Architektur
Avangardistin, Astronautin und Grand Dame der Architektur – Zum Tode der irakischen Architektin Zaha Hadid

Am 31. März 2016 ist Zaha Hadid an einem Herzinfarkt in Miami gestorben. 65 Jahre ist sie nur geworden, aber in dieser Zeit hat sie vermutlich drei Leben verpackt und dabei die zeitgenössische Architektur revolutioniert. Ihre Bauten haben so gar nichts mit dem Haus vom Nikolaus zu schaffen, sondern sind schräg, verrückt, zackig, schwebend: einfach nicht von dieser Welt.

Zaha Mohammad Hadid, 1950 in Bagdad geboren, ist die einzige Frau, die sich im global-maskulinen Architekten-Zirkus über Jahrzehnte gehalten hat: „Sie ist zickig, tierisch, wild, hemmungslos, macht, was sie will, verhält sich wie ein Mann, zeigt sich wie eine Frau, und dafür liebe ich sie“, lautet eine meiner Lieblingsäußerungen über sie im Netz. Verhält sich wie eine Frau? Naja – sie besaß 1.000 Paar Schuhe. Oder mehr. Und solche entwirft sie auch, also nicht nur Museen wie Raumschiffe, Sprungschanzen wie Raketenabschussbasen und Sitzmöbel fließend wie für Astronauten.

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Zaha Hadid war Protagonistin einer eindeutigen Architekturauffassung, die wie ein gut platziertes Markenprodukt herüberkommt. Sie lässt dabei immer das volle Spektrum von 360 Grad in ihre Raum-Skulpturen einfließen und der Rechte Winkel bleibt ungebetener Gast. Die experimentierfreudige Radikalistin ist Pritzker-Preisträgerin; die Auszeichnung wurde ihr 2004 als erster Frau der Welt verliehen. Ihre Themen: „Collage und Hybridisierung“, „Dialektik und Dynamik“ oder „Landen und Fliehen“. Das klingt nach Phantom und Fabelwesen, ist aber inzwischen von handfestem und weltweitem Erfolg gekrönt. Ein Blick auf ihre Website zeigt die heutige Präsenz des Hadid-Konzerns: bald 1.000 Projekte in 44 Ländern, 400 Beschäftigte, Aufträge aus der ganzen Welt.

Der Anfang der Erfolgsstory liegt in einem Spiralnebel: Zaha Hadid gewinnt 1983 einen weltweit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb, landet einen spektakulären Sieg, der dann zur „vergoldeten“ Niederlage wird. Ihr Entwurf für den Peak Leisure Club hoch über Hongkong erregte internationales Aufsehen und war 1988 auch bei der einflussreichen „Deconstructivist Architecture“ – Ausstellung des New Yorker Museum of Modern Art vertreten. Ein eher oberflächliches Image entstand und blieb haften: Sie galt als eine theoretische Vordenkerin des Dekonstruktivismus. Erstmals präsentierte Zaha Hadid eines ihrer geheimnisvollen schwarzen Architekturgemälde: Der Peak-Entwurf changiert in drei sich überlagernden, gegeneinander verschobenen Balken mit unterschiedlichen Farben und Funktionen. Freitragende Vorsprünge, Rampen und Plattformen gliedern wie einen horizontalen Wolkenkratzer den Club, der im Hohlraum zwischen dem zweiten und dritten Balken unter freiem Himmel liegt. Hadid setzt sich über die Grenzen eines gewöhnlichen Hauses hinweg. Außen und Innen fließen zusammen.

Das alles ist heute immer noch ohne eine Realisierung nicht richtig vorstellbar. Doch gebaut wurde der Club nie. Gleichwohl war Hadid gar nicht dem Dekonstruktivismus verpflichtet, sondern auf der Suche nach einer neuen Formensprache der Moderne, weil „less is more“ und der Rechte Winkel für sie die völlig falschen, weil veralteten Motive waren.
Abgeleitet hatte sie ihre eigene Theorie ausgerechnet von der suprematistischen Architektur des russischen Revolutionsarchitekten Kasimir Malewitsch aus den 1920er-Jahren (er war der Schöpfer des berühmten Schwarzen Quadrats). Sie sollte anders sein als die bisherige Architektur, die nur zweidimensional denke, die nur die Fassade gestalte, die anderen Seiten aber vernachlässige und den räumlichen Körper nicht als solchen sehe – glaubte Malewitsch.
Und Hadid sattelte auf seine Welt auf, in der es Planite oder Architektone gab. Die Grundform der Architektone zum Beispiel ist das Quadrat beziehungsweise der Kubus oder Quader. Zahlreiche Quader in verschiedenen Größen und Formen werden gestaffelt, ineinandergeschoben, aufeinandergesetzt. Diese Körper sind nicht funktional, sie stehen für nichts, sie sind „Objekt für nichts, nur eine Komposition stereometrischer Figuren“ (Malewitsch). Und sie waren ein Frontalangriff auf die gesamte davorliegende Bau- und Kulturgeschichte. Revolutionsarchitektur eben.

