Film
Human Flow Ai Weiwei

65 Millionen Menschen sind in diesem Moment auf der Flucht. Zwölf Monate lang hat der chinesische Konzeptkünstler und Regimekritiker Ai Weiwei mit 200 Teammitgliedern in 23 Ländern der Welt gedreht. Entstanden ist eine bildgewaltige aufrüttelnde Dokumentation über Vertreibung, Tyrannei, Armut, Ausbeutung und Heimatlosigkeit.
Doch die Schönheit trotzt dem erschütternden Ausmaß des Schreckens, ist kein innerer Widerspruch sondern eine Form des Begreifens, des Aufbegehrens, die vielschichtige visuelle Umsetzung von Empathie, von Solidarität: Ai Weiwei löst in der ästhetisch oft atemberaubenden globalen Komposition Distanz und Nähe auf, versucht so das fremde Schicksal zum eigenen zu machen, für ihn sind Flüchtlinge „die Helden unserer Zeit”, er zeigt ihren Schmerz, ihren Stolz und ihre Würde.

 
Film
The Secret Man

Watergate ist seit 45 Jahren der Inbegriff von Amtsmissbrauch, aber auch von der Kraft des Investigativen Journalismus.
Alan J. Pakulas Kinoklassiker „Die Unbestechlichen” von 1976 prägte unser Bild des Polit-Skandals: Die Recherchen der von Dustin Hoffmann und Robert Redford gespielten Reporter und ihre Treffen mit dem Informanten „Deep Throat” führten zum ersten Mal in der US-Geschichte zum Rücktritt eines Präsidenten. Jetzt schildert Regisseur Peter Landesman in „The Secret Man” die Ereignisse jener Zeit aus der Perspektive des mysteriösen Whistleblowers, der seine Identität erst 2005, kurz vor dem Tod offenbarte: Mark Felt (Liam Neeson). Ein hinreißender, skeptisch düsterer Neo-Noir, dessen skrupellose Machtkämpfe zwischen Weißem Haus und FBI aktueller nicht sein könnten.

 
Film
Gods Own Country

„Eine innige, aber zugleich schroffe Liebesgeschichte” nennt Francis Lee seinen Film. „God’s Own Country”, das sind große gewaltige Gefühle in Nahaufnahme, ein furioses packendes Drama.
Die stürmischen Hochmoore im nordenglischen Yorkshire waren schon Schauplatz von Emily Brontës „Wuthering Heights”. Jene zerklüftete raue Felslandschaft prägt die Menschen, wird Spiegel ihrer heimlichen Hoffnungen und Ängste. Der britische Regisseur ist hier aufgewachsen, er drehte nur zehn Minuten von der elterlichen Farm entfernt. In seiner Jugend schien er sich der archaischen wilden Schönheit der Gegend noch nicht bewusst, empfand sie als erdrückend, brutal und ging nach London, um Schauspieler zu werden.

 
Film
The Square

Ein Museum ist der perfekte Tatort, doch in Ruben Östlunds Film „The Square” steht weniger der Kulturbetrieb als Jahrmarkt der Eitelkeiten am Pranger sondern der moderne Mensch – also wir. Und zum eigenen Erstaunen genießt es der Zuschauer – leicht verwirrt, etwas verängstigt, aber begierig auf so viele intelligente, höchst amüsante Pointen, Wendungen, diese unbequeme Art von Gesellschaftskritik.
Es ist das Ende jeglichen Heldentums, der schwedische Regisseur kreiert eine moralische Versuchsanordnung, entlarvt ästhetisch bravourös die Oberflächlichkeit und Abgründe unseres Handelns. Eine schillernde opulente Satire mit reichlich Spielraum für Tragik und schwarzen Humor, das wurde in Cannes mit der Goldenen Palme belohnt.

 
Film
Happy End

Vom Töten, dem Wunsch zu sterben und meist unsichtbaren Flüchtlingen erzählt Michael Haneke in seinem Oeuvre „Happy End” mit lakonisch kühler Raffinesse.
Es ist die Geschichte der Familie Laurent, reiche Bauunternehmer aus dem französischen Calais. Der Film, mehr Farce als Drama, beginnt im Hochformat des Smartphones. Konzentration bitte, Kommentare mitlesen, jene ersten Einstelllungen sind entscheidend: Die 12-jährige Ève (Fantine Harduin) dokumentiert / inszeniert am unendlich fernen Ende eines Flurs ihr Zähneputzen, Pipi vorm Schlafengehen, dann wird der Hamster (Nahaufnahme) als Testversuch mit Mamas Antidepressiva ins Jenseits befördert.

