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5 Jahre Jazzclub im Stellwerk – Great Shit

Im September 2010 feiert der Jazzclub im Stellwerk in Hamburg-Harburg sein fünfjähriges Bestehen.
Eröffnet zu einer Zeit, in der andere Clubs – egal ob Jazz- oder Rockclubs - eher die Pforten schlossen, dazu auf der „falschen Seite“ des Flusses – nämlich im totgesagten Süden Hamburgs. In einer Stadt, die für Jazzer ohnehin einen weißen Fleck auf der Karte darstellte und dann noch in einem Bahnhof.
In den 5 Jahren hat sich nicht nur der Club selbst etliche Male verändert (neue Fenster dämmen Hitze wie Kälte und vor allem den Zuglärm von Außen), Bistrotische und Stühle haben das einstige hölzerne Sitzreihenmobiliar abgelöst. Ein Durcheinander von Stromkabeln wurde durch eine geordnete Elektrik ersetzt, ein Backstage-Bereich ausgebaut und eine gut 15 Jahre alte Tontechnik durch modernes Equipement ersetzt. Und selbst ein gut eingespielter Flügel gehört mittlerweile zum festen Inventar. „Great Shit“, wie die Stellwerker sagen und es selbstironisch zum 5jährigen auch zu ihrem Leitmotiv machen.

The Beginning: Doch einen Schritt zurück.
Interessiert man sich für die Geschichte des Stellwerks, so trifft man unweigerlich auf einen Mann: Heiko Langanke. Bevor es zum Stellwerk kam, versuchte der gebürtige Dortmunder (42) bereits in verschiedenen Projekten, dem Jazz in Hamburg mehr Geltung zu verschaffen, war an der Konzeption eines Jazzclubs in einem angedachten Kulturbahnhofs Altona (Harkortstraße) beteiligt (eine Idee, die in jüngster Vergangenheit neue Blüten trägt) wie auch an einem Rettungsversuch des legendären und 1999 endgültig geschlossenen „Dennis´ Swingclub“ (Hofweg).

Ohne jedoch nennenswert unterstützt zu werden, scheiterten die Vorhaben jeweils in letzter Instanz, zeigten aber durch teils großes Medien- aber auch Publikumsinteresse, dass Hamburg durchaus eine große Jazzgemeinde hat, für die sich der Kampf um einen neuen Club lohnt.

Als ersten Schritt gründete Langanke daher 2001 und zusammen mit der Jazzsängerin Ulita Knaus und dem ehemaligen NDR-BigBand-Leiter Prof. Dr. Dieter Glawischnig den Förderverein Jazzclub Hamburg e. V..
Dessen Ziel ist und war es, Interessenten zu gewinnen, die durch einen monatlichen Beitrag die Gründung und Betreibung eines neuen Clubs ermöglichen sollten und dem Jazz nachhaltig und im wahrsten Sinne des Wortes mehr Gehör zu verschaffen.
Durch Zufall stieß Langanke dann Anfang 2005 auf den Kunstverein im Bahnhof Harburg, der gerade im Begriff war, einen neuen Raum in Betrieb zu nehmen. In diesem sollte Theater und Musik den gegenüberliegenden Kunstverein Harburger Bahnhof in den Kulturgenres ergänzen und so ein regelrechter „Kulturbahnhof Harburg“ als Leitbild des oft gepredigten aber nie wirklich praktizierten „Sprungs über die Elbe“ darstellen.
Als Kooperationspartner des Kunstvereins ging so am 16.9.2005 der Jazzclub im Stellwerk als Konzertreihe mit seinem ersten Konzert an den Start.
Bis heute hat der Förderverein nun nicht nur das Stellwerk, das jährliche Jazz-Festival „Take5“, die Barkassentouren „Jazz on Boat“, das Kindermusikprojekt „Kröten für Tröten“ samt Workshops und Instrumentenverleihe, das Webradio „hamburgjazz.radio.de“ oder jüngst den „Jazz Sommer Barmbek“ oder das Terminportal „www.jazz-hamburg.com“ initiiert.
Projekte, die dazu beitrugen, dass Jazz – eine gemeinhin als „Randgruppensparte“ bezeichnete Musikform - alltäglicher in der Hansestadt wurde.

