Bildende Kunst
Harald Duwe. Heile Welt

Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte auf Schloss Gottorf in Schleswig-Holstein würdigt mit einer Retrospektive einen der bekanntesten norddeutschen realistischen Maler und Grafiker: Harald Duwe.
Die Ausstellung präsentiert rund einhundert Gemälde – thematisch geordnet nach Portraits, Landschaften, Körperstücke, Gewalt und Gesellschaft sowie Strand als soziale Bühne. Hinzu kommen Zeichnungen, Lithografien und Holzdrucke. „Heile Welt", wie es der Untertitel suggeriert, sucht der Betrachter in Duwes gesellschaftskritischen, provokanten und oftmals brutalen Bilderwelten allerdings vergeblich.
„Meine Bilder sind Produkte einer sowohl emotionalen wie rationalen Auseinandersetzung mit den Konflikten und Widersprüchen unserer Zeit. Sie bieten keine Lösungen, keine Botschaften an. Ich weiß nur, dass sie meine Einsichten, Abneigungen und Reaktionen, meine Zweifel, Ängste und Hoffnungen enthalten." (Duwe 1983)

Harald Duwe, 1926 im Arbeiterviertel Hamburg-Rothenburgsort geboren, ist seit 1975 Dozent an der Fachhochschule für Gestaltung in Kiel, heute Muthesius Kunsthochschule. Als SPD-Mitglied vertritt er die Ansicht, dass ein Künstler sich politisch und gesellschaftlich engagieren und Stellung beziehen müsse. Bereits in den Sechzigerjahren gehört Duwe zu den westdeutschen Realisten, welche sich kritisch mit der bundesdeutschen Nachkriegszeit auseinandersetzen. Als aufmerksamer Chronist verfolgt er die Frankfurter Auschwitz-Prozesse 1963 und 1965, malt die unvorstellbare Gewalt, wie sie in den Berichten von Zeitungen und dem Fernsehen veröffentlicht werden: ausgemergelte Insassen eines Konzentrationslagers, „Lager" von 1967, gefolterte Menschen an Eisenstangen hängend, mit Seilen verknotet, nackte Körper mit blutenden Wunden und austretenden Gedärmen "Graue Wand", 1968. Auffallend sind die großen Füße der Opfer, die Folterspuren und abgeschlagenen Glieder, das leichenblasse Inkarnat der Haut.

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Schockierend „Das große Fleisch" von 1967. Drei menschliche Körper sind hier zum Schlachtvieh degradiert: Haut, Knochen, hervordringende Innereien erinnern an die Fleischbeschau im Schlachthof. Und an die Gemälde des irischen Malers Francis Bacon.

Duwes radikaler Realismus erregt Aufsehen, aber auch Ablehnung und offene Kritik. Gleichwohl malt er bis etwa 1969 gegen das Verschweigen an, gegen das Verdrängen der NS-Diktatur hin zu einer Heile-Welt-Ideologie der Nachkriegsgeneration. Nach der Auschwitz-Thematik widmet er sich gesellschaftspolitischen Themen: der Konsum- und Arbeitswelt, Gewalt, Militarismus und Kriegsgräueln, Demonstrationen gegen den Bau des Atomkraftwerkes Brokdorf und die atomare Aufrüstung der Nato, Industriewachstum und Umweltzerstörung sowie dem bürgerlichen Freizeitvergnügen. Duwes realistische Bildsprache wird differenzierter, farb- und detailfreudiger. In geradezu fotorealistischer Manie skizziert er menschliche Gesichter und Körper, Strandmüll, Autos, Häuser und Gegenstände.

Provokant sind die Strandbilder, welche die Wirtschaftswunderjahre der Ludwig Erhard-Ära festhalten: Fettleibige Wohlstandbürger stellen ihre nackten Körper zur Schau, präsentieren als Statussymbole Wohnwagen und Luxusautos, feiern ihre Freizeit mit Bier und Sekt, suhlen sich im verdreckten Wasser der Kieler Förde. Zwischen nackten Leibern und mit Müll bedeckten Stränden spielen Kinder, welche die Tristesse der sogenannten Strandidylle der Erwachsenen entlarven.

