Theater - Tanz
Sommerfestival auf Kampnagel: Malpaso Dance Company – Triple Bill

War es nun die erdrückende Hitze in der Halle K6, der alle möglichst rasch entkommen wollten oder konnte die kubanische Malpaso Dance Company, die Mittwochabend das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg eröffnete, die hochgesteckten Erwartungen am Ende doch nicht erfüllen?
Der Beifall des erlesenen Publikums jedenfalls war erstaunlich knapp. Gerade noch im Bereich des Höflichen. Dabei hätte die brillante Truppe für „Triple Bill“ bei ihrer Europapremiere durchaus etwas mehr Begeisterung verdient.

Die Malpaso Dance Company aus Havanna ist eine junge Truppe, 2012 gegründet von dem charismatischen Tänzer und Choreografen Osnel Delgado (gemeinsam mit Fernando Sáez und Daileidys Carrazana), steht sie exemplarisch für das, was sich das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel auf seine Fahnen geschrieben hat: Grenzen öffnen, neue Wege beschreiten, Wagnisse eingehen, Unbekanntes mutig erkunden. Dazu lädt die Company immer wieder internationale Spitzen-Choreographen nach Havanna ein. Der dreiteilige Abend unter dem Titel „Triple Bill“ beginnt mit „Indomitable Waltz“, einem puristischen Stück der US-Choreografin Aszure Barton zur Musik von Alexander Balanescu („Waltz“), Nils Frahm („Circling“) und Michael Nyman (String Quartet No.2“).

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Leere Bühne, unscheinbare Lichtführung – nichts lenkt ab von den in schwarzen Sportdresses gekleideten neun Tänzerinnen und Tänzern, die sich in kontrollierten, hochathletischen, aber dennoch unglaublich weichen, beständig fließenden und lasziven Bewegungen umkreisen. In unterschiedlichen Formationen, mal in Gruppen, mal in zweier Konstellationen scheinen sie sich immer mehr anzunähern und zu erkunden. Dabei verschmelzen Modern Dance und Capoeira-Elemente völlig selbstverständlich. Einfach atemberaubend, wie Osnel Delgado aus Rollen rückwärts in den Kopfstand geht, Spints dreht, mit welcher Eleganz und scheinbarer Mühelosigkeit die Hebefiguren ausgeführt werden. Mit einem Walzer hat das Ganze wenig zu tun, eher könnte man schon Anzeichen von „Indomitable“ ausmachen, was auf Deutsch unbezähmbar oder auch unbezwingbar heißt. Das passt, denn in diesem traumschönen Tänzerreigen ist die animalische Sinnlichkeit und Geschmeidigkeit von Raubkatzen spürbar.

Das nächste Stück, „24 Hours and a Dog“, eine Choreografie von Osnel Delgado, ist zweifellos der Höhepunkt des Abends. Und das nicht nur, weil der Arturo O’Farrill und sein virtuoses ‚Afro Latin Jazz Ensemble‘ live on stage sind. O’Farrill arbeitet schon länger mit der Malpaso Dance Company zusammen und hat die Musik zu Delgados Choreographie komponiert. Eine wunderbar jazzige Rumba, die das karibische Lebensgefühl beschwört. Aber auch die Choreografie ist eine einzige Hommage an Kuba, verbindet die schnörkellose Technik modernen Tanzes mit Einflüssen einer spezifisch kubanischen Tanzsprache. Dabei schafft Delgado das Kunststück, ein Feeling von erotischem Street Life ohne jede Folklore zu erzeugen.
Auch das dritte Stück des Abends, eine Uraufführung mit dem Titel „Liquidotopie“ und Auftragsarbeit des Internationalen Sommerfestivals, spielt mit Erotik, wirkt dabei jedoch ungewollt komisch. Geschaffen hat es Cecilia Bengolea, Tänzerin und Choreographin aus Buenos Aires, die heute in Paris lebt und sich intensiv mit anthropologischem Tanz auseinandersetzt: „Ich suchte in den Bewegungen der religiösen Tänze der Yoruba und in denen des jamaikanischen Dancehall. Die Rhythmen beider Tanzformen ähneln sich stark und die wellenförmigen Bewegungen oder das starke Anheben einzelner Körperteile spielen in beiden Tänzen eine wichtige Rolle“, schreibt sie über ihr neues Stück. Im Grunde genommen könnte man beide Tanzformen als Fruchtbarkeitsrituale bezeichnen, denn hier wie dort geht es um eindeutig sexuell stimulierte Bewegungen des Beckens. Außerdem, so erklärt Bengolea weiter, habe sie „die Bewegungen des Oktopusses beobachtet“ und interessiere sich für „Körper ohne Grenzen, ein völlig flüssiges Wesen, das aus einem Zustand ständiger Proben und Versuche geboren wird.“ Auch von einer „polymorphen erotischen Identität“ ist die Rede, von einer „kinetischen Empfindungsfähigkeit“ des Körpers und einer „spirituellen Pornographie“.

Nun, die Umsetzung dieser „spirituellen Pornographie“ reizte die Lachmuskeln mancher Zuschauer, denn die komplett weiß verhüllten Wesen, die sich da in einer musikalischen Unterwasserwelt (Musik: DJ Joyvan & Cecilia Bengolea) mit heftig kopulierenden Bewegungen über die Bühne schoben, erinnern frappierend an Woody Allens weiße Spermien-Kohorte aus dem Satire-Klassiker „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“. Nur dass hier kein Exemplar mit schwarzer Hornbrille aus Angst vor der ungewissen Zukunft den Absprung verweigert.
Ganz klar, die Malpaso Dance Company kann weit mehr als sie in dieser Uraufführung zeigen durfte. Die Tänzer sind allesamt brillante Techniker. Ihre Ausdruckskraft und Körperbeherrschung sind einfach stupend. Nicht ohne Grund avancierten sie binnen kürzester Zeit zu einer der gefragtesten Compagnien in Nord- und Südamerika. Hoffentlich sieht man sie bald einmal wieder. Es muss ja nicht in weißen Ganzkörperkondomen sein.

Malpaso Dance Company: Triple Bill

noch heute und morgen jeweils 20 Uhr, Halle K6, Kampnagel Hamburg, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg
Karten 14 bis 44 Euro.
Alle Infos über das Internationale Sommerfestival (bis 26.8.2018)
Programmheft als PDF zum Download


Abbildungsnachweis:
Header: Szene aus LIQUIDOTOPIE von Cecilia Bengolea. Foto: Anja Beutler
Galerie:
01. 24 Hours. Foto: Bill Hebert
02. Indomitable Waltz. Foto: Rose Eichenbaum
03. LIQUIDOTOPIE von Cecilia Bengolea. Foto: Anja Beutler