Film
Apocalypse Now - Final Cut

Hubschrauber bombardieren ein Dorf zu den dröhnenden Klängen von Wagners „Walkürenritt”. „Mein Film ist nicht über Vietnam, er ist Vietnam”, sagte US-Regisseur Francis Ford Coppola nach den Dreharbeiten über „Apocalypse Now”. Er inszenierte Schlachten, als würden sie sich tatsächlich ereignen. 40 Jahre sind vergangen, das visionäre Meisterwerk ist als Antikriegs-Message Teil unseres kollektiven Bewusstseins geworden, Inbegriff des menschlichen Zynismus, von Wahnsinn, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, dem Verlangen nach Selbstzerstörung.
Die „Final-Cut”-Version von 184 Minuten ist in ihrer kühnen brachialen Schönheit auf der großen Leinwand ein überwältigendes Erlebnis. Der achtzigjährige Coppola hat den 1979 gedrehten Film aufwendig restauriert: Von den Originalnegativen wurden 4K Scans erstellt, 300.000 Einzelbilder bereinigt, die Audiospur komplett überarbeitet.

Der Dolby-Atmos-Mix lässt das Blut in den Adern gefrieren, man spürt die niedrigen Frequenzen der Explosionen körperlich, der Sound-Design ist brillant, bedauerlich, dass „Apocalypse Now – Final Cut” nur am 15. Juli für einen Tag in die Kinos kommt, danach als Blue-ray und DVD im Handel erhältlich. Die meisten Filme wirken schnell veraltet, es sei ihnen auch zugestanden, aber dieser hochemotionale Höllentrip hat nichts von seiner Bildgewalt (Kamera: Vittorio Storaro) und Aktualität eingebüßt, im Gegenteil. Jede einzelne Szene fordert uns heraus, ist künstlerisch frappierend als Etappe durch die Absurditäten eines längst sinnentleerten Krieges. Was immer Hollywood danach an Kriegsfilmen lieferte, selbst Terrence Malicks „The Thin Red Line” (1998), es konnte nie an die Intensität von „Apocalypse Now” heranreichen. Nach vier Jahrzehnten schockierender Bilder, ob aus dem Golfkrieg, Afghanistan, Kosovo, Nahost, oder aus unwirklichen Science-Fiction ähnlichen Sphären, reagiert der Zuschauer weniger empfindlich, achtloser auf Gewalt, bei Videospielen zählen heute Treffer und Abschüsse. Zugleich hat die Skepsis gegenüber staatlicher Propaganda zugenommen, heute könnte Coppolas Epos keine heftigen Kontroversen mehr auslösen, seine Radikalität wurde längst Teil der Pop-Kultur. Und so sehen wir den Film aus einem anderen Blickwinkel, konzentrieren uns auf den Kern, Joseph Konrads „Herz der Finsternis”, Inspiration und Ausgangspunkt von John Milius’ Drehbuch.

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Saigon 1969, United States Army Captain Willard (Martin Sheen) gehört der Spezialeinheit für unkonventionelle Kriegsführung, dem MACV-SOG an. In einer billigen Absteige wartet er auf den nächsten Einsatz, Alkohol, Verzweiflung und Langeweile prägen seine Tage, er will zurück in den Dschungel, warum, wir können es nur erahnen. Seine Stimme aus dem Off: „Jede Minute, die ich in diesem Raum verbringe, macht mich kraftloser. Jede Minute, die Charlie (Army Slang für die vietnamesische Untergrundarmee FND) im Busch kauert, wird er stärker”). Der Erzähler hat etwas von einem verhinderten Gralsritter oder zynischen Todesengel. Zwei GIs erscheinen und verfrachten den schwer betrunkenen Willard zum Stützpunktpunkt des Nachrichtendienstes. Sein neuer Geheimauftrag ist die Eliminierung des angeblich verrückt gewordenen Colonels Walter E. Kurtz (Marlon Brando). Willard soll mit einem Patrouillenboot flussaufwärts bis nach Kambodscha fahren, um dort den abtrünnigen Colonel aufzuspüren, der dort seine eigene Privatarmee aus Deserteuren und Eingeborenen besitzt. Laut Dossier war der Colonel ein Musterschüler mit Chancen auf eine glanzvolle Karriere, bis er sich entschloss, trotz seines Alters den Ausbildungskurs der Special Forces zu absolvieren. In Vietnam gerät er bald in Konflikt mit den Richtlinien der Streitkräfte. Als er mutmaßliche Doppelagenten ohne ausdrückliche Autorisation erschießt, ermittelt man wegen Mordes gegen ihn. Auch wenn offensichtlich ist, dass seine Tat militärisch gesehen notwenig war. Aus dem Off Willard: „Einen Mann an so einem Ort wegen Mordes zu belangen, ist wie eine Verwarnung wegen überhöhter Geschwindigkeit beim Autorennen.” Was nach schwarzer Komik und Satire klingt, wird bald tödlicher Ernst und die Flucht ins Okkulte.

