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Berlinale 2014 – Von Filmen, Stars und kleinen Skandalen

Zehn Tage Ausnahmezustand: Zum 64. Mal versammelte die Berlinale das Who is Who der Filmbranche in der Bundeshauptstadt. Ein Rückblick.
Immerhin das Wetter war gnädig: Kein bibberndes Anstehen in frostigen Temperaturen, sondern ein mildes Frühjahrswetter machte den Berlinale-Besuchern die Wartezeit nicht ganz so lang. Lange Schlangen und Kartengerangel gab es natürlich trotzdem: Immerhin gehören die Internationalen Filmfestspiele Berlin nicht nur zu den wichtigsten Frühjahrsterminen der Filmbranche, sondern auch dieses Jahr konnte die Berlinale wieder einen neuen Besucherrekord aufstellen. Gezählt wurden 330.000 verkaufte Eintrittskarten, plus die sich täglich am Absperrgitter drängenden Fans und Neugierigen, die mit Autogrammkarten und Handykameras beharrlich auf die erwarteten Stars und Sternchen ausharrten. Keine Frage, bei dem Getümmel braucht es starke Nerven – und vor allem viel Geduld.

Schon im Vorfeld der Berlinale ist Organisationstalent gefragt: Die vorab online eingestellte, meist recht dürftige Beschreibung des Inhalts macht die Auswahl der zu besuchenden Filme nicht leicht, zumal dabei noch die unterschiedlichen Aufführungszeiten, mögliche Wiederholungen, Dauer der jeweiligen Filme und die Distanz zwischen den 24 Spielstätten einkalkuliert werden muss. Hier sind Alleinreisende klar im Vorteil: Denn ein nach zahlreichen Telefonanrufen, Emails und SMS abgestimmtes Besuchsprogramm der Berlinale scheitert möglicherweise nicht nur an den unterschiedlichen Vorverkaufszeiten der Filme an wiederum verschiedenen Vorverkaufsstätten, sondern auch an den Hartgesottenen und Erprobten, die sich entweder in aller Herrgottsfrühe stundenlang vor dem Ticketbüro anstellen oder im Online-Vorverkauf so oft auf „Refresh“ drücken, bis Punkt 10 Uhr morgens die Tickets freigeschaltet werden und dann in Sekundenschnelle ausverkauft sind. Kein Wunder, dass beim Warten immer wieder hektisch im – nicht gerade übersichtlich gestalteten – Berlinale-Journal hin- und hergeblättert wird, von Titelregister zu Filmbeschreibung zu Aufführungsorten, die darin alle getrennt aufgelistet sind, auf der Suche nach der nächstbesten Alternative. Das Geheimnis heißt Flexibilität und Gelassenheit – also mögliche Ausweichfilme einplanen und sich von der deprimierenden „Ausverkauft“-Anzeige nicht abschrecken lassen, meist wurden kurz vor Vorstellungsbeginn an der Kasse doch noch Karten frei.

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Ausnahme bilden da natürlich die Kassenschlager des Festivals, die großen Hollywood-Blockbuster der Berlinale. Eröffnet wurden die Internationalen Festspiele Berlin 2014 mit der starbesetzten Komödie „Grand Hotel Budapest“, zu dessen Premiere sich neben Regisseur Wes Anderson auch Ralph Fiennes, Tilda Swinton, Bill Murray, Willem Dafoe und Edward Norton auf dem roten Teppich am Potsdamer Platz die Ehre gaben. Die liebevoll-skurrile Geschichte um die Abenteuer eines Lobbyboys und seines Mentors, dem exzentrischen Concierge des „Grand Budapest“, konnte dabei Publikum wie Kritiker begeistern und wurde abschließend zu Recht von der Jury mit dem silbernen Bären ausgezeichnet. Weniger Anklang fand dagegen George Clooneys „Monuments Man“, die fünfte Regiearbeit des Darstellers um eine kleine Gruppe Kunstliebhaber, die sich in der Endphase des Zweiten Weltkriegs dazu aufmachen, die von den Nazis gestohlenen Kunstschätze zu retten. Zu glatt soll der historische Stoff bearbeitet sein, zu gewollt komisch wie auch dramatisch und dazu unnötig bildbombastisch aufbereitet. Hollywood halt, und drängten die Massen zur Berlinale-Vorstellung, um Charmebolzen Clooney einmal live sehen zu können. Toppen konnte das höchstens noch die Premiere von dem kontrovers diskutierten Lars von Trier-Film „Nymphomaniac“, bei der diesmal nicht der Regisseur, sondern Darsteller Shia LaBeouf für Aufsehen sorgte: Erst für die Papiertüte, die er bei auf dem roten Teppich überm Kopf trug, dann das abrupte Verlassen der Pressekonferenz nach der Beantwortung einer einzigen Frage.