 
Film
Die Nile Hilton Affäre

Kairo, Januar 2011 am Vorabend der Revolution, eine Stadt voller Widersprüche, hier herrschen die Reichen, die Mächtigen. Korruption, Willkür, Gewalt und die Gier nach Geld bestimmen den Alltag, jene Extreme von Luxus und Armut.
„Die Nile Hilton Affäre” inszeniert Tarik Saleh atemberaubend virtuos als melancholisch düsteren Neo-Noir. Weder Moral noch Fernsehapparat funktionieren, Kommissar Noredin (grandios Fares Fares) erträgt es mit scheinbar stoischer Gleichgültigkeit. Nach dem Tod seiner Frau will er nur vergessen, flieht in die Routine der Arbeit, betäubt daheim die Trauer, den Schmerz, mit Alkohol und Tabletten. Lässig, ohne Skrupel kassiert der eher wortkarge Polizeibeamte Schmiergelder, gibt sich tough, kalt, unnahbar. Nie hat er die Machtstrukturen seines Landes hinterfragt, doch dann geschieht ein Mord, der alles verändert.

 
Film
Tom of Finland

Er inspirierte Künstler wie Andy Warhol, Robert Mapplethorpe und die Village People, seine markanten erotischen Zeichnungen veränderten radikal das Selbstverständnis homosexueller Männer: Tom of Finland, mit bürgerlichem Namen Touko Laaksonen.
Er starb 1991. Sein wechselhaftes Leben und den Aufstieg zur legendären Kultfigur schildert Regisseur Dome Karukoski in dem berührenden Film-Porträt „Tom of Finland”. Es ist die Geschichte hinter den Bildern, sie verrät aus welchen Albträumen, Geheimnissen und Fantasien jene muskulösen aufreizenden Biker, Polizisten oder Holzfäller entstanden und welche subversive Message ihr überdimensionaler Phallus signalisiert.

 
Film
Logan Lucky

Wundervoll skurriles Heist-Movie, der herbe Südstaaten-Charme begeistert Kritiker wie Publikum.
Mit „Logan Lucky” stellt US-Regisseur Steven Soderbergh seine „Ocean’s”-Trilogie auf den Kopf: Autorennen statt Casino, Prekariat statt High Society. Der neue Held heißt Jimmy Logan (Channing Tatum), hinkt und wurde gerade gefeuert, angeblich erhöhtes Haftungsrisiko wegen einer alten Sportverletzung. Die fristlose Kündigung ist für den eigenwilligen Bulldozer-Fahrer eine Katastrophe. Jobs sind in rar in West Virginia, einem der ärmsten Bundesstaaten Amerikas. Schon jetzt fehlt ihm das Geld, seine Handyrechnungen zu bezahlen. Abgesehen davon hasst der geschiedene Ex-Football-Spieler es, kontrolliert zu werden genau wie Oscar-Preisträger Soderbergh, der beharrte auf absoluter kreativer Freiheit und rebelliert mit seiner unabhängig produzierten Hillbilly-Komödie erfolgreich gegen die Allmacht Hollywoods.

 
Film
Mr Long

Melancholisches Gangsterdrama zwischen Poesie und Splatter, Utopie und knallhartem Realismus.
Mit artistischer Bravour zieht Mr. Long (Chang Chen) seinen Opfern die geschliffene Klinge durch die Kehle. Er ist ein Meister seines Fachs, furchtlos, kühn, elegant und schweigsam. Nicht die Lust am Töten treibt ihn an, sondern das Pflichtgefühl. SABU nennt sich der japanische Regisseur und Schauspieler Hiroyuki Tanaka, seit er auf der Leinwand einen Yakuza dieses Namens verkörperte. Seinen neuen Film inszeniert er ästhetisch virtuos als chaplineske Fabel, brutal, komisch, traurig, rührend und auf seltsame Weise ungeheuer tröstlich. SABUs Außenseiter-Ballade ist ein verstörendes wie betörendes Labyrinth, sich darin zu verlieren ein Genuss, nur der unbarmherzige Stilwillen des Künstlers hält den wilden Genre-Mix zusammen.

