Bildende Kunst

Die Künstlerin Iris Schomaker im Gespräch mit Claus Friede in ihrem Atelier in Berlin-Mitte.

 

Claus Friede (CF): Bei unserem ersten Treffen haben wir überlegt, ob es nicht sinnvoll ist, anstatt einen Text über deine Arbeit zu schreiben, ein gemeinsames Künstlergespräch zu führen. Die Möglichkeit, die Künstlerin selbst zu Wort kommen zu lassen, erschien uns beiden als guter und authentischer Einstieg auf Deine Arbeit aufmerksam zu machen. 

 

Zu Beginn unseres Gesprächs haben wir eine ganze Reihe von Begriffen und Themen, an denen wir uns entlang arbeiten können.  Zum einen ist da der Begriff der Reduktion, des Komprimierens, auf den wir genauer eingehen sollten. Du hast im Vorfeld zu diesem Gespräch über ein Vorgehen gesprochen, das ich mit einem Katalysator vergleichen würde. Es geht dir darum, Themen, Fragestellungen und Inhalte zu reduzieren, zu filtern und zu kanalisieren. Die Reduktion unterliegt also einem katalytischen Vorgehen, einem Prozess der subtilen Dynamisierung.
 

Du hast im Vorgespräch über deine künstlerischen Bezüge auch Beispiele aus der Kunstgeschichte genannt, die japanische und chinesische Landschaftsmalerei oder die Farbfeldmalerei von Barnett Newman, auf die du dich berufst.
Wir sollten erst einmal über die Reduktion sprechen: Was bedeutet sie und welche Filterinstrumente benötigst du dafür? Du scheinst ja an bestimmten Punkten durchaus auch assoziativ vorzugehen, du kommst von Begriffen auf andere Begriffe und auch auf, ich nenne dies einmal, vereinfachte Zeichen. Du brichst die Inhalte quasi herunter bis du einen bestimmten Kern erreichst.

 

Pferd und Reiter I, 2009 ,Oil and watercolor on paper

Iris Schomker (IS): Mir geht es wirklich genau um diesen Kern. Ich habe viele Arbeiten, die figürlich sind und trotzdem auch starke abstrakte Qualitäten haben. Es gibt zwar eine Farbigkeit in meinen Bildern, doch auf den ersten Blick wirken viele eher schwarz-weiß und durch die Setzung der Flächen und Reduzierung der Formen und die direkte und manchmal fast rohe Arbeitsweise erreiche ich eine Konzentration auf etwas Abstraktes.

 

(Bild: Pferd und Reiter I, 2009, Wasserfarbe und Öl auf Papier, 290x240cm) 

 

CF: Das Pferd ist auf dem Bild aber doch als Pferd gemeint, es ist kein Surrogat oder Symbol, das nur auf etwas außerhalb seiner selbst verweist, oder?

 

IS: Ja und nein. Es geht bei dem Bild nicht um ein bestimmtes Pferd, das im Wasser steht, sondern es geht um die Idee eines Pferdes, das im Wasser steht, und um das, was mit dem Betrachter und dem Raum, in dem das Bild hängt, geschieht.

 

CF: Verstehe ich es richtig, dass du zwischen Bild und Betrachter Ebenen einschiebst?

 

IS: Ja, man schaut im Grunde auf das Bild und sieht: Das ist ein Pferd. Wenn der Betrachter dann anfängt genau zu schauen, kommt sehr schnell die Frage: Ist das überhaupt ein Pferd? Vom Anatomischen her stimmen meine Motive oft nicht. Und trotzdem fügt sich alles zusammen.

 

CF: Es kommt mir so vor, als seien die Details zwar einmal dagewesen, aber als hättest du sie wegradiert, fortgenommen. Das Hauptmotiv bleibt solitär in der Welt zurück, ist auf das Wesentliche reduziert und der Aspekt des Innehaltens kommt hinzu: Die Einzelfiguren im Raum, im entleerten Raum wirken allein, vereinzelt und manchmal einsam, zumal du auch nie Personengruppen malst oder zeichnest.

 

IS: Ja, es geht schon um ein klares Bei-sich-sein und um eine „andere“ Welt, die uns in ihrer Ruhe und Intensität irritiert.

 

CF: Ist damit auch das introvertierte Sein des Einzelnen gemeint, als Absetzung zur Welt außerhalb der Bilder?

 

IS: Ja, das kann man so sagen.

 

CF: Was kannst du mit dem Begriff Abstraktion anfangen? Ich frage das deshalb, weil ich glaube, dass sich durch die „Entschleunigung“ des Betrachtens und die Reduktion der Motivik ein gehöriger Abstraktionsgrad einstellt.

