Film
Mackie Messer Brechts Dreigroschenfilm

In „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm” schildert Regisseur Joachim A. Lang die Querelen um jenes nie gedrehte Leinwand-Epos, während er es zugleich vor unseren Augen entstehen lässt. Der verblüffende Mix aus Realität und Fiktion ist ein gewagtes Unterfangen, aber das Resultat hinreißend: Überbordend, frech, hoch aktuell und musikalisch fulminant.
Da jongliert der 30jährige Brecht (Lars Eidinger) in den Kulissen der blau schillernden Halb- und Unterwelt Londons mit den Grundsätzen des epischen Theaters, zerstört gekonnt wie amüsant jede Illusion: Ein Mond wäre romantisch, also müssen zwei am nächtlichen Himmel über Soho auftauchen. „Nur das Künstliche, die Kunst gibt die Sicht auf die Wirklichkeit frei,” so lautet des Meisters Credo.

Berlin, 31. August 1928. Um auf die erwarteten Buh-Rufe des Publikums bei der Uraufführung seines Stücks „Die Dreigroschenoper” reagieren zu können, rüstet Bertolt Brecht seine Akteure mit Trillerpfeifen aus. Bis in die Morgenstunden dauerte jene legendäre Generalprobe im Theater am Schiffbauerdamm: Streit, Chaos, Unverständnis, ein Schauspieler nach dem anderen klagt, mault, zetert über das angeblich so alberne Machwerk: „Quatsch“, „eine Sauerei”, allen voran der eitle selbstgefällige Darsteller des Mackie Messer (grandios Tobias Moretti). Doch der Abend wird ein sensationeller Triumph, spätestens beim Kanonensong jubeln die Zuschauer, die Schlager der hereinbrechenden Krise entwickeln sich zu Welthits.

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Berlin ist verrückt nach der Anti-Oper, diesem überraschenden provokanten Drahtseilakt aus Kunst, Unterhaltung und Gesellschaftskritik. Dreigroschenkneipen eröffnen, die Frauen verkleiden sich als Prostituierte, die Männer als Zuhälter und Ganoven, der Tanz auf dem Vulkan beginnt. Die Nero-Film AG meldet Interesse an. Brecht steht dem eigenen Erfolg zwiespältig gegenüber, die Weltwirtschaftkrise führt zur Massenarbeitslosigkeit, der Film soll revolutionärer, ästhetisch und politisch radikaler werden, Komponist ist natürlich wieder Kurt Weill (Robert Stadlober). Der Titel des Exposés lautet: „Die Beule- Ein Dreigroschenfilm”, die grotesken Gangster mutieren hier zu modernen Bankern. Das Produzenten-Team reagiert entsetzt, Brecht pfeift auf die Regeln der Unterhaltungsindustrie: „Wer die Handlung nicht gleich begreift, braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Sie ist unverständlich. Wenn Sie nur etwas sehen wollen, was einen Sinn macht, dann müssen Sie auf das Pissoir gehen. Der Eintrittspreis wird auf keinen Fall erstattet.” Die Worte sind direkt ans Publikum gerichtet.

Ungestört davon, verliebt sich Gangster Macheath in das Hinterteil von Polly (Hannah Herzsprung), noch bevor er ein Wort mit ihr gewechselt hat. Eine exklusive Einladung zum Tanztee, man flirtet und schon ist die Hochzeit beschlossen. Hinreißend die Vorbereitungen, es wird geklaut, geraubt, gemetzelt, Macheath groteske Schergen geben ihr Bestes, doch der Boss verdrießt ihr Dilettantismus. Das Bühnenstück bleibt in der bekannten Konstellation erhalten, ist aber vom Klang her pompöser, die 80 Musiker des SWR Symphonieorchester geben den Songs wie der „Ballade vom angenehmen Leben” deutlich mehr aggressive Power. Das opulente Making-Of erfolgt treu den Regie-Anweisungen Brechts und seinem Script. Ein London sollte es sein, wie man es aus Kriminalromanen kennt, zwischen Soho und Whitechapel, Macheath, ein ambitionierter Ganove, der von Legalität und Ansehen träumt, will aufsteigen ins Bürgertum. Peachum, sein Widersacher (Joachim Król, absolut genial) packt das blanke Entsetzen, als er hört, in wessen Armen seine geliebte Tochter Polly gelandet ist, für sie hat er das Imperium „Bettlers Freund” aufgebaut, und nun wirft sie sich weg für einen Verbrecher.