Kein Wunder, wenn über lange Zeit Hadids Projekte den Bauherren zu kühn waren. Viele nicht ausgeführte Entwürfe stehen für eine lange Durststrecke ohne große Projekte. Etabliert hatte sie sich dann erst zehn Jahre später ausgerechnet in Deutschland, mit einer eher kleinen Werksfeuerwehranlage auf dem Vitra-Werkgelände in Weil am Rhein. Sie verdankte dies der Innovationsfreude von Rolf Fehlbaum, dem geschäftsführenden Inhaber von Vitra, der bereits eine Reihe angesehener Architekten wie Álvaro Siza, Tadao Ando oder Frank Gehry für den Bau neuer Fabrikhallen engagiert hatte. Der zerklüftete Betonbau mit seinen scharfen Kanten und Zacken wirkt wie eine erstarrte Explosion. Heute stehen dort keine roten Autos mehr, sondern häufig Kunst- und Designexponate.

Die Zeiten und die Bauherren aller möglichen Volkswirtschaften im Aufbau kamen der sich etablierenden Star- und Signaturarchitektur und auch Zaha Hadid zu Hilfe. Die Welt wurde ihr Baufeld, Diktatoren und Despoten ihre Bauherren – vor allem in China oder in den Emiraten, entsprechend großartig, manchmal auch grob wirkten die Bauten.

Das gute, alte Europa, wo ihre feineren Bauwerke stehen, blieb bescheiden beziehungsweise avantgardistisch. Und diese haben es in sich: Das phæno (2005) in Wolfsburg ist ein neuer Typus des Technikmuseums, in dem die Besucher mit „den Ohren sehen“, „sekundenlang schweben“ und „die Leichtigkeit des freien Falls erleben“ können: also keine Kopie des Deutschen Museums in München, sondern ein Ereignis für alle Sinne zwischen Bauch und Hirn.
Signifikant sind auch die alpinen Beiträge für die Olympiastadt Innsbruck (2003). Aus weiter Entfernung betrachtet, macht die Sprungschanze den Eindruck, als würde sie sich in das Leere projizieren, in den eigenen Kosmos. Heute gilt die Schanze als Wahrzeichen des modernen Innsbrucks wie auch die gegenüberliegenden Raumkapseln der Hungerburg-Bergbahn, denen so gar nichts Alpines anhaftet.

Für mich liegt ihr schönstes aktuelles Werk mitten im ewigen Rom. Das MAXXI, ein Museum für Gegenwartskunst, ist eine Museumslandschaft im Fluss, aber mit Brüchen und Metamorphosen – vielleicht der erste wirkliche Präsentationsort für die Kunst des 21. Jahrhunderts. Das Raumschiff Hadid ist prächtig ins Fliegen gekommen. Die Besatzung wächst und wächst, aus 20 Mitarbeitern wurden Hunderte. Zweigbüros gibt es in der ganzen Welt, eines davon bis vor kurzem auch in Hamburg. Der Grund: 2006 lobte Hamburg eine Architekturolympiade. Eine der Aufgaben lautete, neue Ideen für ein ganz altes Thema – den Hochwasserschutz – zu finden. Zaha Hadids Hamburger Team entwarf eine begehbare Bandskulptur, mit mächtigen Treppen, die kegelförmig das Band unterbrechen. Es entstehen kleine Theater zu Stadt und Strom, mit Felsformationen, auf denen Restaurants, Cafés und Kioske Platz haben. Die ersten Abschnitte wurden inzwischen freigegeben. Zur Gesamteröffnung wird sie nun nicht mehr kommen können. Trotzdem bleiben Hamburg und ich ihr verbunden. Denn beide kennen Sie seit 1988, als sie in einer längst verschwunden Architekturgalerie am Klosterstern eine wunderbare Ausstellung mit ihren inzwischen weltbekannten „schwarzen“ Zeichnungen eröffnete. Laudator Ullrich Schwarz begrüßte sie damals mit „New Kid in Town“. Aus ihm ist längst die Grande Dame der Architektur des späten 20. Jahrhunderts geworden.


Dank an die Quelle: Quartier, Hamburg Ausgabe 26


Abbildungsdnachweise:
Header: Zaha Hadid; Wikipedia CC (1)
. Foto: Brigitte Lacombe
Galerie:
01. Herzstück des neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien- das Library & Learning Center, fertiggestellt 2013.
Foto: Roland Halbe
02. Science Center in Wolfsburg- das phæno. Foto: Klemens Ortmeyer
03. MAXXI Museum für das XXI. Jahrhundert. Foto: Bernard Touillon
04. Der neue Hochwasserschutz zwischen Landungsbrücken und Niederhafen wurde als attraktive Elbpromenade entworfen. Foto: Thomas Hampel

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