Bildende Kunst
No Such Thing As History: Four Collections and One Artist

Der neue „Espace Louis Vuitton“ wird mit einer Gruppenausstellung des Kurators Jens Hoffmann eröffnet.
Im letzten Jahr bezog die Maison Louis Vuitton im Münchner Zentrum das historische Palais Toerring-Jettenbach als Nachbarin der bayerischen Staatsoper.
Das Modehaus hat sich eine sehr elegante Adresse für ihr Konzept Boutique mit Ausstellungsraum ausgesucht. Im vorderen Teil zur Residenzstraße hin befindet sich die durchkomponierte „Maison LV-Boutique“ mit den verschiedenen Bereichen und bis ins kleinste Detail ausgeklügelten verschiedenen Materialien je nach Themenbereich.
Durch eine offenstehende weite Schiebetüre erreicht man die Ausstellungsräume.
Der „Espace“ wurde als Raum der kulturellen Begegnung und des Austausches konzipiert, mit der Zielsetzung, den Dialog zwischen den Kulturen und verschiedenen Disziplinen anzuregen und zu fördern. Schwerpunkt soll die deutsche Kunstlandschaft sein. Es wird drei Ausstellungen zeitgenössischer Kunst pro Jahr geben, außerdem sind Workshops, Gespräche, Performances und Vorträge geplant.

Nach dem aufwändigen Umbau, trägt das Palais nun den Namen Residenzpost. Das Gebäude ist einen kleinen Exkurs wert, denn nicht nur ist die Lage besonders nobel, am Schnittpunkt zwischen der Maximiliansstraße, dem Max-Joseph-Platz und der Residenzstraße, sondern auch das Gebäude interessant: im Palais Toerring-Jettenbach war (nach dem Bauherren Graf Toerring selbst) seit dem 19. Jahrhundert bis zum Umbau im Jahr 2009 eine Postfiliale untergebracht. Den Münchnern ist das Gebäude deshalb auch als Post an der Oper geläufig.

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Erbaut wurde das Rokokopalais (1747-54) vom bekannten Münchner Baumeister Ignatz Anton Gunetzrhainer die Stuckarbeiten führte Johann Baptist Zimmermann aus. Als unter König Ludwig I. der Königsbau der gegenüberliegenden Residenz vom Architekten Leo von Klenze gestaltet wurde, glich man auch die Fassade des Palais Toerring-Jettenbach dem Ideal eines florentinischen Renaissancebaus an. In der zu diesem Zweck vorgeblendeten Säulenhalle, innen mit bunten Fresken bemalt, lässt es sich heute mit Blick auf diesen eleganten Fußgänger Kotenpunkt in der Innenstadt wunderbar Kaffeetrinken.
Komplett umgebaut und die nicht denkmalgeschützten Teile abgerissen, beherbergt das Stadtpalais nun neben LV diverse Büros, Arztpraxen, weiteren Einzelhandel, Wohnungen, Gastronomie und eine Tiefgarage.

Schon immer gab sich das französische Modehaus kunstinteressiert, 1980 starteten erste Projekte mit erfolgreichen zeitgenössischen Künstlern wie César, Sol LeWitt und Olivier Debré.
Marc Jacobs intensivierte als Artistic Director des Labels ab 1997 die Verbindungen zwischen Louis Vuitton und der Kunstwelt. Bekannte Künstler wie Stephen Sprouse, Takashi Murakami, Richard Prince und zuletzt Yayoi Kusama haben schon publikumswirksam eigene Versionen der erfolgreichen Monogramm Lederwaren entworfen, Schaufenster gestaltet oder Kunstwerke für die Ladengeschäfte geschaffen.

Als Konsequenz daraus und den „Louis Vuitton Art Talks“ entstand schließlich im Jahre 2006 der erste „Espace culturel“ in Paris, ein eigenständiger Kunst- und Kulturraum, der Künstlern eine eigene Ausstellungs- und Projektionsfläche bieten sollte. Tokio und Singapur, Venedig und München folgten.

Der etwas unhandliche Titel der ersten öffentlichen Ausstellung im Münchner Espace lautet „No Such Thing As History: Four Collections and One Artist“ und beschreibt schon ziemlich detailliert, was den Besucher erwartet. Thema der Schau ist die Darstellung von Geschichte und die gezeigten Werke stammen aus vier Privatsammlungen und einer weiteren Künstlerin.

20 Arbeiten verschiedenster Gattungen der Münchner Sammlungen ICC, Lorenz/Amandine Cornette de Saint Cyr, Mackert und Wiese, sowie zehn Fotografien extra in Auftrag gegeben bei der Berliner Künstlerin Anette Kelm. Kuratiert hat das ganze jemand, der sich eigentlich ständig mit Geschichte beschäftigt: als Direktor des Jewish Museum in New York befasst sich Jens Hofmann besonders mit ihrer Darstellbarkeit im Museum. Wie lässt sich Geschichte archivieren, woraus besteht Geschichtsschreibung eigentlich und was machen „ zeitgenössische Künstler mit dem Thema [...] wie sie sie betrachten, problematisieren, persiflieren, sich aneignen oder würdigen.“ Eine zeitgenössische Kunstsammlung repräsentiert ihre Epoche. So dient das Sammeln auch dazu, Kunst zu archivieren die dann wiederum als Zeitzeuge für das kreieren von Geschichte fungiert.
Hoffmann fragt sich in seinem Katalogtext, ob Geschichte wirklich eine objektive Wissenschaft sein kann, wenn das Erzählte nicht selbst erlebt wurde. Er sagt dass „Geschichtsschreibung als Instrument erdacht wurde, die existierenden Leerstellen des Nichtwissens zu füllen“ .