Ständig wechseln die Ebenen zwischen Wirklichkeit und Vision, während sich die Fronten verhärten. So wie der Autor es sich vorstellt, will Produzent Seymour Nebenzahl (Godehard Giese) „Die Dreigroschenoper” nicht verfilmen, er hatte die Rechte 1930 erworben, bereits 800.000 Mark investiert, notfalls, so droht er, zieht die Nero AG das Projekt auch ohne Brecht durch. Der reagiert prompt und reicht Klage bei Gericht ein, will den Prozess für die Öffentlichkeit als soziologisches Lehrstück inszenieren, die Justiz als Kumpanen des Kommerz entlarven. Derweil eskaliert die Auseinandersetzung zwischen Macheath und seinem Schwiegervater: Um die Tochter aus den Fängen des Unwürdigen zu befreien, schwärzt Peachum den Gangster-Charmeur bei den Ordnungshütern an und droht mit einem Aufmarsch seiner Bettler, den Ärmsten der Armen anlässlich der Krönung der Königin. Trotz der engen Freundschaft aus gemeinsamen Armeezeiten, will und kann Polizeichef Tiger Brown (Christian Riedel) dieses Mal Macheath nicht vor dem Knast bewahren. Polly, längst nicht mehr das brave naive Mädchen, übernimmt die Leitung der Bank, als Tochter des Bettlerkönigs Peachum versteht sie sich auf das Geschäft mit der Ausbeutung. Natürlich wird am Ende Macheath doch noch gerettet, sein Wunsch nach scheinbarer Legalität erfüllt sich, aus dem Ganoven wird ein Banker, die Vergangenheit verschmilzt mit der Gegenwart.

Lars Eidinger tritt nicht an als cooler Ideologe sondern anarchischer junger Grübler, brillant stilisiert sich der trotzige Rebell zur Kunstfigur, politisch herrlich inkorrekt, und doch nie zynisch, ruhiger, zurückgenommener als vielleicht erwartet. Der Schauspieler dazu in einem Interview: „Vermutlich würde man sich eher eine Rampensau vorstellen, einen Provokateur. Was nicht heißt, dass mein Brecht nicht provozieren würde. Aber er macht es mit sehr speziellen Mitteln. Er predigt: Die Widersprüche sind die Hoffnungen. Das versuche ich in meine Interpretation mit aufzunehmen. Er sagt Sachen wie: Ein Jahr Vögeln oder ein Jahr Denken? Für einen starken Gedanken würde ich jedes Weib opfern.” Er ist Mittelpunkt des wilden jungen Künstlerkollektivs, dazu gehört Ehefrau Helene Weigel, die Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann, die Schauspielerin Carol Neher, der Komponist Kurt Weil und dessen Frau Lotte Lenja. Wundervoll wenn seine Freunde ihn veralbern, sie kennen seine Grundsätze nur zu gut: Distanz, Verfremdung, Illusionen zerstören, mit den Sehgewohnheiten brechen. Und vor allem: Keine Abbildung der Realität, bloß nie die Wirklichkeit abfotografieren. Wenn Brecht anfängt zu dozieren, fällt ihm sofort jemand ins Wort, beendet den Satz. Ja, ja, wir wissen es, aber der Zuschauer spürt die Bewunderung, den Respekt. Für einen wie ihn bringt man Opfer. Der Protagonist wird nicht glorifiziert, genüsslich stänkert er gegen Thomas Mann, kokettiert mit dem Kapitalismus: einen Wagen in Südfrankreich zu Schrott fahren, dann doch bitte jenes weiße elegante Cabriolet, damit ist Brecht schnell wieder in den Schlagzeilen.