 
Film
Dalida

Wie viel Tragik verkraftet ein Film in Zeiten von „Wonder Woman” oder „Atomic Blonde”? Tough ist angesagt, und viele Kritiker reagierten eher störrisch auf das melancholische berührende Porträt eines Megastars, dessen Traum von bürgerlicher Idylle sich nie erfüllen sollte.
Dalida beging am 3. Mai 1987 Selbstmord, 54 Jahre war sie alt und eine der berühmtesten Chansonsängerinnen Frankreichs. Über 2.000 Lieder in 15 Sprachen hat sie aufgenommen, produzierte einen Hit nach dem anderen: „Ciao, ciao bambina", „J’attendrai”, „Besame mucho", „Gigi l'amoroso" oder das Duett mit Alain Delon: „Paroles, paroles”.

 
Film
Final Portrait Alberto Giacometti

Hinreißend wie Regisseur Stanley Tucci Kreativität als permanenten Ausnahmezustand inszeniert.
Paris 1964. Zwei Stunden nur, vielleicht drei, allerhöchstens ein Nachmittag, länger werde es auf keinen Fall dauern, ihn zu porträtieren, versichert Alberto Giacometti (Geoffrey Rush) seinem amerikanischen Freund James Lord (Armie Hammer). Der Schriftsteller fühlt sich geschmeichelt, sein Rückflug nach New York geht schon übermorgen, er ahnt nicht, auf welches Abenteuer er sich einlässt. Der damals 63jährige Schweizer Bildhauer, Maler und Grafiker war zu jener Zeit bereits eine Legende, die Werke erzielten Rekordpreise. Doch grade der eigene Erfolg macht den Künstler noch misstrauischer gegenüber der Qualität seiner Arbeit. Nach wenigen Pinselstrichen schreit er die Leinwand an, flucht, bricht abrupt ab und verschiebt alles auf den nächsten Tag.

 
Film
Paradies

Als obszön hätte es Andrei Konchalovsky empfunden, seinen Film „Paradies” in Farbe zu drehen. Der 79-jährige russische Regisseur entdeckt für uns radikale neue Wege der Annäherung an eine Vergangenheit, die unfassbar scheint.
Das ästhetisch virtuose, schwermütige Drama vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs entwickelt sich zur zeitlosen Parabel über das menschliche Versagen und jene unstillbare Sehnsucht nach Erlösung. Die Protagonisten: Ein Franzose, eine Russin, ein Deutscher, alle drei Darsteller spielen in ihrer jeweiligen Muttersprache. Schon das ist spektakulär, dieser Mix aus dokumentarischer Authentizität und ungewohntem metaphysischem Selbstverständnis. Es wird ein Abschied von der herkömmlichen Feindfigur. Ob Widerstandskämpferin, Nazi-Kollaborateur oder SS-Offizier, jede Person offenbart große innere Stärke, erliegt aber ihren Schwächen und fanatischen Überzeugungen.

 
Film
The Party

Sally Potter besitzt ein untrügliches Gespür für die Absurdität menschlichen Leidens. Sie präsentiert „The Party” als hintergründige Farce über den Verlust von Wahrheit in der Politik wie in der Liebe. Skrupellos und künstlerisch brillant seziert die britische Regisseurin eine linksliberale Elite mit Upperclass Gehabe, erlaubt sich selbst weder Schlupfloch noch Alibi, niemand kommt hier ungeschoren davon.
Das klassische Format des Kammerspiels eignet sich perfekt zum ästhetisch virtuosen Untergang von Ideologien, gedreht in Schwarzweiß und Echtzeit. „Ginger & Rosa”, ihre Sechzigerjahre-Rebellinnen mögen sich später verdingt haben an das Establishment, die experimentelle Filmemacherin bleibt eine Provokateurin par excellence. Bösartiger und hinreißender können Dialoge kaum sein.

 
Film

Der Ornithologe


Sinnsuche als geheimnisvolles Survival-Epos: Regisseur João Pedro Rodrigues ist ein genialer Bilderstürmer in der Tradition Pasolinis. Was als wissenschaftliche Exkursion beginnt, wird bald zur skurril subversiven Odyssee des Magischen Realismus. Es geht um Tod, Auferstehung, Märtyrertum, Erlösung und um Liebe.
Der Autorenfilmer mischt christliche und heidnische Motive, re-kreiert die historische Gestalt des Antonius von Padua mit all deren Widersprüchen, wie es schon Hieronymus Bosch oder Salvatore Dali taten. Rodrigues verhöhnt nicht das Göttliche, glorifiziert nicht den Tabu-Bruch, sondern will nur wissen, wie viel in ihm, dem Künstler, steckt von jenem portugiesischen Heiligen aus dem 13. Jahrhundert, der zu den Fischen predigte. Ästhetisch virtuos legt er den erotischen Subtext frei.

 

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