Die Crew des Patrouillenbootes besteht aus Chief Petty Officer Hicks, ein ängstlicher Saucier aus New Orleans mit wenig Interesse am Krieg, Lance B. Johnson, Neuling und erfolgreicher Profi-Surfer, der lieber in der Sonne liegt und Joints raucht, als zu kämpfen. Tyrone „Clean” Miller dagegen, ein hitzköpfiger Siebzehnjähriger aus den Bronx, greift schnell zum Gewehr. Nahe einem Dorf des Vietcong trifft Willard den Bataillons-Kommandeur der luftmobilen Einheit, ein selbstherrlicher und surfbegeisterter Lieutenant Colonel namens Bill Kilgore (Robert Duval). Am Abend gibt es Lagerfeuer mit eingeflogenem Bier und Steaks, der Lieutenant klimpert auf seiner Gitarre. Für einen Angriff und über das Leben von Menschen entscheidet bei ihm allein, ob es dadurch brauchbare Wellen zum Surfen gibt. Auf die Kampfhubschrauber sind Lautsprecher montiert, die Wagner-Beschallung bezeichnet er als psychologische Kriegsführung und befielt seinen Soldaten das Surfen, obwohl noch am Strand feindliche Granaten einschlagen. Kilgore: Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen... Riecht nach- Sieg.” Willard begann sich zu fragen, wenn Kilgore auf diese Weise Krieg führen durfte, was sie gegen Kurtz einzuwenden hatten. Einziger Trost jenes Tages, die Crew klaut Kilgores Surfbrett. Später passiert das Boot auf dem fiktiven Nung River die Station von Hau Phat, dort treten grade Playboy Bunnys auf. Gespenstisch die riesige nächtliche Arena voller Soldaten, die lauthals nach nacktem Fleisch verlangen, sie stürmen die Bühne, Hubschrauber landen, die kärglich bekleideten Frauen können sich in letzter Minute retten. Wenig später schießt Clean bei der Kontrolle eines Sampan auf ein junges Mädchen, Officer Hicks wollte eine Kiste öffnen, die Kleine reagiert hysterisch, der Siebzehnjährige eröffnet das Feuer. In der Kiste ist ein Hundebaby keine Granaten. Das Mädchen ist noch nicht tot. Willard will keine Zeit verlieren, zieht die Pistole und schießt. Die Besatzung ist entsetzt. Von nun an dreht sich die Spirale der Gewalt schneller.

Coppola riskierte für dieses Projekt alles, Vermögen, Karriere, Ruf, Gesundheit. Eigentlich hätte George Lukas den Film drehen sollen, aber der wollte lieber daheim bleiben und an seinem „Star Wars” Drehbuch arbeiten, also zog Coppola selbst nach vierjähriger Vorbereitungszeit in den philippinischen Dschungel. Ursprünglich hatte Harvey Keitel den Zuschlag für die Rolle des ruhigen verschlossenen Killers Willard erhalten, eine absolute Fehlbesetzung, er musste nach drei Wochen gegen Martin Sheen ausgewechselt werden. Marlon Brando erschien am Set, deutlich übergewichtiger als Kurtz es sein durfte und ohne vom Text Ahnung zu haben, aber mit exorbitanten Honorarforderungen von einer Million Dollar pro Woche. Die Aufnahmen von ihm entstanden meist in völligem Dunkel oder Zwielicht, sein Gesicht oft nur im Halbdunkel zu sichtbar, was die Ausstrahlung des vermeintlich wahnsinnigen Kurtz nur erhöhte. Ein epochaler Taifun versenkte die Dekorationen im Schlamm. Sheen erlitt einen Herzinfarkt. Als der Regisseur im Juni 1977 nach Los Angeles zurückkehrte, beliefen sich die Produktionskosten auf 30 Millionen Dollar. Während der 15 unendlich strapaziöser Monate, kursierten die wildesten Gerüchte über ständig steigenden Alkohol und Marihuana Konsum am Set, doch die Disziplin siegte. Aus 600.000 Filmmaterial entstand eine erste Rohversion des Films von fünfeinhalb Stunden. Bei der Premiere in Cannes wurde eine etwa dreistündige Work in Progress Fassung gezeigt, die Coppola fürs Kino auf 153 Minuten kürzte.

