Bildende Kunst
„Dionysos – Rausch und Ekstase“

Er war der Outlaw auf dem Olymp. Ein schillernder, unheimlicher Typ, der stets mit einer verzückten Horde wollüstiger Weiber und dämonischer Waldgeister auftrat.
Seit der Antike steht Dionysos (bei den Römern Bacchus genannt), für die dunklen, triebhaften Seiten aller irdischen und göttlichen Existenz. Seine ausschweifende Lebenslust und Wildheit machten ihn im Laufe der Jahrhunderte zum beliebtesten Gott der bildenden Kunst. Doch das allein ist nicht der Grund, warum ihm das Bucerius Kunst Forum derzeit eine opulente Themenschau widmet. Eine Ausstellung mit mehr als 90 hochkarätigen Leihgaben aus Dresden, London, Neapel und Wien, die einen Zeitraum von 2400 Jahren umspannen: „Dionysos – Rausch und Ekstase“ führt vor Augen, wie eng sich Künstler der Neuzeit an antiken Vorbildern orientiert haben. Zum ersten Mal werden hier antike Vasen, Reliefs, Skulpturen und Sarkophage den Gemälden der Renaissance und des Barock gegenübergestellt und zeigen im direkten Vergleich verblüffende Übereinstimmungen.

Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, vor der römischen Brunnenfigur „Silen mit Weinschlauch“ (1. Jh. n. Chr.) zu stehen und zu wissen, dass Peter Paul Rubens (1577-1640) um 1605 ebenfalls vor ihr gestanden haben muss: Seine Kreidezeichnung „Silen, an einen Baumstumpf lehnend“ ist bis auf die zottig behaarten Knie des alten Trunkenboldes und Ziehvaters des Halbgottes Dionysos originalgetreu wiedergegeben. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind diese beiden Werke zum ersten Mal seit 400 Jahren wieder gemeinsam zu sehen. Für jeden Künstler des 16. und 17. Jahrhunderts, der etwas auf sich hielt, gehörte das Studium antiker Skulpturen zum Pflichtprogramm. Am besten in Rom, vor Ort. Nicht selten entsprang daraus ein „Wettstreit der Künste, in denen Maler wie Bartholomäus Spranger (1546-1611) beweisen wollten, dass sie es an Lebensnähe durchaus mit den antiken Bildhauern aufnehmen konnten. Nur so lässt sich die marmorweiße Venus aus „Bacchus und Venus“ (um 1597) erklären.

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Wie stark sich die Meister der Neuzeit von ihren „Vorfahren“ inspirieren ließen, das zeigt auch der „Dionysos“ von Jusepe de Ribera (1591-1652) aus dem Prado in Madrid: Zwar ist der Kopf nur ein Fragment (das ursprüngliche Monumentalgemälde verbrannte größtenteils), doch Kopfhaltung, Rauschebart und Umhang haben frappierende Ähnlichkeit mit dem römischen Marmor-Relief „Einkehr des Dionysos“ (1. Jh. n. Chr.) aus Neapel.

In der Vorbereitung zu dieser Schau, so Kurator Michael Philipp, sei er mit einem „Luxusproblem“ konfrontiert worden: Einer schier unübersehbaren Fülle an Dionysos-Darstellungen. Bis auf das Mittelalter, einer Zeit, in der man schon wegen der Abbildung eines Bacchanals auf dem Scheiterhaufen landen konnte, haben sich Maler quer durch die Jahrhunderte mit dem Gott des Weines auseinandergesetzt. Also, wo anfangen und was auswählen? Nun, Michael Philipp hat sich auf die Themenkomplexe konzentriert, die die Künstler der Renaissance und des Barock besonders interessierte: Dionysos als Triumph des Lebens, als Symbol irdischer Prachtentfaltung und Erhabenheit. Einige berühmte Darstellungen fehlen leider, wie Caravaggios jugendlicher „Bacchus“ (um 1595). Dafür kann man in dieser Ausstellung auf eine Entdeckungsreise gehen und seine eigenen Vorstellungen überprüfen. Keiner vereint so viele Widersprüche in sich wie Dionysos: Die Verschmelzung von Mann und Frau, die Versöhnung von Mensch und Gott, auch von Gut und Böse. Schließlich schenkte er den Menschen den Wein - eine Gabe „zur Freude und zur Last“ der Sterblichen, wie man wohl weiß.

