Architektur
Alte Synagoge Essen: Haus jüdischer Kultur

Sie wurde im Sommer 2010 nach zweijähriger Umbauzeit wiedereröffnet: die Alte Synagoge Essen.
Einst war es der größte Synagogenbau in Deutschland, dem man seine Bedeutung bis heute ansehen kann. Erbaut zwischen 1911 und 1913 vom Essener Architekten Edmund Körner, diente sie Jahrzehnte der großen jüdischen Gemeinde Essens als Ort der Versammlung und des Gebets.
Körners Pläne sahen einen monumentalen, freistehenden und beeindruckenden Baukörper vor, mit angrenzendem Rabbinerhaus und einem Verwaltungsteil der jüdischen Gemeinde. Ein selbstbewusstes Sinnbild für den Platz des Judentums in der deutschen Gesellschaft des Kaiserreichs.
Aber nicht nur die äußerliche Erscheinung war und ist bis heute imposant, auch das Innere war besonders. Eine große farbige Glasfensterreihe mit jüdischen Symbolen warf Licht auf die Frauenempore und eine weitere, niedrigere auf den Betsaal unterhalb des u-förmigen Balkons. Vier große und mehrere kleine Leuchter hingen von der Kuppel herab und spendeten dem riesigen Innenraum mit dem nach Osten, zur Klagemauer ausgerichteten, mächtigen Thoraschrein Licht. Mosaike, verschiedene Leuchter, Thorarollen, die in samtenen Mänteln, edel bestickt, mit Schild und Lesehand behängt und glockenverzierten Granatäpfeln versehen waren, gehörten zur reichen Ausstattung der Synagoge und des Thoraschreins. Die auf goldenem Grund verzierte blaue, hebräische Inschrift mit den drei Löwen und Rankenpflanzen über dem Muschelkalkschrein – heute rekonstruiert – war und ist ein Zitat aus der Mishna „Sprüche der Väter“ und lautet in der Übersetzung „Wisse, vor wem Du stehst“. Eine Orgel war jenseits des Thoraschreins eingebaut und jüdische Chöre aus Essen und Düsseldorf sorgten für den musikalischen Teil der Liturgie.

Nur 25 Jahre nach der Einweihung versuchten die Nationalsozialisten während des Novemberpogroms die Synagoge zu zerstören. Der Innenraum brannte am 10. November 1938 lichterloh aus, jedoch bleib das Gebäude äußerlich stehen, weil es solide aus Stahlbeton besteht und eine Sprengung zu gefährlich gewesen wäre. Wie bei annähernd 1400 weiteren Synagogen- und jüdischen Gebetsstättenschändungen in Deutschland, waren Teile der Bevölkerung schaulustig dabei.
Im September 1943 hatte der letzte Transport die Stadt verlassen – Essen galt als „judenfrei“, die Synagoge war längst keine mehr.

Nach 1945 stand sie jahrelang mahnend als Ruine im Essener Zentrum, bis die Stadt 1959 das Gebäude von der 'Jewish Trust Corporation' erwarb. Die neugegründete und kleine jüdische Gemeinde weihte im Oktober 1959 ihre neue Synagoge der Architekten Dieter Knoblauch und Heinz Heise in der Sedanstraße ein.
Entkernt wurde die Alte Synagoge in den 1960er-Jahren dann schließlich genutzt: das Haus Industrieform e.V. entstand. Der Thoraschrein wurde abgerissen, die Kuppel abgehängt und Mosaike übermalt oder entfernt. Fast gar nichts erinnerte mehr im Innenraum an eine Synagoge. Verschiedene Industriedesign- und Plakat-Ausstellungen wurden bis zu einem Kurzschlussbrand 1979 in regelmäßigen Abständen gezeigt.

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Zeitgemäß wurde dann aus der Alten Synagoge in den 1980er-Jahren ein Zentrum des Gedenkens. Eine Dauerausstellung zeigte "Stationen jüdischen Lebens - von der Emanzipation bis zur Gegenwart".

