Bildende Kunst
Damien Hirst/Arnulf Rainer

„Biedermeierstadt“, „Kaiserstadt“, „Rosenstadt“, „Weinstadt“ – Baden, seit Römerzeit Kurort vor den Toren Wiens, trägt viele stolze Beinamen.
Einer jedoch steht noch aus: „Kunststadt Baden“. Dabei zieht das 2009 eröffnete Arnulf Rainer Museum mittlerweile Publikum aus aller Welt und die derzeit laufende Ausstellung „Damien Hirst/Arnulf Rainer“ - „Commotion/Durcheinander" ist eine echte Sensation.
Wie viele Museen und Kunsthäuser haben in den vergangenen Jahren wohl versucht, Damien Hirst für eine Ausstellung zu gewinnen? Selbst das renommierte Hamburger Bucerius Kunstforum fragte vergeblich an. Absagen gehören für das Management des milliardenschweren Starartisten zum Tagesgeschäft. Hirst gilt als außerordentlich schwierig und wählerisch.

Umso erstaunlicher, dass es den „letzten Kunstgott“ (Zeit online) ausgerechnet in das beschauliche Baden, rund 25 Kilometer südlich von Wien, verschlägt. Die heilsamen Schwefelquellen, die seit Maria Theresias Zeiten das Städtchen zum mondänen Kurort erhoben und unter Franz I. fast 40 Jahre zur kaiserlichen Sommerresidenz, werden kaum der Grund gewesen sein. Auch nicht das prächtige Casino oder Mozart und Beethoven, die hier so bedeutende Werke wie das „Ave Verum Corpus“, beziehungsweise die „Missa Solemnis“ komponierten. Und sicher auch nicht das bezaubernde Rosarium in einem der schönen Kurgärten und die klassizistischen Bauten von Josef Kornhäusel, die nach dem verheerenden Brand von 1812 entstanden und seither das Stadtbild prägen.

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Nein, wahrscheinlich wusste Damien Hirst noch nicht einmal, wo das vom Wienerwald und Weinhängen umgebene Baden genau lag, als er 2013 mit Rudi Fuchs telefonierte. Aber er kannte die Arbeiten von Arnulf Rainer – und er schätzt sie ganz außerordentlich.
In dem Katalogbuch zur Ausstellung erzählt Fuchs sehr launig von diesem, alles entscheidenden Telefonat. Der international renommierte Kurator und „documenta 7“-Chef musste den Künstler wegen einer ganz anderen Sache sprechen, erwähnte beiläufig, dass er gerade die Doppelschau Mario Merz/Arnulf Rainer in Baden aufbaut. Und war von Hirsts Reaktion völlig überrascht: „Fucking hell“, habe der Brite ausgerufen, „Du kennst Arnulf Rainer?“ Fuchs bestätigte und noch während des Gespräches „entstand die Idee für diese Ausstellung“.

Der niederländische Kunsthistoriker kennt das Badener Frauenbad, das derzeit von Rüdiger Andorfer geleitet wird, mittlerweile in- und auswendig. Es ist ein Juwel des französisch beeinflussten Klassizismus in Österreich. 2011 hatte er hier bereits den Dialog Arnulf Rainer/Georg Baselitz betreut. Seitdem gehört ein ebenso spannungsgeladenes wie lustvolles Kräftemessen pro Jahr zwischen dem Hausherren Arnulf Rainer und einem Gast zum Konzept.

Es gibt nicht viele Museen im deutschsprachigen Raum, die einem einzelnen Künstler gewidmet sind, schon gar keinem Gegenwartskünstler. Und die Tatsache, dass es sich hierbei um ein ehemaliges Kurbad handelt, ist wohl einzigartig. Der Name Frauenbad ist übrigens kein Hinweis darauf, dass in den eleganten Marmorbädern nur Frauen baden durften. Historische Fotografien um 1900 zeigen illustre Gesellschaften, Damen und Herren in bodenlangen, weißen (mit Bleigewichten beschwerten) Kitteln, die sich vom Rand aus Speisen und Getränke reichen ließen. Nein, das Bad, dessen Architekturgeschichte bis ins Mittelalter zurückreicht, ist vielmehr der Heiligen Jungfrau Maria gewidmet. Wie auf vielen heiligen Orten stand auch auf dieser Quelle eine Kirche.

Die größte Herausforderung beim jüngsten Umbau 2006 sei die Abdichtung gegen Wasser und Schwefeldämpfe gewesen, erzählt Klaus Lorenz, Tourismusdirektor in Baden. Immer noch ist die Quelle aktiv, doch im Museum ist davon nichts mehr zu spüren. Das vielfach ausgezeichnete Wiener Architekturbüro Lottersberger-Messner-Dumpelnik setzte auf eine sparsame, unaufdringliche Modernisierung, ohne den Charakter des ursprünglich von Carles Ritter von Moreau und der Badener Stadtbaumeister Anton Hantl 1821 errichteten Badehauses zu verändern. Ganz im Gegenteil: Was in den vergangenen Jahrzehnten an Umbauten dazukam, verschwand größten Teils wieder. Das Ergebnis ist ein puristisch-lichtes Haus, das jede Menge ungewöhnlicher Blickwinkel auf Badgeschichte und moderne Kunst bietet. Mal aus Vogel-, mal aus Froschperspektive. Hervorragend gelöst ist auch der Umgang mit den ehemaligen Umkleidekabinen. Die reinweißen Kabinette erscheinen nun wie klösterliche Zellen zur kontemplativen Versenkung in die Kunst. Alles in diesem Ambiente ist auf konzentrierte Rezeption ausgerichtet. Keine Spur von dem „Durcheinander“ des Ausstellungstitels, vielmehr spannungsvoller Kontrast und innere Ordnung, sowohl zwischen Kunst und Architektur, als auch zwischen den Gemälden selbst.

Auch die Fassade des Frauenbads ist weitestgehend im Original erhalten geblieben. Der antikisierende Portikus verleiht dem Bau nach wie vor die Anmutung eines Tempels, nur die mit Lochblechen verkleidete Dachlaterne setzen zeitgenössische Akzente. Die Inspiration dazu stammt von Arnulf Rainer selbst – die Architekten fanden ein Blatt aus den 1990er-Jahren, auf dem er die Dachlaterne mit dynamischen Strichen visuell aufgelöste.

Den Entschluss das ehemalige Badehaus Arnulf Rainer zu widmen, fasste die Stadt erst 2006, doch die Weichen waren schon längst gestellt. Seit Anfang der 70er-Jahre wurde das Frauenbad bereits als internationales Ausstellungszentrum genutzt. Die erste monothematische Kunstschau im Herbst 1977 zeigte Arbeiten von Arnulf Rainer. Der wohl einflussreichste Künstler Österreichs stammt aus Baden. Hier wuchs er in den 30er- und 40er-Jahren auf. Die Erziehungsideale des Nationalsozialismus prägten seine Kindheit. Umso radikaler war nach Kriegsende seine Abkehr von allen überkommenden Werten. Schönheit und Ordnung, das ästhetische Verständnis der Elterngeneration, war verbunden mit Naziideologie und Holocaust, allen Greultaten der Hitler-Diktatur. Voller Wut und Witz brach der Rebell, der schon nach einem Tag der verschulten Kunstakademie den Rücken kehrte, immer wieder alle Regeln der Kunst. Nach einem kurzen Ausflug in den phantastischen Surrealismus begann er als Autodidakt neue Bereiche der (abstrakten) Expressivität auszuloten. 1953 entstehen die ersten „Übermalungen“, die zu seinem Markenzeichen werden und sich bis in das Spätwerk ziehen. „Ich hatte kein Konzept“, wird er später sagen, „die Übermalungen entstanden aus purer Materialnot: Alte Bilder waren auf Flohmärkten einfach billiger, als neue Leinwände.

Im Laufe des vergangenen halben Jahrhunderts übermalte Arnulf Rainer so ziemlich alles, was es zu Übermalen gab. Reproduktionen von Goya, Leonardo, Rembrandt, seit den 60er-Jahren auch jede Menge Selbstporträts. Sechs Jahre lang beschäftigt sich Rainer mit der eigenen Physiognomie. Beeinflusst von Drogen und den Zeichnungen Geisteskranker entstehen in dieser Zeit die fratzenhaften „Face Farces“, „lauter neue, unbekannte Menschen, die in mir lauerten“, wie er schmunzelnd kommentierte. Danach konnte er sein Gesicht nicht mehr sehen und begann Totenmasken aus seiner eigenen Sammlung zu übermalen.

Die Beschäftigung mit Tod und Religion, die Frage nach dem Sinn des Lebens ist seitdem das beherrschende Thema seines gewaltigen Oeuvres. Was Wunder, dass dieser Ausnahmekünstler und Begründer des Informel in Österreich Damien Hirst zum Idol und Vorbild wurde. Genau diese Fragen beschäftigen auch den 36 Jahre jüngeren Kollegen.

Wer nun aber hofft, in Baden die berühmt-berüchtigten Objekte und Installationen zu sehen, die den heute 49 Jahre alten Arbeitersohn aus Bristol zum Shootingstar der Young British Artists und teuersten Gegenwartskünstler der Welt machten, der wird enttäuscht: Keine Tierpräparate in Formaldehyd. Kein Hai, kein Einhorn, kein goldenes Kalb, keine Ganzkörperquerschnitte, nicht einmal ein eingewecktes Ferkel oder Insekt. Auch keine zur Schau gestellten Verwesungsprozesse, keine Fliegen auf gehäutetem Kuhschädel und schon gar kein in Platin gegossener Menschenschädel mit Diamantbesatz.

Stattdessen: Klassische großformatige Ölgemälde. Eine ganze Serie erstaunlich konventioneller Vanitas-Stillleben, vorwiegend auf tiefblauem Grund, voller ikonografischer Hinweise auf die alten Holländer und sein bisheriges Schaffen: Vögel, Schmetterlinge, Obst, Kirschblüten, Gläser mit eingelegten menschlichen Föten, das aufgesperrte Haifischgebiss – alles Zitate aus dem Kosmos Hirsts, nur eben in 2D, durch Rasterungen, die an seine bekannten Spot-Paintings erinnern, zum Teil extrem flach.

Leben und Tod, Liebe, Glaube, eitler Konsum und Vergänglichkeit – das war schon im Studium sein Thema. Doch Anfang der 90er-Jahre schien ihm die Malerei für die Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens nicht das geeignete Medium.
„Ich wollte immer ein Maler sein“, bekennt Hirst in einem Interview mit Francesco Bonami 2012. „Aber ich hatte das Gefühl, dass ich etwas Stärkeres brauchte, um die Tür der Kunstwelt zu durchbrechen“. Er schaffte es mit dem in Formaldehyd schwimmenden Tigerhai, 1991. Titel: „Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden“.

Die Reaktionen damals waren gewaltig, die Urteile reichten vom Genie bis zum Scharlatan und perversen Monster, der unaufhaltsame Aufstieg des Damien H. zum Markenzeichen ließ sich jedoch durch nichts stoppen.

Angesichts seines bislang größten Triumphes, dem Hype um den diamantenen Totenkopf 2007, fasste er den Vorsatz, sich der Malerei zu stellen. Nun, da er niemandem mehr etwas beweisen muss, da er mehr erreicht hatte, als er sich je in seinen kühnsten Jugendträumen vorstellen konnte, wollte er sein Selbst nicht mehr verstecken, sagt er im Gespräch mit Bonami. „Das Malen ist ein sehr guter Härtetest für das eigene Selbst“.

Wohl wahr. Die Fallhöhe könnte kaum größer sein: Vom Top-Manager einer gigantischen Formaldehyd- und Abdeckerfabrik mit dutzenden von Angestellten und Assistenten zum zurückgezogenen Ein-Mann-Betrieb im heimischen Garten. Farbe, Leinwand, Staffelei, das war‘s. Nein, das Wichtigste fehlt noch: Ein gutes Auge, handwerkliches Können und das Gespür für Farbe und Raum. Immanent künstlerische Qualitäten, unentbehrlich für ein gutes Bild, aber nichts, was man kaufen kann. Malerei sei „die komplexeste Form“ der Kunst, sagt Damien Hirst und erkennt richtig, dass die Anziehungskraft eines Bildes nicht unbedingt etwas mit der zugrundeliegenden Idee zu tun haben muss, wie es bei der Konzeptkunst normalerweise der Fall ist. (Allemal bei seiner, die mit einem ungeheuren technischen und finanziellen Aufwand realisiert wird).
Im Katalogvorwort schreibt Rudi Fuchs, dass er selbst „nach Monaten der Vorbereitung und Auseinandersetzung“ nicht erklären könne „was es eigentlich für einen Sinn ergibt, dass so unterschiedlich farbige Bilder hier zusammenkommen.“

Nun, er weiß es im Grund ganz genau, denn die geistige Verwandtschaft zwischen dem Briten und dem Badener erschließt sich in seinem Text ebenso, wie beim Ausstellungsrundgang und in den beiden informativen Filmporträts, die im Foyer laufen. Nicht nur, dass beide Künstler obsessiv in ihrer Arbeitsweise sind und mit ungeheurer Intensität ihre Ziele verfolgen. Nicht nur, dass man zahlreiche farbliche und formale Übereinstimmungen findet. Eine Spontanität und spielerische Zusammenstellung der Stillleben, die in Rainers impulsiven Farbverteilung ihre Entsprechung finden. Nein, der gemeinsame Nenner dieser beiden Meister ist vielmehr die Tatsache, dass ihre Arbeiten – jede auf ihre Art – von der Vergänglichkeit irdischer Existenz durchtränkt sind. Was Hirst mit plakativen Metaphern in Szene setzt, kommt in Rainers Sprache nur sehr viel nebulöser, vieldeutiger und geheimnisvoller zum Ausdruck.

Dabei kapriziert sich Rudi Fuchs keineswegs auf die Totenmasken in Rainers Werk. Nein, er zeigt vielmehr ganz unterschiedliche Aspekte aus sechs Jahrzehnten, heftige „Farbbreischwaden“ ebenso, wie aktionistische Selbstporträts und kontemplative Vorhänge. Bilder, die in der unmittelbaren Nachbarschaft zu den teils schon kitschig dekorativen Stillleben des Briten erstaunlich Assoziationen hervorrufen. So sieht man in Rainers Farborgien plötzlich jede Menge Gefiedertes. Formen, die Damien Hirsts ausgestopfte Papageienvögel zu spiegeln scheinen. Hochspannend sind diese Gegenüberstellungen, doch es ist fraglich, ob sich der „Jahrhundertkünstler“ Hirst damit einen Gefallen getan hat. Denn eines macht diese Ausstellung sehr deutlich: Arnulf Rainer ist ein großartiger Maler. Wäre Damien Hirst hingegen Maler geworden, hätte die Welt vermutlich nie etwas von ihm gehört.

„Damien Hirst/Arnulf Rainer“, bis 5. Oktober 2014, Arnulf Rainer Museum, Baden bei Wien.
Alle Infos unter www.arnulf-rainer-museum.at und www.tourismus.baden.at


Abbildungsnachweis: Alle Fotos Isabelle Hofmann
Header: Fassade und Einganz ins Arnulf Rainer Museum
Galerie:
01. Entree des Arnulf Rainer Museums
02. Kabinette in den ehemaligen Umkleidekabinen
03. Besucherplattform
04. Blick ins Bad mit Rainer- und Hirst-Werk
05. bis 08. Blicke in die Ausstellung
09. Bilder von Arnulf Rainer

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