Film
Lila, Lila

Ein Spielfilm nach einer Romanvorlage ist fast immer eine heikle Sache, vor allem, wenn diese Romanvorlage sehr erfolgreich gewesen ist.
Den Lesern sitzen ihr eigenes Casting und ihre eigenen Kulissen längst im Kopf und sie verübeln normalerweise jede Abweichung, sei es nur eine andere Augenfarbe des Helden. Manchmal muss man sich ja tatsächlich fragen, was das eine Machwerk (außer dem Titel) mit dem anderen noch zu tun haben soll und wieso der Buchautor nicht den Regisseur nach begangener Tat niederstreckt – mildernde Umstände dürften ihm sicher sein.
So ist das in diesem Falle nicht. Der Schweizer Autor Martin Suter soll mit der filmischen Umsetzung seines Buches sehr zufrieden sein und dazu hat er auch jeden Grund.
Das Buch ist nett.
Der Film ist bezaubernd.
Der (ebenfalls in der Schweiz geborene) Regisseur Alain Gsponer, unterstützt von Drehbuchautor Alexander Buresch, erzählt eine ziemlich gute Geschichte mit seinen eigenen Worten einfach brillant, ohne viel zu ändern. Er lässt Überflüssiges weg, strafft hier und da, durchweg im Sinne der Aussage. Er begreift vollkommen, was Suter ausdrücken wollte und er zeigt es etwas treffender, pointierter, bevor er bescheiden zurücktritt und sich vor dem Autor verbeugt.

Es geht um David, einen verträumten jungen Anti-Helden mit trotzigen Mundwinkeln und den großen braunen Augen von Daniel Brühl. Der Hauptdarsteller ist, ganz wie im Buch beschrieben, ‚groß und schlank’, aber das nützt ihm überhaupt nichts, niemand nimmt ihn zur Kenntnis, weil er selbst immer noch ein ziemlich unklares Bild von sich hat. Er bedient in einem Café, wird jedoch, vielleicht, eines Tages, irgendetwas anderes machen.

David begegnet Marie (Hannah Herzsprung), einer hübschen Literaturstudentin, die weiß, was sie will und was sie nicht will. Vor allem dieser Gegensatz zieht ihn an. Er verliebt sich, nimmt Kontakt auf, spricht sogar verschiedentlich mit ihr. Aber seine Indifferenz macht ihn auch hier unsichtbar. Zunächst vergisst Marie den jungen Mann immer wieder. Irgendwann kann sich nicht umhin, sich zu erinnern: wer war das gleich? Richtig, der Kellner. Wie uninteressant.

Nun findet David in der klemmenden Schublade eines Möbels vom Flohmarkt ein altes Roman-Manuskript, eine traurige Liebesgeschichte aus den Fünfzigern von einem ‚Alfred Dunkel’. David füttert die vergilbten Seiten seinem Scanner ein, ändert im Computer den Namen des Verfassers in seinen eigenen, druckt alles aus und übergibt es der überraschten Marie: Ob sie es mal lesen möchte und ganz ehrlich beurteilen?

Marie ist beeindruckt, Marie ist begeistert. Jetzt glaubt sie zu erkennen, welch kapitales Innenleben die unbeholfene Kellnerhülle birgt.
Sie wird Davis Freundin. Er ist über dieses Wunder vollkommen glücklich.
Sie rät ihm, das phantastische Manuskript an einen Verlag zu schicken. Darüber ist er allerdings überhaupt nicht glücklich. (Sein Betrug könnte ja auffliegen!) David wehrt ab.

Weil Marie unbestritten die Energischere in der Beziehung ist, schickt sie den Roman trotzdem ein, hinter seinem Rücken.
Da Erfolg immer gern dann kommt, wenn man ihn nicht brauchen kann, explodiert das Werk (unter dem neuen Titel ‚Lila, Lila’) zum Bestseller und wird von Kritikern als das ‚Ende der literarischen Postmoderne’ bezeichnet. David, der Schüchterne, muss Lesungen und Signierstunden absolvieren und bringt bald seine Fans zum Kreischen.


Dabei plagt ihn nicht nur ganz gewöhnliches Lampenfieber, sondern auch noch die ständige Angst, entlarvt zu werden und als Resultat die schlimmstmögliche Katastrophe: Wiederverlust von Marie. Zwar ergeben seine heimlichen, schuldbewussten Recherchen, dass der vermutliche Verfasser der melancholischen Romanze offenbar, nachdem er den Schlusspunkt setzte, Selbstmord beging; Selbstmord aus Liebeskummer – dieser Jüngling war durchaus ein Seelenbruder von David. Aber es könnte ja immer noch jemanden geben, der darüber informiert ist?