Das Team: Kann das ein Mann alleine?
„Nein“, so Langanke knapp. Und in der Tat: sein engster Stellwerk-Partner Thomas Bernhold als gelernter Tischler übernahm mehr den praktischen Part, seine Frau Sabine Schnell als praktizierende Grafikerin den Marketingpart, eine weitere engere Teamkollegin übernahm die Konzertbuchungen und Abrechnungen und Langanke selbst den Part der „Rampensau“ wie er es nennt.
„Im Grunde arbeitest Du wie ein Proficlub, muss Dich um jeden Behördenkram ebenso kümmern wie um Logistik, Verträge, Werbung und das Konzert an sich. Und wenn alles gut läuft, ist die Belohung, dass Du nicht noch drauf zahlst“, so Langanke. Eben alles „Great Shit“.

Und doch: das Stellwerk scheint in Hamburgs Kulturlandschaft unersetzbar geworden. Als Gastgeber moderner Jazzgrößen wie Jazzlegende und mittlerweile Bundesverdienstkreuzträger Gunter Hampel, die DanceJazz-Formation „Monsieur Dubois“, Pianist Uli Lenz, US-Orgel-Virtuose Jon Hammond, Weltenbummler und Saxophonist Greg Lyons, Pianist Eric Legnini, der Pianistin Maria Baptist, Schlagwerker Aldo Romano, Jungpianist Pär Lammers ist das Stellwerk ein respektabler Jazzclubs geworden.


Harte Bandagen
Möglich ist all das aber nur durch bedauerlich harte Bandagen:
Das Stellwerkteam mit rund 25 Helfenden arbeitet von Anbeginn und ausschließlich ehrenamtlich – im wahrsten Sinne: unentgeltlich. Bei 120-140 Konzerten, dem vor- und nachbereiten samt Buchhaltung, Werbung, Flyer- und Plakat-Gestaltung und -Verteilung etc. kommen da schnell 3-4000 Stunden im Jahr zusammen. „Selbst wenn wir das als 1-Euro-Jobber täten, wären wir schon wieder im Minus“, so Langanke.
Um Miete, GEMA, Hotel- und Druckkosten für Flyer und Plakate zu stemmen, braucht es auch ohnedies rund 4.000,- € monatlich. Und daher wird die „Selbstausbeutung“ der Musiker – wie Langanke sie folgerichtig benennt – zum Konzept.
„Bei uns bekommen alle Musiker lediglich Anteile der Eintrittseinnahmen. Das kann schon mal mehr als 1.000 Euro werden, aber eben auch 10,- €“, so Langanke realistisch. Aber ohne städtische Förderung sei eben nur das Prinzip „von der Hand in den Mund“ möglich.
„Brutal, durchaus. Aber alles andere wäre schön geredet und dennoch gibt es viele Jazzer, die das auf sich nehmen, was wohl kaum eine andere Kulturgattung machen würde: totales Risiko“, so Langanke. Und wieder rechnet er: „bei rund 8-9000 Gästen in den Clubkonzerten bekämen andere Kulturinstitutionen rund 80.000-90.000 Euro jährliche Unterstützung. Man muss sich schon seine Gedanken machen, wie weit man diese Art von Kulturdumping betreiben will. Das ist im Grunde und wirklich „great shit!“

Externe Stimmen
Aber ein guter Gastgeber scheint das Stellwerk-Team zu sein:
Es sieht sich in seiner Arbeit bestätigt, wenn von Pär Lammers (Pianist) gesagt wird: „Für fast alle jungen aufstrebenden Jazzbands auf Tournee in Deutschland ist mittlerweile klar, dass das Stellwerk die erste Anlaufstelle in Hamburg ist.“
Am 15.11.2009 löste sich das Stellwerk vom Kunstverein Harburger Bahnhof und agiert seitdem komplett selbstständig. Dafür allerdings sind die Mietkosten auch happig gestiegen.
Da ist es natürlich Balsam für die Jazzer-Seelen, wenn Musiker wie der in Hamburg lebende Trompeter und 2. Vorsitzende des Musikervereins „Jazzhaus Hamburg e.V.“ Michael Langkamp zum Jubiläum ausrichten lässt: „Ich bin unglaublich beeindruckt von eurem Durchhaltevermögen und der Arbeit, die ihr geleistet habt.“
Oder die Pianistin Fee Stracke, die schreibt: „Da nicht wirklich viele Leute gekommen sind, sah es finanziell nicht so gut für uns aus. Dennoch würde ich gerne wieder kommen. Ich hoffe ihr macht weiter“.

Die Agentin von Chris Gall, Vivian Peruth, lobt: „Für uns Booker und Musiker ist es in erster Linie wichtig neue Kontakte zu generieren und uns ein Publikum zu erspielen. Das Stellwerk bietet unbekannten Musikern und Agenten Möglichkeiten, die andere Hamburger Clubs (wie die Fabrik oder das Birdland) uns selten bieten. Wir waren sehr überrascht, dass an einem 1. Mai so viele Leute zu euch ins Stellwerk gekommen sind und uns zugehört haben. Das zeigt, dass Ihr Euch trotz unschönen Toiletten- und sonstigen Bedingungen auch ein treues Publikum erspielt habt und die Leute eurem Geschmack trauen.“ Aber sie bemerkt auch: „Wir wünschen Euch von Herzen, dass Ihr bald finanzielle Unterstützung bekommt, weil ein Dauerbetrieb auf solch aufopfernde Art und Weise wie Ihr sie betreibt, nicht lange gut gehen kann.“

Die Sängerin Marie Séférian bemerkt: „Die Arbeit die das Stellwerk leistet, unterscheidet sich in vielerlei Dingen von anderen Jazzclubs. Viele Jazzclubs haben vergessen, dass es um die Musik geht. Das Stellwerk aber bietet den Künstlern eine gute Atmosphäre und ist daran interessiert für alle Beteiligten einen schönen Abend zu gestalten.“

Auch der international renommierte Pianist Hans Lüdemann bringt es auf den Punkt: „Das "Stellwerk" schließt eine Lücke im Hamburger Kulturangebot. Es ist eine hervorragende Ergänzung zu bestehenden Einrichtungen wie der Fabrik und dem Birdland, ein Ort, der gleichermaßen wichtig ist als „Brutstätte“ für die jungen Musiker, als Spielort für die Hamburger Szene und als Auftrittsort für die überregionale Jazz-Szene. Es ist ein Ort der Kreativität, denn hier auf der Bühne entsteht diese Musik.
Das Programm kann sich sehen lassen und weist neben enormer Breite viele Höhepunkte und künstlerisch ambitionierte Veranstaltungen auf.
Für mich persönlich stellte ein Konzert im "Stellwerk" die Weichen für die Einladung zu einer Gastprofessur in den USA in 2009/2010.
Das "Stellwerk" zeichnet sich nicht nur durch sein Programm, sondern auch durch die engagierten Macher und Mitarbeiter aus. Zudem hat es das einzigartige Flair des Ortes "zwischen den Gleisen", der ähnlich überrascht, wie wenn Harry Potter am Bahnhof in eine andere Welt eintritt.
Ganz nebenbei schafft es das "Stellwerk" noch, den kulturell wenig profilierten Stadtteil Harburg erheblich aufzuwerten.
Es ist schwer zu verstehen, warum die Stadt Hamburg diese Einrichtung nicht massiv fördert. Dass das "Stellwerk" seine Leistung so lange aufrechterhalten konnte, ist wundervoll und grenzt an ein Wunder - denn es ist weder selbstverständlich, dass die Mitarbeiter ehrenamtlich arbeiten, noch dass die Musiker auf eigenes Risiko auftreten. Dies auf Dauer fortzusetzen, erscheint schwierig. Ich würde dem "Stellwerk" wünschen, dass Euer Engagement endlich durch städtische Unterstützung belohnt wird. Dies würde ermöglichen, dass kulturell noch mehr Glanzlichter gesetzt werden könnten und das "Stellwerk" eine dauerhaft tragfähigen Perspektive erhielte.“