 

IS: Auf alle Fälle, das ist ein wichtiger Punkt für mich innerhalb der Arbeit.

 

CF: Außer der Abstraktion, die quasi über dem Ganzen schwebt, sind aber auch konkrete Figuren zu sehen und Arbeitsspuren, herunter gelaufene Farbnasen. Es gibt also verschiedene Ebenen der Darstellung...

 

IS: Wenn du „echte“ Darstellung meinst: Nein, das interessiert mich überhaupt nicht.
Mich interessiert nur Fiktion und Abstraktion.

 

CF: Dennoch möchte ich einen Moment bei der konkreten Motivik bleiben. In deinen Bildern spielt die Farbe weiß eine wichtige Rolle sowie leerstehende, unbearbeitete Flächen, die eine Assoziation des Winterlichen, Kalten, Nordischen impliziert, und es gibt ebensolche Hinweise, was die Kleidung der Protagonisten auf den Bildern angeht, mit Mützen und Pullovern...

 

Untitled, 2008, Gouache on paper

IS: Die Mützen sind ja auch eine Form der Reduktion, genau wie Schnee, der alle Details einer Landschaft überdeckt.

 

CF: Das klingt für mich so, als ob deine Arbeiten einen permanenten Winterschlaf vollziehen. Alle Funktionen sind reduziert und die Bildgestalt überbrückt eigentlich Zeit, verharrt im Stillstand, was sich auch auf den Betrachter überträgt.

 

(Bild: Untitled, 2008, Gouache auf Papier, 29x21cm)

 

IS: Nein. Ich verstehe zwar, warum du das so formulierst, aber mir geht es nur um einen einzigen kurzen Augenblick, nicht um eine eingefrorene, andauernde Situation. Ein Beispiel dafür: Selbst wenn man meint: Im vergangenen Jahr bin ich glücklich gewesen, so meint man dann doch nur ganz kurze Augenblicke oder nur einen einzigen Moment, der aber das ganze Jahr überstrahlt und weiterwirkt.

 

CF: Du sprichst zwar gerade von Glück, aber mir kam im Ausdruck der Gesichter und in den verharrenden Posen auch so etwas wie Melancholie in den Sinn...

 

IS: Ich würde nicht sagen, dass meine Arbeit melancholisch ist. Ich assoziiere mit dem Begriff etwas Trauriges, Verschwommenes und Depressives. Vielleicht kommt der Eindruck daher, dass die Arbeiten unspektakulär sind und sich deutlich von der realen, bunten und lauten Welt absetzen.

 

CF: Ich habe öfters in Texten über deine Arbeit gelesen, dass deine Figuren androgyn seien. Ich gestehe, ich sehe die dargestellten Personen nicht so. Ich meine, an vielen Hinweisen deine Geschlechtszuordnung erkennen zu können. Gut, bei einer Figur mehr und deutlicher, bei der anderen weniger. Wie definierst du deine Figuren?

 

IS: Ich bezeichne die Figuren auch als androgyn. Sie haben ein klares Geschlecht, aber durch die reduzierten, eher jungen, fast alterslosen Körper und Gesichter haben sie häufig sowohl etwas Männliches, als auch etwas Weibliches.

 

CF: Genau: Es sind durchweg junge Menschen!

 

IS: Ja, sie sind irgendwo im Alter zwischen 20 und 30 Jahren angesiedelt.

 

CF: Welche Gründe hat das?

 

IS: Letztlich ist es so, dass Menschen in der Zeit zwischen 20 und 30 ihr Selbstverständnis ausprägen. Das Bild, das man von sich selbst hat, ist oft unabhängig vom tatsächlichen Alter und entstand genau in dieser Zeit. Ich glaube, wir leben lange mit einem Selbstbild, das sich genau auf diese Lebenszeit bezieht. Insofern ist mir dieser Zeitraum wichtig.

 

CF: Ist das nicht möglicherweise eine gesellschaftliche Konvention zu glauben, zwischen 20 und 30 sei das Idealalter? Ich glaube ja auch, dass diese Zeit eine wichtige ist, sie steht bei den meisten für den Abschluss der Jugendlichkeit, oft für das Ende der Ausbildung und den Berufsbeginn. Das Erwachsensein bedarf auch neuer Verantwortungen, aber ob es das Idealalter ist...? Spielt die gesellschaftliche Konvention eine Rolle in deiner Arbeit?

 

IS: Das würde ich nicht sagen. Es ist ein besonderes Alter: Man ist unabhängig, alles ist offen, alles scheint möglich, und es ist sicherlich deswegen auch ein Alter, das im Rückblick gerne verklärt wird.

