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„Wir haben die wenigen persönlichen Gegenstände aus dem Speziallager in der Familie über Jahrzehnte sorgfältig aufbewahrt, da sie uns an die schwerste Zeit unseres Lebens erinnert haben“, sagte Leonore Bellotti heute bei der Übergabe in Oranienburg. „Ich freue mich, dass sie jetzt an den Ort ihrer Entstehung zurückkehren und in den Sammlungen der Gedenkstätte Sachsenhausen dauerhaft für die Nachwelt aufbewahrt werden“, sagte Bellotti, die bis zu ihrer Pensionierung als Kosmetikerin arbeitete.

Leonore Fink wurde 1925 in Königsberg geboren, wo ihr Vater Karl Fink als Frauenarzt und Professor an der Königsberger Universität tätig war. Während Leonore mit ihrer Mutter bei Kriegsende nach Mecklenburg floh, ließ die sowjetische Siegermacht ihren Vater erst 1948 in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands ausreisen. Leonore Fink sammelte Informationen über die Situation in ihrer vormaligen Heimatstadt und beschrieb diese in einem Brief an eine Freundin in der britischen Besatzungszone in deutlichen Worten. Daraufhin wurde sie im Sommer 1946 an ihrem 21. Geburtstag in Schwerin vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet.

Nachdem auch ihre Mutter Frieda Fink knapp zwei Monate später verhaftet worden war, wurden beide am 4. Oktober 1946 von einem sowjetischen Militärtribunal wegen „antisowjetischer Propaganda und Agitation“, der „Verleumdung der Roten Armee“ und der Verbreitung antisowjetischer Flugblätter zu jeweils fünf Jahren Haft verurteilt und ins sowjetische Speziallager Nr. 7 nach Sachsenhausen verbracht.

Unter den 60.000 Menschen, die der sowjetische Geheimdienst zwischen 1945 und 1950 in den Baracken des sowjetischen Speziallagers Sachsenhausen einsperrte, befanden sich vorwiegend untere Funktionäre des NS-Regimes, aber auch Mitarbeiter aus Verwaltung, Polizei, Justiz. und Wirtschaft sowie SS-Personal aus den Konzentrationslagern. Außerdem waren politisch Missliebige und willkürlich Verhaftete sowie von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilte wie Leonore Fink und ihre Mutter im Speziallager Sachsenhausen inhaftiert. 12.000 Häftlinge starben an Hunger und Krankheiten.

Beide Frauen waren gemeinsam in den Steinbaracken der Zone II des Speziallagers Sachsenhausen inhaftiert. Bei der Arbeit im Industriehof lernte Leonore Fink den Italiener Giovanni Bellotti kennen, bis 1945 Mitarbeiter im konsularischen Dienst seines Heimatlandes. Der sowjetische Geheimdienst hatte ihn im September 1945 verhaftet und internierte ihn, weil ihm eine Geheimdiensttätigkeit unterstellt wurde. Alle drei wurden im Zuge der Auflösung des sowjetischen Speziallagers im Februar 1950 entlassen. Leonore Fink und Giovanni Bellotti heirateten im Februar 1951 in West-Berlin.

„Nach einigen Jahren unendlicher Qual durch die Ungewissheit über Dein Schicksal bin ich jetzt glücklich, Dich in Deutschland zu wissen“, heißt es in einem Stoffkassiber, dem vielleicht eindrucksvollsten der übergebenen Gegenstände. Eine 1948 entlassene Mitgefangene hatte die Botschaft von Frieda Fink an ihren Ehemann in ihre Kleidung eingenäht. Sie konnte aus dem Speziallager herausgeschmuggelt werden und erreichte den Adressaten. Leonore Fink fertige im Lager kleine Handarbeiten an, darunter ein Stoffherz vom 6. Dezember 1947, das der Familie gewidmet ist. Zudem übergab sie einen Kamm, einen Haarsteckkamm sowie eine Bestecktasche mit Monogramm. Von ihrem Mann Giovanni Bellotti stammen ein Schachspiel mit kunstvollen Aluminiumfiguren und einem mit Aluminium eingefassten Holzbrett sowie eine Bestecktasche, die ebenfalls mit einem Monogramm als persönlicher Gegenstand gekennzeichnet ist. Zu dem jetzt an die Gedenkstätte übergebenen Nachlass gehören außerdem einige private Fotos, die die Zeit vor und nach der Haft und Kontakte zu anderen ehemaligen Inhaftierten dokumentieren.

Dr. Enrico Heitzer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte, dankte Frau Bellotti für ihre wertvolle Schenkung: „Mit dem Schwinden der Generation der Zeitzeugen gelangen immer mehr Nachlässe ehemaliger Häftlinge des Speziallagers in die Sammlungen der Gedenkstätte. Diese Nachlässe umfassen eine große Spannweite an teils lagerzeitlichen Dokumenten, Objekten und Fotos. Für die Überlieferung der Geschichte und Nachgeschichte des Speziallagers Sachsenhausen sind sie eine große Bereicherung. Für ihre konservatorisch sichere Aufbewahrung werden ab Frühjahr 2017 im ehemaligen Industriehof neue Depoträume zur Verfügung stehen“, sagte Heitzer.

Quelle: Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten