Film
Rezensiert! Still Walking

Der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda (After Life, Nobody Knows) macht keine spannenden Filme. Jedenfalls nicht das, was wir gemeinhin unter einem spannenden Film verstehen.
Seine Themen - Leben und Tod - sind auch die Themen vieler Action-Filme. Aber Kore-eda beobachtet das aus einer geradezu buddhistischen Perspektive, nachdenklich, medatitiv.

‚Still Walking’ dürfte zu seinen eher heiteren Werken zählen. Das Thema ähnelt ein wenig Jodie Fosters sehr gelungener Komödie von 1995 ‚Familienfest und andere Schwierigkeiten’ (Home for the Holidays), bis hin zu der Tatsache, dass die Hauptperson Bilder restauriert. Eine Komödie ist es deshalb jedoch auf keinen Fall.
Traf sich die amerikanische Familie zu Thanskgiving, so reist Ryota Yokoyama (Abe Hiroshi) mit seiner Frau (Natsukawa Yui) und deren Söhnchen (Tanaka Shohei) aus einem spezielleren Grund in sein Elternhaus: vor fünfzehn Jahren starb sein älterer Bruder Junpei. Man wird diesen Tag, wie immer, zelebrieren und den Friedhof besuchen. Außer ihm und seiner Familie wird auch seine Schwester Chinami (You) mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern anwesend sein.
Wo die Westler laut, egozentrisch und überempfindlich agieren, mit teils wünschenswerter und teils brutaler Offenheit, da benehmen sich die Asiaten eher zurückhaltend und verschlossen. Sich gegenseitig zu verletzten schaffen sie allerdings eben so gut.

In einem hübschen Häuschen, nicht weit vom Strand, wohnen die Eltern. Der silberbärtige Vater (Harada Yoshio) ist ein pensionierter Arzt, der sich vom Schicksal beleidigt fühlt: sein brillanter Ältester hätte die Klinik übernehmen sollen. Wäre Junpei nicht vor fünfzehn Jahren ins Meer gesprungen, um das Leben eines – nach Ansicht von Vater Yokoyama – völlig wertlosen Jungen zu retten und dabei selbst zu ertrinken, dann könnte alles anders sein.
Zusätzlich ärgert er sich über Ryota, den Zweitgeborenen. Statt nun seinerseits Arzt zu werden muss er an kaputten Bildern rumbasteln, die andere Leute gemalt haben. Geheiratet hat er eine Frau ‚aus zweiter Hand’, also eine Witwe, und ihr kleiner Junge ist nicht sein Sohn und deshalb auch nicht der richtige Enkel der Yokoyamas.
Seine Frau (Kiki Kirin) sieht das ähnlich, wenn sie es im Gespräch mit ihrer Tochter auch etwas anders ausdrückt.
Ryota kennt die Missbilligung der Eltern sehr genau. Er bemüht sich, ihnen seinen aktuellen beruflichen Ärger zu verheimlichen. Er versucht (ungeschickt) eine etwas vertrautere Beziehung zu seinem kleinen Stiefsohn aufzubauen. Er unterdrückt sein Erschrecken über die Tatsache, wie sehr die Eltern seit der letzten Begegnung gealtert sind. Er hält gewohnheitsmäßig die boshaften kleinen Sticheleien vor allem seines Vaters aus, sowie fortgesetzte Anekdoten über den wundervollen großen Bruder. Als dem allerdings eine besonders pfiffige Bemerkung zugeschrieben wird, die doch Ryota seinerseits damals gemacht hatte, protestiert er – wenn auch Stunden später. Und wird erstaunt angeschaut: es sei doch eigentlich egal, wer das nun gesagt hätte.
Ryota wollte im Grunde sowieso nicht kommen und schon gar nicht über Nacht bleiben. Er tröstet sich damit, dass sie nun jedenfalls Weihnachten nicht anreisen müssen…

Kore-eda sagt, er habe vor allem die Figur der Mutter auf Persönlichkeit und Wortschatz seiner eigenen Mutter abgestimmt. Er selbst hat vor einigen Jahren beide Eltern verloren und bedauert, sich in der letzten Zeit nicht viel mehr um sie gekümmert zu haben. „Anstatt den Schritt meiner Eltern vom Leben zum Tod hin zu porträtieren wollte ich vielmehr einen Moment des Lebens selbst einfangen. Und in diesen Moment alle zwiespältigen Gefühle packen, die zu einer Familienerinnerung gehören, wie wenn man ein altes Familienalbum anschaut.“

Vieles wird schweigend erzählt, (obwohl durchaus auch Geplapper stattfindet) und mit geradezu aufreizender Gemächlichkeit. Hirokazu Kore-eda geniert sich beispielsweise nicht, mindestens fünf Minuten lang zu beobachten, wie einige Familienmitglieder sich – je nach Alter recht mühsam – über Straßen, Treppen und Brücken zum Strand bewegen, ganz ohne Dialog. Er zeigt Vater Yokoyama, der akribisch ein feuchtes Handtuch auf die Leine hängt, immer wieder glättet und gerade zupft – bis er es plötzlich zusammenknautscht.
Viel, sehr viel wird gekocht und zubereitet und vorbereitet. Wer Sinn hat für japanische Küche, für Kochvorgänge in Großaufnahme, sogar für einige Rezepte, für den ist dieser Film allein deswegen lohnenswert. Darüber hinaus erscheint auch noch der Sushi-Lieferant im Kimono an der Haustür, hält ein Schwätzchen und gewährt für die große Lieferung Rabatt…
Ungefähr vierundzwanzig Stunden umfasst die Handlung, von der Anreise bis zu dem Moment, als das alte Ehepaar Ryota und seine Familie zum Bus bringt.
Die Quintessenz schließlich ist wieder Jodie Fosters ‚Familienfest’ nicht unähnlich: Man geht sich auf die Nerven, man piekst sich an den gewohnten Stellen und schließlich, irgendwie, hat man sich doch sehr lieb…

Ob man diesen Film mag ist sicherlich Persönlichkeitsfrage. Nicht jedem gefällt eine Teezeremonie, nicht jeder hat die Geduld und Gelassenheit für Rituale. Leute, die ihren Kaffee lieber sofort wollen, dürfte Kore-edas Erzählweise kribbelig machen.
Mir hat sie gefallen.

STILL WALKING, Japan 2008, 114 Minuten
Ab 18. November 2010 im Kino
Foto: Courtesy Los Angeles Film Festival

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