 

CF: Das klingt für mich so, als ob du der Altersgruppe zwischen 20 und 30 den größten Freiheitsgrad im Leben zugestehen würdest. Ich folgere einmal aus dieser Sichtweise, oder besser, ich frage mich, hat der Abstraktionsgrad, die Reduktion in deinen Werken und die definierte Alterskategorie vielleicht einen kausalen Zusammenhang mit dem Begriff der Freiheit?

 

IS: Ich glaube nicht. Zumindest ist es kein zentrales Thema. Dieses Alter eignet sich einfach sehr gut als Projektionsfläche.

 

CF: Welche Themen liegen Dir für deine Arbeit denn noch am Herzen?

 

IS: Es gibt neben den Figuren Berge, Bäume, Seen, Schnee, Regen, eigentlich jede Form von Wasser.

 

Cold Water, 2009, Gouache and oil on paper

 CF: Und die Landschaftsdarstellungen lösen dann auch andere Emotionen aus als es die Figurendarstellungen in deinen Bildern tun?

 

IS: Ja. Und sie lösen auch anders Emotionen aus. Sublimer, weil sie nicht so konkret sind wie die Figuren.

 

(Bild: Cold Water, 2009, Gouache un Öl auf Papier, 310x222cm)

 

CF: Und genau das ist einer der Gründe, warum ich die Kombination von Landschaft und Figuren in deinen Arbeiten der beiden auch so gerne mag – das Wechselspiel, das entsteht.

 

IS: Ich habe die Motive lange getrennt und kombiniere sie erst seit kurzer Zeit. Mir eröffnet das ganz neue Möglichkeiten und es ist beruhigend, dass sie zusammen funktionieren.

 

CF: Das finde ich eine gute künstlerische Entscheidung! Eine andere gute Entscheidung ist für mich deine Formatwahl. Du hast einerseits großformatige Arbeiten von gut 3 Metern – was fehlt ist ein Mittelformat, das aber gar nicht als fehlend empfunden wird – und dann die kleinen Formate, häufig DIN A4. Wenn man einen Ritt durch die Kunstgeschichte macht, dann hat die Formatwahl eines Künstlers immer eine gewichtige Rolle gespielt. Das richtete sich nach technischen Möglichkeiten, nach Inhalten, nach Räumen oder natürlichen Gegebenheiten und so weiter. Bei Dir gibt es zum einen das tagebuchartige Format im A4 und dann das körperbezogene Großformat, zumal ich glaube, dass es sehr entscheidend ist, welchen Abstand der Betrachter zum Bild einnimmt. Nein: Welche Nähe er zum Bild einhält und in den Bann gezogen wird. Warum also diese beiden Formate für deine Werke?

 

IS: Du bringst es mit dem „in den Bann ziehen“ auf den Punkt. Durch die Art der Komposition und das Anschneiden der Figuren, gehen Bildraum und der Raum des Betrachters bei den großen Formaten ineinander über. Durch die Größe der Bilder ist es schwer, sich ihnen körperlich zu entziehen. Und das ist für mich ein wichtiger Aspekt.
Es gibt durchaus auch Mittelformate. Das sind Kopfdarstellungen, die in dem Format sehr intensiv werden und im Raum fast ähnliche Dominanz erhalten wie eine große Arbeit.
Die kleinen Formate sind einfach unmissverständlich klein. Man gewinnt einen direkten Überblick über das, was los ist.

 

Untitled, 2008, Gouache on paper(Bild: Untitled, 2008, Gouache auf Papier, (30x21cm) 

 

CF: Hier schließt sich also ein wenig der Kreis zu einem Künstler, den ich zu Anfang unseres Gespräches erwähnt habe, Barnett Newman und die Farbfeldmalerei. Denn auch bei seinen großformatigen Werken war es ihm wichtig, dass die Ausstellungsbesucher dicht an dem jeweiligen Werk entlang gehen und nicht viel Abstand haben, um so weit zurück zu gehen, dass sie das Bild im Ganzen sehen konnten. So kann man sich auch vor deinen Bildern bewegen und aufhalten. Ich meine nicht im Sinne von magisch angezogen werden, sondern man integriert sich selbst in das Bild.

 

IS: Danke, das nehme ich als Kompliment.

 

Seashore Green, 2009, Gouache and oil on paper(Bild: Seashore Green, 2009, Gouache und Öl auf Papier, 240x190cm)

 

CF: Lass uns auch über deine Arbeitsweise sprechen, über das, was wir nicht unbedingt in deinen Bildern sehen. Benutzt du Vorlagen, Fotografien, vielleicht Texte, eigene und fremde?

 

IS: Bei mir ist alles zugelassen. Ich gehe offenen Blickes durch die Welt, fotografiere viel und sammle alle möglichen Eindrücke. Die Fotografien und das weitere Material sammle ich dann mehr oder weniger geordnet in Kisten. Ich nehme sie immer wieder zur Hand und blättere sie durch. Das ist mein Fundus, der sich ständig erweitert.