Abseits der Promiparade ließ sich im Berlinale-Programm wieder die eine oder andere Perle finden. Vorneweg zu nennen ist „Boyhood“ von Richard Linklater, ein innovatives Langzeitprojekt, bei dem der Filmemacher die gleichen Darsteller seit 2002 jeden Sommer immer wieder vor der Kamera versammelt hat und daraus einen Spielfilm ums Erwachsenwerden drehte. Ebenfalls in der Kategorie „Wettbewerb“ konnte uns der Film „Aloft“ der Regisseurin Claudia Llosa begeistern, ein ruhig erzähltes Mutter-Sohn-Drama in starken Bildern, das mit wenig Worten auskommt und trotz esoterischen Grundtönen vor allem die Geschichte von Leben, Tod, Liebe und Verlust eindrucksvoll zu erzählen weiß. Nett war auch das bedächtige Melodrama „Chiisai Ouchi (The Little House)“ um die Lebenserinnerungen einer alten Frau, unerfüllte Begehrlichkeiten und gesellschaftliche Hindernisse im Japan zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Absoluter Tiefpunkt war dagegen die französische Neuverfilmung des Märchenstoffs „Die Schöne und das Biest“, die mit schmerzhaftem Kitsch und billigen Special Effects seinen Platz in der Kategorie wohl kaum rechtfertigen konnte.

Besonders schön war dieses Jahr dagegen wieder die Berlinale-Sektion „Panorama“ gestaltet. Die norwegische Produktion „Blind“ konnte als unzuverlässig erzähltes Psychodrama um eine Blinde, die sich von ihrem Ehemann beobachtet wähnt, bestechen, auch wenn die vielversprechende Grundidee um die Vermischung von Realität und Fiktion am Ende etwas platt aufgelöst wurde. Ebenso packend wie verstörend war der französische Film „Tryptique“, der das Schicksal dreier Figuren und ihrer visuellen Imaginationen in intensiven Bildern nachverfolgt. Von dem breit gefächerten Berlinale-Filmangebot aus dem asiatischen Raum haben wir uns absichtlich den vielleicht nischigsten Film ausgesucht, „Bing Du“ aus Myanmar, ein Drama über Armut, Opiumsucht und Zwangsehe. Wehmutstropfen war die Aufführung von „Through A Lens Darkly: Black Photographers and the Emergence of People“, die wegen Schwierigkeiten mit der Servertechnik ausfallen musste, trotz anwesender Regisseure – ärgerlich nicht nur wegen deren weiter Anreise, sondern auch, weil der Film für den Publikumspreis nominiert war und so sicherlich einige wertvolle Stimmen verloren hat.

Überhaupt Berlinale-Pannen: Es ist unerklärlich, warum bei interessanten Talkrunden mit renommierten Gästen offensichtlich immer noch Moderatoren mit grausam schlechten Englisch-Kenntnissen eingesetzt werden. Das mag vielleicht als Charme des Festivals gelten und wurde meist ebenso wohlwollend wie professionell von den geladenen Filmemachern ignoriert, sorgte aber im Publikum regelmäßig für schmerzhaftes Zusammenzucken und Fremdschäm-Momenten. Erfahren musste das unter anderem Filmemacher Erroll Morris mit seiner – etwas enttäuschenden – Porträtdokumentation von Donald Rumsfeld „The Unknown Known“, bei der die kritischen Fragen leider letztlich nicht gestellt wurden. Noch schlimmer traf es Martin Scorsese, der sein – noch unfertiges – Dokumentarfilmprojekt über die amerikanische Literaturzeitschrift „New York Review of Books“ präsentierte, sich aber nach dem Screening mit dämlichen Fragen in bestem Denglisch über den Editierprozess des Magazins und den vom Moderator angeblich beobachteten „riskanten Schnitten“ des Films herumschlagen musste. Scorsese antwortete jedoch freundlich, geduldig und anekdotenreich und konnte so schnell die Herzen des Publikums zurückgewinnen.

Nach zehn Tagen Berlinale hat auch der ambitionierteste Kinogänger erst einmal genug von der Flimmerleinwand – zumindest fürs erste, denn sicherlich findet der ein oder andere Berlinale-Film seinen Weg in die deutschen Kinos.


Abbildungsnachweis: Alle Fotos: CP
Hader: Berliner Festspiele
Galerie:
01. Berlinale Mood
02. Am roten Teppich
03. Martin Scorsese gibt Autogramme
04. Diskussionspodium mit Martin Scorsese
05. Eroll Morris
06. Berlinale-Karten für Erroll Morris' "The Unknown Known"
07. Verfügbarkeitsanzeige für Kinokarten
08. Anstehen und Warten
09. Berlinale im Friedrichstadt Palast