viel Charme, jenes Savoir Vivre, das ihnen viele neiden. Die Riot Boys sind intelligent, smart, ohne das schafft man es nicht auf eine der renommiertesten Universitäten des Landes. Protektion hin oder her. Aber die Überväter lauern immer im Hintergrund, sie stellen hohe Anforderungen an ihre Söhne, auch wenn sie jederzeit bereit sind, dem Junior zur Seite zu stehen, falls der über die Stränge schlägt. Unverzeihbar dagegen wäre, sich an eine nicht standesgemäße Frau zu binden. Spaß sollen sie haben die Jungs, doch sie dürfen nie vergessen: „Girls for now, girls for later”, im Klartext: Mädchen mit denen man sich während der Studienzeit amüsiert sind nicht zu verwechseln mit denen, die man später heiratet.

Um falschen Erwartungen vorzubeugen: Nichts erinnert bei Lone Scherfig an Robert Altmans „Gosford Park” oder der TV-Verfilmung von Evelyns Waughs Roman „Wiedersehen mit Brideshead”. Mit einer Ausnahme: Waugh spielt zweifellos auf den Bullingdon Club an, als er das erste Treffen der beiden Protagonisten beschreibt. Nach einem Dinner mit exzessivem Alkoholkonsum übergibt sich Lord Sebastian Flyte durch das Fenster in Charles Ryders Parterre-Zimmer. Flyte und seine Begleiter tragen die berühmten mitternachtsblauen Fracks mit elfenbeinfarbenen Seidenrevers der geheimen Studentenverbindung. „The Riot Club” basiert auf Laura Wades erfolgreichem Bühnenstück „Posh” (2010), das die Autorin nun fürs Kino adaptiert hat. Scherfigs Protagonisten sind weniger sensible Dandys als arrogante Rowdys, aber äußerlich höchst attraktiv, vor allem verglichen mit einem Foto aus dem Jahre 1993, wo George Osbourne mit den anderen Mitgliedern des Bullingdon Clubs zu bewundern ist. Die Regisseurin hat die umschwärmtesten Jungstars des Königsreichs um sich versammelt. Etwas mehr eigenwillige Skurrilität hätte dem Porträt britischer Oberschicht gut getan. Andererseits erliegt der Zuschauer so leichter der Faszination jener eloquent arroganten Charmeure. In der ersten Hälfte des Films wird uns vorgegaukelt, dass diese Idioten zwar idiotischen Dinge anstellen, aber es eigentlich nicht mehr als Dumme-Jungen-Streiche sind.

Alistair und Miles werden gemeinsamen den wilden, ekelerregenden Aufnahmeritualen unterzogen. Dazu gehört auch die groteske Verwüstung ihrer Zimmer. Lauren starrt entsetzt auf das Chaos, sie hält den Geheimbund für eine Spielwiese verzogener reicher Kids, die glauben auf Grund ihres sozialen Status sich an keine Regeln halten zu müssen. Wie recht sie mit ihrer Einschätzung hat, zeigt sich schon wenig später. Nicht jeder der Jungen entspricht dem Klischee des verwöhnten rücksichtslosen Rabauken. George (Jack Farthing) ist zwar adliger Herkunft, aber wie seine Familie steht der naturverbundene, etwas schüchterne Junge mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit. Auch James ist eher halbherzig und ohne Begeisterung bei der Sache, er arbeitet emsig an seiner zukünftigen Banker-Karriere. Zwar könnte ihm sein einflussreicher Vater alle Türen öffnen, doch er will es aus eigener Kraft schaffen. Hugo (Sam Reid) war einst ein paar Klassen über Miles an derselben Schule. Er hatte schon damals ein Auge auf den gut aussehenden Mitschüler geworfen, obwohl der zu jenen gehörte, die sich über sein feminines Auftreten mokierten. Inzwischen hat Hugo sich zum zynischen Lebenskünstler entwickelt und ist dienstältestes Mitglied des Riot Clubs, er gehört quasi zum Inventar der ehrwürdigen Uni. Durch seine Intervention kommt Miles überhaupt in die noble Runde. Lone Scherfig, hatte mit “Italienisch für Anfänger” ihren Durchbruch, es folgten „An Education” und „Zwei an einem Tag”. Wenig zeugt heute noch von der dramaturgischen Schlichtheit des „Dogma 95“-Stils. Behalten hat die Regisseurin jene unmittelbare Nähe zu den Akteuren. Sie vermeidet geschickt alles Pittoresk-Touristische, zeigt Oxford aus einem unsentimentalen Blickwinkel. Die Schönheit der Innenräume steht in einem krassen Gegensatz zu der zynischen intriganten Attitüde ihrer Bewohner. „The Riot Club” als Spiegel der Gesellschaft ist die perfekte Bühne für die Schauspieler, ihr Talent unter Beweis zu stellen, insbesondere für Sam Claflin („Die Tribute von Panem-Catching Fire”).