Beispielhaft hierfür stehen die Bilder „Selbstauslöser", „Camping", „Ein Denkmal am Strand" oder „Förde-Szenen" und „Ein Platz an der Sonne". Mit diesem Bildtitel greift Harald Duwe übrigens das Motto einer bundesweiten Lotterie für benachteiligte Kinder auf. Provokant auch seine Gesellschaftsbilder: Mit dem Slogan "Kaufen ist Leben" lockt ein Supermarkt zum ungehemmten Konsum, ein grell-buntes Bild wirbt für den Eintritt in die Bundeswehr „Soldatenleben – immer bereit".

„Die künstlerische Herausstellung der brutalen Seite des menschlichen Lebens ist niemals als Selbstzweck aufzufassen, sondern ist ein Mittel der Provokation für eine bessere Welt. Dafür ist die Bekämpfung der Heile-Welt-Ideologie notwendig", heißt es im Ausstellungskatalog. „Meine Bilder erregen Anstoß und möglicherweise Erschrecken. Die Provokation des Betrachters ist beabsichtigt", so Duwe 1981.

Harmonisch sind dagegen seine frühen Hafenbilder, bunte Zimmer, Bilder vom Elbe- und Meeresstrand sowie meisterhafte Portraits und Selbstbildnisse des Künstlers, mit denen der Rundgang durch die Ausstellung beginnt. Die Harmonie wird beim Studium seiner Gemälde von Dr. Hans Ploog, dem Schwiegervater des Malers, unterbrochen: Das Bild von 1976 zeigt den alten Herrn im Mantel in einem Sessel sitzend. Zwei Jahre später hält der Maler ihn als senilen Greis im Unterhemd fest.

Sehenswert sind im Obergeschoss die Farb- und Bleichstiftzeichnungen, Lithografien und Farbholzschnitte, welche die künstlerische Vielfalt Harald Duwes belegen, der 1984 im Alter von 58 Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam.

Leichte Kost ist die Kunst Harald Duwes für den Betrachter nicht. Ein Besuch der Ausstellung ist dennoch sehr empfehlenswert, zeigt sie doch den Künstler als schonungslosen Chronisten der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte.

„Harald Duwe. Heile Welt" ist bis zum 30. Oktober 2016 im Landesmuseen Schloss Gottorf - Reithalle, 24837 Schleswig, zu sehen.
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 bis 17 Uhr. Sonnabend + Sonntag 10 bis 18 Uhr Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Das Buch kostet 24 € im Museumsshop.
www.schloss-gottorf.de


Abbildungsnachweis:
Header: Blick in die Ausstellung (Thema Gesellschaft). Foto: Christel Busch
Galerie:

01. Harald Duwe: An der Elbe mit Dampfer, 1953, Öl auf Hartfaserplatte, 27,5x37cm. Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen (Thema Landschaft)
02. Bombenopfer, 1982, Kohle und schwarze Kreide, 60,1x80cm. Privatsammlung (Thema Gewalt)
03. Blick in die Ausstellung (Thema Strand und soziale Räume). Foto: Christel Busch
04. Camping, 1971, Öl auf Leinwand, 150x100cm. Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen. Schenkung Heilwig Duwe-Ploog (Thema Strand und soziale Räume)
05. Strandbilder. Foto: Christel Busch
06. Frau im Plastikstuhl, 1968, Öl auf Leinwand, 180x130cm. Privatsammlung (Thema Körperbild)
07. Gesellschaft, Große USA-Allegorie, 1983/84, Öl auf Leinwand, 200x180cm. Privatsammlung (Thema Gesellschaft)
08. Selbstporträt mit Mütze, 1984, Öl auf Hartfaserplatte, 48x37cm. Privatsammlung (Thema Porträt).

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