Als er diese Originalfassung zufällig irgendwann im Fernsehen entdeckt, empfand er sie als zahm und betulich, er fügte 50 Minuten Material hinzu, 2001 erschien ein Director`s Cut von 202 Minuten: „Apocalypse Now – Redux”, digitalisiert und neu geschnitten. Unverzichtbar für das Verständnis des Films ist Willards Dinner mit französischen Plantagenbesitzern an der kambodschanischen Grenze. Deren elegantes Anwesen, ihre Salonkultur voller Finesse, die Erziehung der Kinder, das politisches Selbstverständnis ist ein völlig anderes als das des Protagonisten. Die französischen Kolonialherren haben Grund und Boden über Generationen bewirtschaftet, florierende Unternehmen aufgebaut, sie empfinden sich rechtmäßige Eigentümer der Ländereien, nicht als Besatzer Indochinas, hier ist ihre Heimat „Warum sind wir hier?” fragt der Gastgeber und beantwortet die Frage selbst: „Um unsere Familien zusammen zu halten. Weil wir um das kämpfen wollen, was uns gehört. Ihr Amerikaner”, fügt voller Verachtung hinzu, kämpft lediglich um das größte Nichts in der Geschichte der Menschheit.” Der plumpe Hinweis, sie könnten doch zurückkehren, klingt verletzend und ist unsinnig für die Kolonialherren von einst, es gibt kein Zurück für sie. Kolonialismus sieht heute anders aus, die Jagd nach Ackerland und Plantagen entscheidet sich an der Börse. Die Zahl der Menschen ohne Heimat wächst.

Die attraktive Roxanne (Aurore Clément) verführt Willard, erklärt ihm „Zwei Seelen wohnen in dir, eine die tötet und eine die liebt.“ Kurtz wird später zu ihm sagen: „Sie sind ein Laufbursche, von Kolonialwarenhändlern geschickt, um die Rechnung vorzulegen.“ Leichen, aufgespießte Köpfe, der größenwahnsinnige Colonel hat sich sein Reich des Todes geschaffen. Den abgeschlagenen Kopf des ängstlichen Sauciers wirft er dem gefesselten Willard zwischen die Beine. „Apocalypse Now” legt die dunkelsten Abgründe der Seele frei, hier stehen sich nicht wie bei Josef Conrad Idealist und Moralist gegenüber, sondern zwei Verirrte in einem verlorenen Krieg. Es geht Coppola um die Notwendigkeit der Wahrheit. „Wir gingen in ein Lager, um einige Kinder zu impfen. Wir verließen das Lager, nachdem wir die Kinder gegen Polio geimpft hatten. Da kam ein alter Mann hinter uns hergelaufen, und er weinte ... Wir gingen in das Lager zurück. Sie waren inzwischen gekommen und hatten jeden geimpften Arm einfach abgehackt. Sie lagen auf einem Haufen... Und ich erinnere mich, wie ich schrie, ich weinte wie ein altes Waschweib. Ich wollte mir die Zähne herausreißen, wusste nicht mehr, was ich tun wollte. Und ich will mich daran erinnern. Ich will es niemals vergessen. Ich will niemals vergessen.” Und auch der Colonel macht Willard zum Boten, ihn beunruhigt der Gedanke, dass sein Sohn vielleicht nicht verstehen wird, worum es ihm wirklich ging: „Und falls ich getötet werden sollte, Willard, möchte ich, dass jemand zu mir nach Hause geht und es meinem Sohn erzählt. Alles. Alles, was ich getan habe. Alles, was sie gesehen haben. Denn es gibt nichts, was ich mehr verabscheue als den Gestank von Lügen. Und wenn Sie mich verstehen, Willard, werden sie das für mich tun.“ Die Eingangssequenz wie auch die Tötung von Kurtz sind unterlegt mit dem Song von The Doors: „This is the end, beautiful friend. This is the end, my only friend, the end.”

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Originaltitel: Apocalypse Now – Final Cut

Regie: Francis Ford Coppola
Drehbuch: John Milius, Francis Ford Coppola,
Darsteller: Martin Sheen, Marlon Brando, Dennis Hopper, Harrison Ford
Produktionsland: USA 1979/2019
Länge: 184 Minuten
Kinostart: 15. Juli 2019
Verleih: StudioCanal

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright StudioCanal