Künstler und Kuratoren setzten sich auseinander und füllen/ rekonstruieren diese Lücken und kombinieren sie mit realen Daten.
Die ausgewählten Werke setzten sich auf verschiedene Weise mit dem Thema auseinander und drücken sich mit Hilfe unterschiedlicher Gattungen aus.
Die Fotokünstlerin Annette Kelm wurde eingeladen, eigens für die Ausstellung neue Arbeiten zu schaffen, anknüpfend an ihre Recherchen in Kunst- und sozialhistorischen Archiven. Die zehn großformatigen Fotografien zeigen die „Körperüberhänge“ der Feministin Hannelore Mabry, auf die Kelm im Münchner Institut für Zeitgeschichte stieß.
Mabry war ab den 1970er-Jahren bekannte Aktivistin für den Feminismus, publizierte die Zeitschrift DER FEMINIST und trug zusammen mit ihren Mitstreiterinnen bei Demonstrationen die von Annette Kelm abfotografierten „Protest Ponchos“.

Ein weiterer prominenter Teilnehmer der Schau ist Richard Prince, vertreten durch die Serie Upstate (1999). Zu sehen auf dem in Upstate New York von Prince selbst aufgenommenen Fotografien sind düstere amerikanische Landschaften mit heruntergekommenen Häusern und typischen Symbolen der amerikanischen Kultur wie etwa einem Basketballkorb. Teilweise sind nackte oder wenig bekleideten feiernden Frauen hineingeklebt. Prince beschäftigt sich mit der Autorenschaft und der vermeintlichen Objektivität von Fotografie in unserer so bilderüberfluteten Welt.

Die Arbeiten des Performancekünstlers Tino Seghal sind vergänglich und bestehen nur im Gedächtnis der Betrachter. Er wählt die Interpreten für seine „konstruierte Situationen“ selber aus, häufig aus dem Aufsichtspersonal oder gar als solches „getarnt“.
Sein Medium sind Stimme und Bewegung der Darsteller. Die Situation „This is not about“ (2005) besteht aus einer Führung durch die Ausstellung. In der es um in der Ausstellung nicht gezeigte Werke gehen soll. Mitten im Gespräch tanzt und spricht der Darsteller den Titel der Arbeit.
Wir hatten die Performance leider nicht verstanden und hatten noch, bis uns eine Bekannte viel später informierte, gedacht, wir seien in einer ziemlich schlechten Führung durch die Ausstellung geführt worden.

Weitere
teilnehmende Künstler der Schau sind: Kai Althoff, Nairy Baghramian, Martin Boyce, Clegg & Guttmann, Mark Dion, Lukas Duwenhögger, Simon Dybbroe Møller, Claire Fontaine, Tue Greenfort, Jonathan Horowitz, Jutta Koether, Michael Kunze, Louise Lawler, Kris Martin, Michaela Meise, Jonathan Monk, Henrik Olesen, Martha Rosler, Bojan Šarčević, Josef Strau sowie John Waters.

Zur Ausstellung ist ein Katalog mit Texten von Jens Hoffmann entstanden, sowie ein Interview mit Annette Kelm und Interviews mit den einzelnen Sammlern. Nach verlassen der Ausstellungsräume, erhält jeder Besucher ein Exemplar in einer LV Tüte.

Der „Espace Louis Vuitton München“ ist in der Maximilianstraße 2a in 80539 München zu finden.
www.louisvuitton.de/Espace-Louis-Vuitton

Öffnungszeiten: 29. März –8. August 2014
Montag–Freitag 12 – 19 Uhr, Samstag 10-18 Uhr

Eintritt frei


Bildnachweise:
Header: Blick in die Ausstellung. © Espace Louis Vuitton
Galerie:
Cover des Kataloges
Eingang zur Ausstellung No Such Thing As History Four Collection and One Artist
Werke der Künstler: Richard Prince, Upstate 1999, Fotografien, je 50,7 x 60,8 cm, © Richard Prince
Tino Seghal, This is nit about, 2005
Henrik Olesen "Cubes (after Sol Lewitt)", 1998 - 2008, Sammlung Mackert, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln
Clegg & Guttmann
"The Adventures of Venus. Her marvellous experience at the hands of Italians", 2005. Lukas Duwenhögger.
Annette Kelm. Institut für Zeitgeschichte-Archiv, Bestand Hannelore Mabry, Bayerisches Archiv der Frauenbewegung, Signatur: ED 900, Box 403, Körperüberhang Nr. 7: „Frauen Mütter Feministen kämpfen für Abrüstung und Entwaffnung aller Länder“/ Wir fordern die Abrüstung bis zum Küchenmesser“, 2014, C-Prints, gerahmt, zweiteilig, Courtesy of the artist, Institut für Zeitgeschichte, München und Johann König, Berlin.
Portraits Annette Kelm and Jens Hoffmann