Atemberaubend wird der Film, wenn sich die zehn Jungen zum traditionellen jährlichen Dinner in einem entlegenen Landgasthof einfinden. In der Stadt hat sich längst herumgesprochen, dass die Treffen nicht nur in exzessiven Saufgelagen sondern auch mit der völligen Zerstörung des Interieurs enden (so verlangen es die Statuten des Riot Clubs). Danach zücken die Studenten zwar mit überheblicher Geste einige Geldbündel, um den Schaden zu begleichen, aber genau deshalb eskaliert die Situation. Allein die Tatsache, dass es Menschen gibt, die sich nicht kaufen lassen, lässt sie total ausrasten. Die Fetzen fliegen. Es ist, als wenn manche dieser großen bösen Kinder noch nie in ihre Schranken gewiesen wurden, etwas explodiert. Das symbolträchtige Kammerspiel entwickelt sich zur gespenstischen blutigen Orgie des Klassenhasses. Grandios inszeniert, eine groteske Umkehrung der Revolution, die Apokalypse unserer Gesellschaft auf engem Raum. Selbst die Kamera spielt verrückt. Helden gibt es bei Laura Wade und Lone Scherfig keine. Und wenn, dann wäre diese Rolle höchstens den Frauen vorbehalten: Laura, der enttäuschten Freundin oder Rachel, der verzweifelten Tochter des Wirts (Jessica Brown Findlay). Obwohl etwas bewegen können sie alle nicht, -höchstens sich verweigern wie Charlie (Natalie Dormer), das selbstbewusste Escortgirl. Erniedrigt zu werden gehört nicht zu ihrem Service, das macht sie den durchgeknallten wütenden Machos schnell klar. Doch vielleicht ist es genau das, was Mittelschicht und Arbeiterklasse heute oft fehlt: Stolz, der Mut, nein zu sagen.

Mancher Kritiker, grade in England, vermissten politischen Biss, bissiger geht es eigentlich kaum. In Deutschland wiederum scheint einigen das Phänomen maßlos übertrieben, nicht gemeint ist das blutige Gemetzel, sondern die rüde Art über seine Mitmenschen herzuziehen. Sie ist keine Eigenheit der britischen Oberschicht, dergleichen bekommt man auch im juristischen Fachbereich der Hamburger Universität zu hören. Die Kluft zwischen Reich und Arm wächst. Der Ton wird feindlicher. Douglas Booth (“Noah”), der Harry, den smartesten der Adligen spielt, dazu: “Wir haben ehemalige Mitglieder eines solchen Clubs in Oxford getroffen und ihnen das Drehbuch gezeigt. Sie meinten, die Realität sei weit schlimmer als das, was wir uns da ausgedacht haben.” In einer Nacht im Mai 1894, so wird berichtet, zerstörten Bullingdon Mitglieder alle Lampen und 468 Fenster des “Peck”-Gebäudes der Christ Church. 1927, in einem offensichtlichen Mangel an neuen Ideen, taten sie es erneut. Seitdem dürfen sie sich in einem Umkreis von 15 Meilen von Oxford nicht mehr treffen. Der Guardian wünschte sich für den Film ein grausigeres Finale. Vielleicht ist diese Auflösung die Erschreckendste: Nichts geschieht. Alles wird vertuscht. Wie so oft. Die Jungen halten sich weiter für die Elite ihres Landes, sie zelebrieren sich selber, mit oder ohne Exzesse. Sie glauben, was sie sagen: “Leute wie wir machen keine Fehler”. Die Mitglieder des Riot Clubs sind eine Minorität, aber viele von ihnen werden eines Tages an den Schalthebeln der Macht sitzen, Macht, Wirtschaft, Justiz. Loyalität ist hier lediglich, was einem nützt, hat wenig mit Freundschaft und gar nichts mit Empathie zu tun. Die Riot Boys sind Komplizen, aber wahrlich keine verlässlichen. Darf man der Daily Mail glauben, ist der Bullingdon Club noch recht harmlos. Wilder, kreativer, wenn auch weniger exklusiv sind die Treffen der Piers Gaveston Society, benannt nach dem angeblichen Lover von Edward II, Frauen sind hier willkommen, berühmtestes Mitglied: der britische Schauspieler und Filmproduzent Hugh Grant. Der Pitt Club, gegründet 1835, kann sich gleich zweier Spione als Mitglieder rühmen: Guy Burgess und Anthony Blunt. Als extrem zivilisiert gilt dagegen der Gridiron Club von 1884, kurz the Grid genannt. Zu seinen Mitgliedern zählte unter anderem John le Carré und erstaunlicherweise wieder David Cameron, der von 1987 bis 1988 dort Präsident war. Vielleicht muss man daraus schließen, dass ambitionierte Studenten nichts auslassen, solche Clubs mehr als Network dienen und weniger die eigenen Überzeugungen widerspiegeln.

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Originaltitel: The Riot Club
Regie: Lone Scherfig
Darsteller: Max Irons, Douglas Booth, Sam Claflin, Sam Reid, Ben Schnetzer, Freddie Fox, Nathalie Dormer, Jessica Brown Findlay
Produktionsland: Großbritannien, 2014 Länge: 106 Min.
Verleih: Prokino
Kinostart: 9. Oktober 2014

Fotos & Video: Copyright PROKINO Filmverleih

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