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Am Anfang, zur Stummfilmzeit, blieb nichts im Unklaren. Man konnte genießen ohne zu grübeln.
Zuerst war die Darstellerin zu sehen, die wild mit den Augen kullerte und die Hand auf’s Herz presste. Dann stoppte die Handlung und auf einem Schild stand zu lesen:

„Oh! Wie wird mir? Ich ertrag’ es fürder nicht!“

Das dachten wir uns zwar schon, aber es war angenehm, es bestätigt zu bekommen. Selbst verwirrende und anspruchsvolle Filmkunstwerke wie ‚Metropolis’ oder ‚Alraune’ nahmen den Zuschauer auf diese Art bei der Hand.
Nachdem der Ton hinzukam, fehlten zwar die meisten Erläuterungsschilder, doch immer noch war es das Anliegen der Produzenten, den Zuschauer nie im Unklaren zu lassen. Es gab da eine Reihe unausgesprochener Vereinbarungen zwischen Macher und Verbraucher. Zum Beispiel konnte man in vielen Fällen davon ausgehen, dass die blonde Heldin die Gute war, im Gegensatz zur Brünetten, und dass der edle Held auf einem Schimmel saß, während der zweifelhafte den Rappen ritt.
Böse Frauen, solche, die wussten, was sie wollten und die nicht zur bedingungslosen Selbstaufopferung neigten, rauchten und lackierten sich die Nägel.

Wurde ein Traum gezeigt, eine Halluzination oder eine Erinnerung, dann verschwamm das Bild erst mal, um zu demonstrieren: hier verlassen wir die Realität und die kontinuierliche Zeit. (Weshalb der Vorgang auch ‚Rückblende’ genannt wurde. Normalerweise fing nämlich ein Film vorne an und endete hinten, mit dem Happyend oder der Katastrophe.) Selbst Hitchcock benutzte solche technischen Ausrufezeichen, Suspence hin oder her, er wollte nicht, dass der Zuschauer den Faden verlor.

Ein weiteres Hilfsmittel, auf das man sich blind verlassen konnte, war der musikalische Hintergrund. Die allermeisten Filme in den dreißiger und vierziger Jahre wurden in erklärenden Sinfonien geradezu ersäuft, die Protagonisten konnten keinen Schritt tun und keine Augenbraue hochziehen, ohne dass Bratschen und Schalmeien verdeutlichten, was in ihrer Brust tobte, von neckisch-gehüpften Tönen, bevor sie eine Schelmerei begingen, bis zu tiefdunklem, bedrohlichen Gegrolle, wenn sie den Dolch wetzten oder die Tochter des armen Poeten belästigten.

Dazu kam der damals unendlich strenge Kodex der so genannten „Freiwilligen Selbstkontrolle“. Dem entsprechend lohnten sich Verbrechen nie im Leben. Selbst, falls der Böse im Lauf des Films gebessert wurde und aufrichtig bereute, musste ihm zum Schluss unabdingbar was Schweres auf den Kopf fallen oder dergleichen, denn wir alle hatten schließlich beobachtet, dass er mal in Sünde gefallen war und mochte Gott auch vergeben: die FSK nie.

Noch kurz vor dem zweiten Weltkrieg, als ‚Vom Winde verweht’ gedreht wurde, gab es ein riesiges Gerangel darum, ob Clark Gable am Ende wirklich sagen dürfte: „I don’t give a damn…“ Die Floskel drückt in salopper, aber gebräuchlicher Form aus, es rutsche ihm am Hintersteven vorbei, was aus seiner Frau würde. Es ging der Zensur auch gar nicht um diesen grausamen Tatbestand, sondern um das schlimme Wort ‚Verdammt’.

Der Krieg änderte viel im Bewusstsein und auch in der Filmkultur. Plötzlich war Gutes nicht mehr so zweifelsfrei gut wie früher und Böses nicht mehr klar abgegrenzt böse. Humphrey Bogart, bis ‚Casablanca’ charakterloser Gangster, wurde zum Idealtyp des gebrochenen Helden, nicht wirklich schlecht, aber keineswegs herzensrein, oft boshaft und zynisch, beim geringsten Anzeichen von Gefahr in Notwehr mordend. Ihm fiel trotzdem am Ende des Films nichts Schweres auf den Kopf.
Die Reihe dieser ‚schwarzen Filme’ wurde durch häufig etwas verwirrende Vor- und Rückblenden geprägt, nicht mehr so leicht zu erkennen wie früher.

Immer noch jedoch fing ein Film meistens vorne an und endete hinten, eventuelle Zeitsprünge waren gekennzeichnet und jeder Szenenwechsel erhielt ein kleines Türchen: sprang die Handlung zum Doktor, dann wurde vorher einmal der Backsteinbau des Krankenhauses gezeigt. Führte sie uns zum Fischermädchen, war zuvor das besinnlich rauschende Meer zu sehen. Und wenn wir erlebten, wie der Fabrikbesitzer seine Frau erdrosselte, bekamen wir erst mal schnell dessen Villa zu sehen, zuverlässig. Auch, wenn man sich kurzfristig mit dem Sitznachbarn beschäftigte oder sich verstreutes Popcorn vom Mantel sammeln musste, blieb man im Bilde und wusste immer, wo man – im Film – gerade war.

Doch später ließen die meisten Filmemacher immer mehr die Hand des Zuschauers los. Ingmar Bergmann schockierte ganz fürchterlich, die Nouvelle Vague erschütterte ebenfalls und auch der Junge Deutsche Film, von Fassbinder bis Schlöndorff, verweigerte die alten Sicherheitsregeln. Je nach Gemütslage wanderte der Zuschauer erheitert, aufgewühlt oder ratlos (wie die Artisten in der Zirkuskuppel) nach Hause.

Nun war das ja damals nur ein Teil des Angebots; wer nervöses Gehirnzucken vermeiden wollte, der schaute sich halt keine künstlerischen Filme an. Im Italo-Western beispielsweise stimmte zwar moralisch auch nichts mehr, die Guten waren ungefähr so schlitzohrig wie die Bösen, aber sie sahen meist besser aus und man begriff immer noch, wie alles sich entwickelte und warum.

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