Eidinger bombardiert uns mit bissigen Bonmots inklusive süffisanter dialektischer Finesse, jeder Satz stammt von Bertolt Brecht selbst, ist ein Originalzitat, aus seinem Werk und Leben, Theaterstücken wie „Baal” oder „Der gute Mensch von Sezuan”, aus Gedichten, Prosa, Briefen, dem Dreigroschenroman. „Es ist ungewohnt und neu, dass ein Dichter mit seinen eigenen Worten spricht”, erklärt Joachim A. Lang: „Keine erfundenen Orientierungsdialoge, sondern 100 Prozent Brecht, Brecht pur... Auch die anderen Künstler sprechen mit ihrer Stimme. Der Film will den Künstlern ihre Stimme geben.” „Und der Haifisch, der hat Zähne und die trägt er im Gesicht und Macheath, der hat ein Messer, doch das Messer sieht man nicht.” Schon die ersten Verse des Eingangssongs beschreiben vortrefflich den gegenwärtigen Zustand unserer Welt. Der Regisseur und Autor in einem Gespräch: „Der Angriff des Raubtiers erscheint harmlos gegenüber den verborgenen Brutalitäten eines System, in dem die Machenschaften, die Existenzgrundlagen vernichten, in scheinbarer Seriosität vor sich gehen. Mir geht es um ein neues Sehen, nicht nur auf Brecht und sein erfolgreichstes Werk, sondern auch um die Erweiterung von Möglichkeiten im Bruch mit Konventionen, in der Kunst und in der Wirklichkeit, in einer Welt, die durch frappierende soziale Ungerechtigkeit zunehmend aus den Fugen gerät.”

Mit seinem Kinodebüt ist Joachim A. Lang wahrlich etwas Einzigartiges gelungen, ein popkulturelles Wunderwerk zwischen Euphorie und Schrecken, es lehrt uns das Staunen fern vom sentimentalen Musical-Bombast der Traumfabriken Hollywoods. Bertolt Brecht wäre begeistert, diese Verflechtung aus sperriger Gesellschaftskritik und trügerisch betörendem Flair der Goldenen Zwanziger Jahre (Kamera: David Slama), auf Tuchfühlung mit Haifisch und Klassenfeind. Vor allem diesen unwiderstehlichen Songs, die sich auch im Wohlstand der Nachkriegsjahre zu behaupten wussten. Ein geglücktes Ensemble-Stück. Phantastisch die ernsthaft kaufmännische Bösartigkeit, wenn Joachim Kròl einem Kriegsversehrten vorführt, wie nur die Lüge Mitleid erregen kann und sich finanziell bezahlt macht. Lang hat bewusst seinen Macheath nicht als Revuehelden angelegt, sondern witzig, hintergründig, voller Ironie. „Maceath erkennt die Zeichen der Zeit, gibt sein Geschäft als Straßenräuber und Zuhälter auf, wechselt ins Bankfach... in einen Finanzpalast, der die brutalen Auswirkungen des Kampfes um Gewinn und Verlust bei oberflächlicher Betrachtung nicht zu erkennen gibt,” so Lang: „Die kriminelle Energie einer Ordnung, die sich mit Hedgefonds, Waffengeschäften, Lebensmittelspekulationen... und deren Folgen wie Hungersnöten, Bürgerkriegen und Flüchtlingselend global ausbreitet... Der Marsch der Bettler in unserem Film erinnert an die Massen von Flüchtlingen, die aus Not, Elend und Verfolgung zu uns kommen. Und wenn der frisch gebackene Bankpräsident Macheath mit Pollys Lösegeld aus dem Gefängnis freigekauft wird, lasse ich ihn die Worte sagen, welche die beängstigende Aktualität nicht nur durch die Parallelität zum amtierenden amerikanischen Präsidenten deutlich machen. Der ehemalige Straßenräuber wünscht sich Geschäftsleute an der Spitze des Staates, so wie er. Man müsse erreichen, dass die Reichen gute Reiche und die Armen gute Arme sind, er ist der Auffassung, das die Zeit einer solchen Staatsführungen kommen wird. Wie nah wir all dem doch sind.”

Seit 1930 beherrschen die Aufmärsche der SA in zunehmendem Maße die Straßen. Ihre Schlägertrupps sprengen alle Veranstaltungen, die den Nazis nicht genehm sind mit brutaler Gewalt. Grade die Aufführungen der „Dreigroschenoper” waren ihnen verhasst. Nach dem Reichstagsbrand muss Brecht aus Deutschland fliehen. Der Film endet mit dem Gedicht „An die Nachgeborenen”, vorgetragen von Brecht selbst, eine Stimme fast ohne jede Hoffnung.

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Originaltitel Film: Mackie Messer- Brechts Dreigroschenfilm

Regie & Drehbuch: Joachim A. Lang
Darsteller: Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Christian Riedel
Produktionsland: Deutschland, 2018
Länge: 140 Minuten
Kinostart: 13.September 2018
Verleih: Wild Bunch Germany

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Wild Bunch Germany / Stephan Pick