Und so verkörpert Dionysos beide Seiten: Laster, Gesetzlosigkeit und Dekadenz. Aber auch das freie, selbstbestimmte Individuum, das seine Interessen wahrnimmt und dafür auch die Verantwortung trägt. Kein Gott kam den Menschen so nahe, keiner wurde so inbrünstig verehrt und in kultischen Festen gefeiert, wie dieser allseits beliebte Sorgenlöser, der als Halbgott stets eine Außenseiterrolle im Olymp spielte. Dass er überhaupt in den Reigen der Unsterblichen aufstieg (das war sonst keinem Halbgott vergönnt) ist seiner phantastischen Geburt zu verdanken: Zeus, der ewige Schürzenjäger, hatte Dionysos mit der thebanischen Königstochter Semele gezeugt. Sie starb, als sie das wahre Antlitz des Liebhabers sehen wollte – der Blitz fuhr in sie – doch das ungeborene Kind überlebte und sein Göttervater entschied kurzerhand, es in seinen eigenen Schenkel einzunähen und auszutragen. Auf diese Weise erlangte Dionysos Unsterblichkeit – musste jedoch aus Angst vor der Rache vor Zeus‘ Gattin Hera versteckt bei Nymphen auf dem Berg Nysa aufwachsen, wo ihn der alte Silenos erzog.

Auf fast allen Exponaten ist Silenos als ewiger Trunkenbold und treuer Kumpan seines Schützlings dargestellt. Mitunter werden sogar beide miteinander verwechselt, da sich das Bild vom einem fetten, versoffenen Lüstling, wie ihn Hans Baldung Grien in unseren Köpfen festgesetzt hat. Dabei dokumentieren viele antike Darstellungen einen jugendlich schönen Jüngling mit weichen, weiblichen Zügen. Im Laufe der Jahrhunderte mutierte der Gott zusehends vom wilden Wüstling zur staatstragenden Figur und erhabenen Erscheinung, die bei keinem Festzug, bei keinem Symposium fehlen durfte.

Die Darstellungen des strahlenden Helden, der über seine bunte Gefolgschaft an tanzenden, singenden und musizierenden Mänaden und Satyren wacht, machen die grausamen Anfänge des Dionysos-Kultes fast vergessen. Wie Euripides in seinen „Bakchen“ schildert, rächt sich Dionysos an allen, die ihn nicht anerkennen: Pentheus wird im Rausch von seiner eigenen Mutter zerrissen. Auch Orpheus und Lykurgos werden von rasenden Bacchantinnen getötet.

Harte Kost, die nur auf wenigen attischen Vasen dargestellt wurde und die auch so gar nicht zu den arkadisch-lieblichen Kinderbildern von Anselm Feuerbach (1820-1880) und Franz von Stuck (1863-1928) passen will. Im Kapitel „Kindheit des Dionysos“ (er ist übrigens der einzige Gott mit Kindheitsgeschichte) werden die lange im Abseits stehenden Maler des 19. Jahrhunderts wieder salonfähig und runden das Bild ab von einem ganz und gar unkonventionellen Gesellen, der sich schon im Krabbelalter über alle (bürgerlichen) Tugenden hinwegsetzt: Guido Renis „Kleiner Bacchus“ (um 1623) zeigt einen auf ein Weinfass gestützten Knaben, der die Weinflasche angesetzt hat – und dabei fröhlich vor sich hin pinkelt. Da wird der Spruch „Wie gewonnen, so zerronnen“ doch ganz unmittelbar sinnfällig.


„Dionysos – Rausch und Ekstase“, zu sehen bis zum 21.1. 2014 im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2. Öffnungszeiten tägl. 11-19 Uhr, Do bis 21 Uhr Ein Katalog ist erschienen.
Vom 6.2.-10.6. 2014 wird die Ausstellung, die in Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden realisiert wurde, im Dresdner Residenzschloss gezeigt.
www.buceriuskunstforum.de


Fotonachweis: © Bucerius Kunstforum
Header: Ausstellungsansicht "Dionysos. Rausch und Ektase". Foto: Ulrich Perrey
Galerie:
01. Caesar Boëtius van Everdingen (1617-1678): Bacchus und Ariadne, um 1650, Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
02. Michelangelo Merisi da Caravaggio (Nachfolger) (1571-1610): Der jugendliche Bacchus, um 1610, Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut
03. Lawrence Alma-Tadema (1836-1912): Herbst (Tanzende Bacchantin), 1877, Birmingham, Museum & Art Gallery
04. Römisch, Brunnenfigur eines Silens mit Weinschlauch, um 70-110 n. Chr., Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
05. Lovis Corinth (1858-1925): "Heimkehrende Bacchanten" von Corinth, 1898, Wuppertal, Von der Heydt-Museum
06. Attisch, Mänade wehrt sich gegen Satyr, um 480 v. Chr., München, Staatliche Antikensammlungen und Glypothek
07. Römisch Triumph des Dionysos, um 210 n. Chr., Sarkophag, Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
08. Andrea Mantegna (1431-1506): Bacchanal vor der Weinkufe, um 1470, Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett
09. und 10. Ausstellungsansicht "Dionysos. Rausch und Ektase". Foto: Ulrich Perrey.

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