Und eines Abends steht dann einer in der Schlange der Buchkäufer, mit langem, grauem Haar und blanken schwarzen Augen, frech, selbstbewusst, geschwätzig: Jacky (Henry Hübchen) erklärt dem entsetzten David, er selbst habe den Bestseller vor langer Zeit verfasst. Nur fand er damals keinen Verleger dafür. Nein, es war nicht seine eigene Geschichte. Er kannte den sentimentalen Helden, den, der sich entleibte.

Jacky legt keinen Wert darauf, David bloßzustellen und sich selbst als eigentlichen Autor zu outen. Einen alten Kerl wie ihn, sagt er, will sowieso keiner sehen. David soll ruhig so weiter machen – er MUSS sogar so weitermachen. Und er MUSS Jacky kommerziell beteiligen. Der Ruhm ist dem alten Gauner egal, der Gewinn ganz und gar nicht. Er hat viele handfeste Tipps, wie der sich steigern ließe, er schwadroniert überall von seiner literarischen Vergangenheit und den Kunstgrößen, mit denen er angeblich befreundet war – (‚Max Frisch hat immer zu mir gesagt…’) - er zwängt sich in das Leben von David und Marie, bei Festen in ihre neue gemeinsame Wohnung und auf den Fotos zwischen sie. Jacky hat sofort erkannt, womit er David erpressen kann: Marie wird alles erfahren, falls David nicht mitspielt.
David spielt also mit.

Im Buch kann er Marie immer nur die unbefriedigende Erklärung liefern, Jacky erinnere ihn an seinen Großvater. Im Film behauptet Jacky, David schon aus dessen Kindheit zu kennen: er sei sein Eishockeytrainer gewesen. Daraus ergibt sich, für jeden einsehbar, eine Art respektvolle Verpflichtung. Wenn der penetrante Alte den Jungen damals schon gecoacht hat, liegt es nahe, dass er dies immer noch tut. Jacky strebt den Agentenstatus an, er managt David, ordinär, laut, ungeniert. Er lebt gut auf dessen Kosten, vor allem trinkt er viel. Marie, die ihn anfangs noch ganz sympathisch fand, hat bald die Nase voll und verlangt von ihrem Liebsten, dass der schreckliche Jacky wieder verschwinden soll. Und ausgerechnet diesen Gefallen kann David ihr doch nicht tun, weil er sie dann umso sicherer verliert…

Henry Hübchen spielt den Jacky (‚Ich bin kein Penner!’) haarscharf an der Grenze zur Karikatur, aber er kippt nie über. Manchmal ist er wirklich abstoßend, manchmal wieder sehr rührend und die ganze Zeit atemberaubend echt.

Alain Gsponer hat ja, im Gegensatz zu Suter, die Möglichkeit, nicht nur zu erzählen, sondern auch zu zeigen. So lässt er bei einem der ersten Gespräche zwischen David und Jacky in einem Restaurant den Alten seinem Gegenüber einen Happen auf der Gabel hinhalten: diese Sülze müsse er unbedingt probieren, die sei großartig. Das ist ganz nebenbei zu betrachten während der Dialog weitergeht. David hat weder Appetit noch Interesse, ihn plagen ganz andere Sorgen, doch wieder einmal ist er der weniger Energische: er schluckt ergeben den Bissen und zeigt damit, dass man im Grunde alles mit ihm machen kann. In der Sülze steckte gewissermaßen der Angelhaken, der nun in seinem Gaumen festhakt.

Bleibt der David in der Romanvorlage eher wehleidig und passiv, bekommt Daniel Brühl ab einem bestimmten Punkt im Film einen harten Blick, strampelt seine Windeln ab und zeigt einen Wutanfall bis zur Mordlust, sehr glaubwürdig und ausgesprochen erfrischend.

Dieser Film ist rund in sich, ich würde sagen aus einem Guss, wenn das für ein so federleichtes Gebilde kein so unpassendes Wort wäre. Alles das, was noch vor zehn oder fünfzehn Jahren deutschsprachige Filme – und gerade heitere! - immer etwas holperig und uncharmant machte, gibt es nicht mehr. Hier stimmt wirklich alles, von Anfang bis Ende, auch der versöhnlicher gehaltene Schluss.

Man geht lächelnd nach Hause.

Lila, Lila Filmstart: 17. Dezember 2009
Ab dem 27. August 2010 auf Blu-rayTM, DVD und als Download erhältlich!

Siehe auch unser Interview mit dem Regisseur Alain Gsponer.