 

CF: Kann man deinen Karton als klassischen Zettelkasten bezeichnen? Das ist ja ein sehr analoges Arbeiten mit einem haptischen Erlebnis.

 

IS: Komplett analog, ja. Sortiert nach Themen werden dann die Bilder und Fotos dort einsortiert, aber sie werden auch immer wieder umsortiert. Ich lege einzelne Haufen an, die mich für ein bestimmtes Bild interessieren. Und dann sortiere ich sie auch wieder zurück in die Zettelkästen oder sie verschwinden in anderen Haufen. Kurz: Fluktuation und Konstanz zugleich. Ich arbeite nicht linear und schließe meine Themen nach einmaliger Bearbeitung auch nicht einfach ab, sondern beziehe mich im Laufe der Zeit immer wieder auf bestimmte Themen. Es kommen immer wieder auch neue Themen dazu, während andere zurücktreten. So eine Art persönlicher Kosmos.

 

CF: Welche Entscheidungsmechanismen müssen greifen, um da nun etwas Neues hinzukommen zu lassen?

 

IS: Etwas Neues kommt meistens dann dazu, wenn ich über längere Zeit mit einer Arbeitsgruppe beschäftigt war und mein Kopf relativ leer wurde. Dadurch bin ich dann offen für Neues. Das ist ein Moment des Stockens, der produktiv ist. In solchen Situationen schaue ich mir viel an, gehe in Ausstellungen, lese viel, höre intensiv Musik.

 

CF: Der Schaffensprozess läuft also auch über Schrift und Sprache?

 

IS: Ja, es gibt immer wieder Literatur und Musik, die mir für meine Arbeit einen unmittelbaren Input geben.

 

CF: Allerdings muss du ja wohl auch gegen Beliebigkeit und Überflutung angehen. Die Selektion erscheint mir da entscheidend. Welche Bilder im Kopf und welche um das Zentrum herum belässt du, welche werden aussortiert? Selektion müsste dann bei Dir auch Reduktion bedeuten.

 

IS: Ja, das tut es. Ich selektiere und reduziere die ganze Zeit und was dann schlussendlich übrig bleibt, ist das fertige Bild.

 

CF: Bedeutsam ist für mich auch noch, dass du keine Orte beschreibst, sondern Räume. Es ist nie konkret eine bestimmte, benennbare Landschaft, ein Berg, ein Baum oder eine Person gemeint, und dadurch bekommt das oder der Dargestellte eine allgemeine Gültigkeit.

 

Rainy mountain, 2008, Oil and watercolour on paper(Bild: Rainy mountain, 2008, Wasserfarbe und Öl auf Papier, 301x211cm) 

 

IS: Hier taucht meine Idee des kollektiven Gedankenguts auf. Ein Berg an sich ist ein starkes Bild, das viele Assoziationen auslöst und Symbolcharakter annimmt. Es interessiert mich nicht, ob der Berg die Zugspitze sein könnte. Mir geht es um die Idee des Berges, eine Art Urbild.

 

CF: Lass uns bitte zum Schluss kurz noch auf die chinesische und japanische Kunst kommen. Wie bist du denn darauf gekommen?

 

IS: Als ich mich intensiver mit Kunstgeschichte auseinandersetzte, gab es lauter Referenzen der klassischen asiatischen Kunst bei Generationen von bildenden und darstellenden Künstlern und Architekten des letzten Jahrhunderts. Insofern handelt es sich um kunstgeschichtliche Quellen, die schwer zu übersehen sind. Ich habe aber auch eine ganz persönliche Affinität zu dem Thema: Für mich ist Kunst, die intensiv ist und dennoch mit einfachen Mitteln auskommt, allgemein sehr wichtig. Dazu gehören die Kunst des Mittelalters und die der Italienischen Renaissance genauso wie etwa die Kunst der 1960er und 70er Jahre.



Iris Schomaker wurde 1973 in Stade geboren. 1996 studierte sie zunächst an der norwegischen Kunsthochschule in Trondheim, bevor sie an die Kunstakademie nach Bergen/Norwegen wechselte. An der Muthesius Hochschule Kiel machte sie ihren Abschluss. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin.


Die Ausstellung "songs of love and hate" im Landeskulturzentrum Salzau (Schleswig-Holstein) zeigt vom 13.09. bis 11.10.2009 neue Arbeiten der Künstlerin.
Abbildungen und Courtesy: Galerie Thomas Schulte, Berlin.

Weitere Informationen (Homepage Galerie Thomas Schulte)

 

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