Theater - Tanz

Geburtstagsgala für Barbara Nüsse im St. Pauli Theater und im Thalia Theater, wo sie die Ehrenmitgliedschaft erhielt – zwei unvergessliche Theaterabende.

 

„Barbara, Sie müssen das spielen, bis Sie 80 sind! Und immer in dem schönen roten Kleid“, hatte ihr Hans Wollschläger nach der Uraufführung von „Penelope“ zugerufen und sie hat es wahrgemacht: Am Vorabend ihres 80. Geburtstags vergangenen Donnerstag stand Barbara Nüsse noch einmal als Penelope alias Molly Bloom auf der Bühne, mit diesem Wahnsinnsmonolog aus James Joyces „Ulysses“, bevor ihr im zweiten Teil der Gala Schauspielkolleginnen und Weggefährten wie Peter Franke und Gerhard Garbers die Ehre erwiesen. Ein selten intensiver, ein hinreißender Abend im St. Pauli Theater!

 

„Hallo! Hallooho! Mensch, haben wir uns lange nicht gesehen! Lass Dich mal umarmen!“ Eine Stimmung, wie bei einem Klassentreffen. Etliche Thalia Kolleg*innen waren gekommen, unter ihnen Regisseurin Jette Steckel und Schauspielkollegin Karin Neuhäuser, die später auf der Bühne in ihrer herrlich grantelnden Art über „Runzel-Sex“ und anderen Alterserscheinungen lamentierte. Natürlich waren auch alte Kampnagel-Kämpen geladen, die vor bald 40 Jahren für den Erhalt des ehemaligen Fabrikgeländes von Nagel & Kaemp gekämpft haben. Mücke Quinckhart, Kampnagel-Urgestein und gemeinsam mit Hannah Hurtzig erste künstlerische Leiterin auf Kampnagel, Regisseurin Barbara Bilabel und auch Helga Schuchardt, damals Kultursenatorin in Hamburg, die eine weibliche Leitung der Kulturfabrik gegen alle Widerstände durchzusetzen vermochte.

 

Alle waren sie da, um „die Nüsse“ zu feiern und die legendäre „Penelope“-Inszenierung von Regisseur Uli Waller noch einmal zu sehen. James Joyces „Penelope“, das letzte Kapitel aus „Ulysses“, dem berühmtesten Roman des irischen Schriftstellers, wenige Jahre zuvor in der genialen Neuübersetzung von Hans Wollschläger (1935-2007) auf Deutsch erschienen, war im März 1986 die erste Eigenproduktion auf Kampnagel. Die Hallen waren damals marode und kalt. Überall kaputte Fenster, es zog wie Hechtsuppe, man mochte sich nirgendwo anlehnen, weil alles so verdreckt und rostig war – aber die junge freie Theaterszene der Hansestadt war Feuer und Flamme. Endlich kultureller Wildwuchs in der Stadt, endlich ein Ort, an dem einfach alles ausprobiert werden durfte – und improvisiert werden musste. „Barbara Nüsse hat die Produktion damals finanziert, sonst wäre sie nicht zustande gekommen“, erinnert sich Mücke Quinckhart.

 

Barbara Nuesse Penelope F Ralf Brinkhoff

Barbara Nüsse als Penelope. Foto: Ralf Brinkhoff

 

Das Stück, das schließlich ein Dauerbrenner werden sollte und durch die Weltgeschichte tourte, war anfangs auch, vorsichtig ausgedrückt, umstritten. Viele Zuschauer, die Kampnagel entdeckt hatten, weil das Hamburger Schauspielhaus Anfang der 1980er Jahre dort während der Umbauarbeiten sein Ausweichquartier hatte (nur deshalb wurden die Hallen damals nicht abgerissen), waren schockiert von der Obszönität dieses inneren Monologes und verließen unter lauten Beschimpfungen die Vorstellungen.

 

Und heute? Heute ist sich das Publikum wohl bewusst, hier eine Sternstunde des Theaters erleben zu dürfen – mit einer Ausnahme-Schauspielerin, an deren Lippen man auch hängen würde, wenn sie einem das Telefonbuch vorlesen würde. Barbara Nüsse trägt wieder das schöne rote Kleid, aber man sieht es anfangs kaum unter dem schwarzen Over-Size-Mantel, mit dem sie die Bühne betritt, sich an den Tisch setzt und mit dem Selbstgespräch beginnt. Einfach redet. Das Theatralisch-Opernhafte der ersten Penelope-Produktion ist verschwunden. Die dramatischen Gesten, das laszive Rekeln unter Stoffplanen, die starke Schminke, die ihrer Figur die Züge der altgriechischen Tragödin verlieh, sieht man nur auf der Leinwand im Hintergrund. An der Rampe sitzt ganz und gar Molly Bloom, die Frau des wenig erfolgreichen Anzeigen-Akquisiteurs Leopold Bloom aus Dublin – gereift, abgeklärt, weise. Eine Frau, die alles erlebt hat und der man nichts mehr vormachen kann. Die die Dinge beim Namen nennt, ohne jedes Tabu, während sie ihrem früheren Ich auf der Leinwand zusieht.

 

Die Gegenüberstellung von Bühnenmonolog 2023 und der NDR-Aufzeichnung von 1987 ist einfach genial. Auch diesmal hat wieder Ulrich Waller Regie geführt und auch diesmal in enger Zusammenarbeit mit Barbara Nüsse – hoffentlich dürfen die Hamburger diese Aufführung auch weiterhin sehen.

 

Ein Tag nach ihrem 80. Geburtstag feierte dann das Thalia Theater ihr langjähriges Ensemblemitglied mit einer ganz und gar ungewöhnlichen „Pipi Langstrumpf“- Vorstellung. Barbara Nüsse hatte sich diesen Abend gewünscht. Jette Steckels rockig-hippe Bühnenfassung für Kinder fortgeschrittenen Alters (ein Meer grauer Häupter im Parkett!) ist ja eh schon ungewöhnlich genug, aber an diesem Abend war wirklich alles außer Rand und Band. Das Kollegium stürmte mittendrin die Bühne, um mit Pipi im Viereck zu tanzen, das Publikum im ausverkauften Haus sang stehend „Happy Birthday“ und Intendant Joachim Lux, der die anrührende Laudatio auf Barbara Nüsse hielt, die an diesem Abend die Ehrenmitgliedschaft erhielt und ihre 800. Vorstellung im Thalia Theater spielte (Lux: „Wir haben nachgezählt!“), versagte zum ersten Mal die Stimme.

 

Barbara Nuesse 80 F Fabian Hammerl

Foto: Fabian Hammerl

 

„Liebe Barbara, Du ewig Junge, Du Zeitlose, Du Kind in der Frau, Du Junge im Mädchen, Du Autorität für uns alle im Thalia, ... Du bist eine wahrhafte Ausnahmeschauspielerin … und wurdest dafür vielfach geehrt … ABER (und da musste er stocken), Du bist eben auch ein großartiger Mensch! Ja, Du gibst uns allen immer wieder Halt: den Regisseuren, dem Ensemble, dem ganzen Haus“.

 

Und Barbara Nüsse, die ewig Junge, ganz in der Rolle der eben noch wild umherhüpfenden, tanzenden Pipi, schob sich völlig eingeschüchtert von dem ganzen Trubel um ihre Person seitwärts auf den Lehnstuhl, den man ihr bereitgestellt hatte und ließ die Beine baumeln. Ein kleines Mädchen, eine große Schauspielerin, eine Ausnahmeerscheinung.

Barbara Nüsse – Pipi. Penelope. Beides forever! Herzlichen Glückwunsch!

 

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