Bildende Kunst
Erasmus Zipfel: Innen-Außen-Bilder

Die Kunsthalle St. Annen Lübeck widmet dem Lübecker Künstler Erasmus Zipfel eine große Sonderausstellung.
Aus seiner jüngsten Schaffensphase zeigt das Haus rund fünfzig großformatige, Werke von geradezu explodierender Farbigkeit. Die Bilder belegen, dass Zipfel seine Malweise beharrlich und konsequent weiter entwickelt hat: Er malt abstrakt, keine Figurationen, keine erdfarbenen Töne mehr. Stattdessen dominieren intensive, teils reine Komplementärfarben in gelb, grün, blau bis hin zu einem kräftigen rot. Seinen Abstraktionen liegen digital bearbeitete, stark verfremdete Fotografien zugrunde.

Neben der Malerei, ist die Musik seine Berufung. Zipfel, der an der Musikhochschule Lübeck Komposition studiert hat, arbeitet dort heute als Dozent für Musiktheorie, Gehörbildung und Werkanalyse. Musik und Malerei, ist das überhaupt vereinbar? "Ja, denn meine Arbeit bewegt sich auf zwei Ebenen. Ich arbeite sowohl an den Klängen wie an den Bildern gleichzeitig. Es ist eine Art befruchtendes Verhältnis, das mir wichtig ist", erzählt der in Wroclaw/Breslau geborene Künstler. Diese musikalisch-malerische Befruchtung wird vor allem in dem harmonischem Zusammenspiel der Farben und dem virtuosen Pinselduktus seiner Abstraktionen deutlich.

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Zipfels künstlerische Entwicklungslinie nutzt heute Digital-Fotografien: Stadtansichten und Landschaften, Menschen, Straßenszenen, Architekturelemente. Mit Hilfe der digitalen Bildbearbeitung und der Solarisation, ein Verfahren zur Umkehr von Farben, sind die Fotografien so stark abstrahiert, dass sie keinen realen Erkennungswert mehr haben oder völlig unkenntlich werden. Sie bilden sozusagen das Bildmotiv. Bis zu drei Farbschichten trägt der Künstler auf den Malgrund auf, wobei er Ölfarben sowie in Kunstharz angerührte Farbpigmente und Lasuren bevorzugt. Die scharfkantigen Lineaturen und Muster der bearbeiteten Fotos werden auf die Leinwand projiziert, umrissen und verbinden sich mit der Malerei zu einer kompositorischen Einheit: Wolkenartige Farbflächen, parallele, schräge oder nebeneinander gesetzten Farbreihen schaffen stabile Bildstrukturen. Raumgreifende Linien sowie markante Pinselstriche suggerieren dagegen Bewegung und Dynamik. Die Frage, welche Schicht für das Innere und welche für das Äußere steht, liegt in den Augen des Betrachters. Hinzu kommt - auch das ist neu -, dass Erasmus Zipfel große, annähernd quadratische Formate wählt, die an die amerikanischen abstrakten Expressionisten Willem de Kooning, Clifford Still oder Jackson Pollock erinnern, welche in den fünfziger Jahren die Kunstwelt erobert haben.

Beim Rundgang durch die Ausstellung, die alle drei Etagen des Hauses bespielt, sollte der Besucher Zeit mitbringen und sich von den vertrauten Bildtiteln auf Reisen mitnehmen lassen: nach Berlin, Hamburg, Venedig und Capri, in die Breite Straße in Lübeck, die Landschaft am Blankensee sowie zu Stierkämpfen, Filmstars und berühmten Filmtiteln. Zipfel, der übrigens mehrere Bilder eines Motivs malt, thematisiert in "Corrida I-III" den spanischen Stierkampf. Während in dem ersten Bild die Umrisse des Stieres gut erkennbar sind, löst sich das Bildmotiv in den anderen Gemälden völlig auf. Kontrastierende Farbflächen sowie ein Geflecht aus schwarzen Linien gestalten jetzt die Bildkompositionen. Ähnliches lässt sich bei seinen anderen Bildfolgen beobachten, darunter "Alsterhaus II-III", den drei Bildern "Dolce vita", "Potsdamer Platz I-III" oder "Cleopatra I-III", nach dem gleichnamigen Film mit Elizabeth Taylor und Richard Burton. Zeichnen sich im ersten Gemälde noch die Konturen der Schauspieler vor dem farbigen Hintergrund ab, ist das Ursprungsmotiv in den anderen Gemälden mit Farbflächen und einzelnen Pinselstrichen verfremdet.

Als Bildträger verwendet der Künstler Nessel, wobei dichte Farbaufträge die Gewebestrukturen verwischen lassen. Sollen aquarellartige Farbnuancierungen realisiert werden, beklebt er vorher den Malgrund mit kleinen oder großen Papierflächen. Eine Technik, die er seit den 80er-Jahren benutzt.

Erasmus Zipfel, der 1989 in dem Haus seine erste museale Ausstellung hatte, kehrt nach nunmehr 25 Jahren mit neuen, überaus kreativen Arbeiten in die Kunsthalle St. Annen zurück. Zahlreiche Ausstellungen, darunter in Groningen, Wismar, Hamburg, Kiel oder Frankfurt, haben den Künstler über die Grenzen Lübecks hinaus bekannt gemacht. Zipfel ist einer der wenigen Lübecker Maler, dessen Bilder vom St. Annen Museum, Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck, erworben wurden.

Die Ausstellung Erasmus Zipfel: Innen-Außen-Bilder ist zu sehen bis zum 19. April 2015 in der Kunsthalle St. Annen, St. Annen-Straße 15, in 23552 Lübeck.
Die Öffnungszeiten Di-So. 11-17 Uhr und ab 01.04. Di-So. 10-17 Uhr.
Ein Katalog zur Ausstellung ist erschienen.
www.kunsthalle-st-annen.de


Abbildungsnachweis: © Kunsthalle St. Annen
Header: Erasmus Zipfel; Detail aus Rialto.
Galerie:
01. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
02. Erasmus Zipfel; Dolce vita 1.
03. Erasmus Zipfel; Rialto.
04.-08. Blicke in die Ausstellung. Fotos: Christel Busch
09. Erasmus Zipfel. Foto: Christel Busch

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