Die Stadt schrieb 2005 einen Wettbewerb aus, mit dem Ziel, die Alte Synagoge in ein „Haus jüdischer Kultur“ zu verwandeln. Zwei Jahre, von 2008 bis 2010, dauerte der Umbau. Das Ergebnis ist mehr als überzeugend: Bauherr und Baumeister, Innengestalter und Landschaftsarchitekten haben einen großzügig wirkendes, luftiges, geradezu atmendes Haus geschaffen. Der Eindruck des Atmens kommt durch verschiedene Aspekte: Der Raum ist groß gedacht, klar strukturiert, farbig angenehm und nicht von Ausstellungsarchitektur verstellt. Wände wurden entfernt, hinter denen früher Verwaltungsräume waren, die nun in den großen Synagogenraum integriert sind.
Die Ausstellung gliedert sich in fünf voneinander abgesetzte Teile: „Quellen jüdischer Traditionen“, mit religiösen Artefakten wie beispielsweise Thorarollenfragmenten, einem Bar-Mitzwa-Set aus Kippa, Tallit und Tefillin. Ein Plan, der die jüdischen Festtage vom solilunaren Kalender zum Gregorianischen Kalender von 1900 bis 1950 abgleicht, ist dort ebenso zu finden wie Hochzeitsurkunden und Segenssprüche.
Der jüdische „Way of Life“, der von der Agentur für jüdische Kulturvermittlung verantwortet ist, zeigt jenen Bereich, der über das religiöse Leben hinausgeht, im Tanz, in der Musik, im Film, im Humor, im kosheren Essen und in der Kleidung. Hier ist die Vielfalt jüdischer Kultur besonders zu spüren.
Das Thema „Jüdische Feste“ ist auf der ehemaligen Frauenempore zu finden. Es beschäftigt sich zum Beispiel mit Pessach (Überschreitungsfest), Rosh Ha'Shanah (Neujahr), Jom Kippur (Tag der Umkehr), Sukkot (Laubhüttenfest) und Channukah (Lichterfest) und zeigt Insignien, von Leuchtern über Schofar-Hörner bis zu Shabbat-Kerzenständern sowie Kiddusch-Bechern.
Die „Geschichte des Hauses“ präsentiert sich auf der ehemaligen Orgelempore und die „Geschichte der jüdischen Gemeinde in Essen“ im neu zugänglichen Mezzanin.

Egal von welcher Sichtachse aus man den großen Innenraum wahrnimmt, er ist von überall her überzeugend, wirkungsvoll und einfach sehr schön. In ihm finden Veranstaltungen zu aktuellen und historischen Themen jüdischer Kultur statt sowie Konzerte und Vorträge. Das sorgt für einen lebendigen, facettenreichen und ‚pluralen’ Austausch. Ein Freundeskreis hat sich konstituiert und unterstützt die Aktivitäten.
Vom Eröffnungstag Mitte Juli bis Ende Dezember 2010 erlebten 37.000 Besucher das Haus – sie kommen nicht nur aus Essen und Umgebung – es sind Einzelbesucher und Gruppen, die überwiegend aus Orten zwischen Aachen und Paderborn sowie aus den angrenzenden Bundesländern anreisen.

altIm jüdischen „Way of Life“ findet der Besucher übrigens eine Drehscheibe mit verschiedenen Begriffen, die wir seit langem im Deutschen verwenden und deren Ursprung sich aus dem Hebräischen, teils aus dem Jiddischen ableitet. So auch der Begriff ‚Jubel’ (vom hebräischen Wort jowel), und der ist trotz des notwendigen Erinnerns im Haus der jüdischen Kultur angebracht.





Alte Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur

Steeler Straße 29 / Edmund-Körner-Platz 1
45127 Essen

www.alte-synagoge.essen.de
Öffnungszeiten: täglich außer montags, 10 – 18h
Eintritt frei


Abbildungsnachweis:
Header: Alte Synagoge Innenansicht 2011. Foto: © Claus Friede
Textbild: "Jod". Foto: © Claus Friede
Galerie:
01. Damals, die Neue Synagoge, um 1914
02. Synagoge Innenansicht, Blick von der Frauenempore
03. Blick auf den Thoraschrein
04. Brennende Synagoge in Essen, 10. November 1938
05. Zerstörte Essener Innenstadt mit Blick auf Ruinen, die Synagoge und Friedenskirche, 1947
06. "Haus der Industrieform" (Eingang)
07. "Haus der Industrieform" (Innenansicht)
08. Umbau 1986 - 1988
09. Nach dem Umbau, die Dauerausstellung "Stationen jüdischen Lebens - von der Emanzipation bis zur Gegenwart"
10. Die Alte Synagoge mit neugestalteten Edmund-Körner-Platz (rechts), 2010
11:Â "Haus jüdischer Kultur", Innenansicht, 2011

Fotos 01-10: © Stadtbildstelle Essen / 11:Â © Claus Friedealt