Und auch das Publikum selbst ermuntert immer wieder zum Durchhalten. So etwa wie Gast Stefan nach einem Konzert in einer Mail schrieb. „Besonders gut finde ich, dass bei euch neuer frischer Jazz gespielt wird, den man normalerweise nicht hört.“

Die Vielfalt
Und in der Tat: Immer wieder findet man außergewöhnliche Projekte im Stellwerk. So zum Beispiel stellte Gunter Hampel gemalte Bilder aus und improvisierte dazu. Dieter Glawischnig zelebrierte nicht nur seinen 70. Geburtstag im Club sondern zu anderer Zeit einen Ernst-Jandel-Abend mit wortgewaltigen Texten, das U-Boot-Orchester tauchte im Stellwerk nicht nur mit Schnorcheln und Wassertrompeten auf sondern auch mit Videoinstallationen und einer tanzenden Nixe.
Der Stellwerk-Club ist eben selten normal.


Und die Qualität stimmt trotz fehlender Gagen.
„Hier spielen Bands die einige Zeit später in Jazzsendungen oder -Zeitungen vorgestellt werden.“ (ein Gast des Stellwerks), Musiker eben die was zu sagen haben: Pär Lammers (Pianist). Nach mehreren Auftritten im Stellwerk bekam er durch dieses Kontakt zum Label „Traumton Records“ und wird heute häufig im Radio gespielt.
Die Saxophonistin Charlotte Greve, war schon mit dem niedersächsischen Landesjugendjazzorchester „Wind Machine“ im Stellwerk, nachfolgend mit anderen Nachwuchsformationen und wird heute mit dem „Lisbeth Quartett“ bundesweit gefeiert.
Pianist Hans Lüdemann kam nach einem Stellwerk-Konzert mit einem Gast ins Gespräch, aus dem sich später eine Gastprofessur in den USA entwickelte.
Radio String Quartett spielte im Anschluss an die Jazz-ahead-Messe 2007 in Bremen im Stellwerk. Eine Woche später startete die neue CD im Verkauf und wurde mehrfach preisgekrönt.
Das Martin Tingvall Trio hatte ganz am Anfang (Okt. 2005) im Stellwerk gespielt, da kannte ihn kaum ein Mensch, heute ist er für kleine Clubs nicht mehr zu bezahlen.
Und das Trio „triosence“ spielte im Frühjahr 2008 im Stellwerk. Jetzt hat es einen Vertrag mit Sony-Music und eine Agentur in den USA.

Das Jubiläum
Nun macht das Stellwerk erst einmal eine Sommer- und Atempause, doch der Herbst und die Feier zum 5jähtrigen Bestehen ist schon jetzt viel versprechend:
am 10. September tritt Jazzlegende Gunter Hampel samt seiner „music + dance company“ auf und wird zudem noch einen Kinderworkshop im Stellwerk bestreiten.
Am 16. September taucht das Hamburger U-Boot-Orchester im Harburger Bahnhof auf
und am 17. und 18. September wird die niederländische Dance-Jazz-Formation „Monsieur Dubois“ samt DJ Soul Rabbi sein Stell-Dich-ein geben.


Foto: Thomas Schloemann: Jazzclub im Stellwerk, Open House, November 2005

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