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Meinung
2024 – das ist im Zeitmaßstab von Stadtentwicklern schon morgen Nachmittag. Es bleibt also nicht viel Zeit, Richtungen zu diskutieren und Weichen zu stellen. Umso wichtiger wäre eine Klarheit über die Haltung zu den Spielen, über Wege und Ziele, im Vorfeld damit umzugehen. Um nicht von einer olympischen Planungswelle überrollt zu werden, die mit dem Argument des Zeitdrucks der Stadt ein global austauschbares, quietschbuntes Entertainment-Programm überstülpt.

Von der Politik darf man dabei nicht allzu viel erwarten. Dass für eine Mehrheit von Hamburgs Politikern „Kultur“ nicht viel mehr ist als ein weißer Fleck, der für etwas steht, demgegenüber sie vor allem Berührungsängste pflegen, war schon bei der Planung der Hafencity zu beobachten. Mehr als noch mehr Musicals war dort in den Planungen für diesen riesigen Stadtteils nicht zu lesen; glücklicherweise kam später die Elbphilharmonie dazu – zwar wie Kai aus der Kiste, aber tapfer begrüßt, weil sichtbare Retusche des Makels, Olympia 2012 nicht bekommen und auch Kultur für die Hafencity in der Eile vergessen zu haben. Gern auch als Aufbruchssignal für die Stadt und als Landmark. Zum Glück entwickelt sich die Musikstadt Hamburg nun allmählich zum Guten. In seiner Notwendigkeit aber ist das Konzerthaus bis heute heißer diskutiert als jeder Meter Kaimauer im Hafen. So ist Hamburg.
2003 hatte sich der Senat gegen eine Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ entschieden – eine hochnäsig vertane Chance zur Kulturentwicklung in dieser Stadt. Hamburg habe das Zeug, jederzeit Kulturhauptstadt zu sein, hieß es damals, wolle sich aber auf die „wachsende Stadt“ konzentrieren. So ist Hamburg.

Nun also Olympia. Schon im Vorfeld ist das gigantische Sportfest der Nationen nicht weniger als ein gewaltiges Programm zur Umstrukturierung der Stadt, das Weichen stellt weit in ihre Zukunft hinein. Auch wenn erst 2017 endgültig feststeht, ob Hamburg tatsächlich gegen internationale Konkurrenten wie Paris, Boston, Istanbul, Rom, Baku, Doha und Dubai die Nase vorn hat: Für Kunst und Kultur muss es jetzt schon darum gehen, die große Leerstelle „Kultur in der Olympiastadt“ schnellstens mit eigenen Planungen zu besetzen.

„Überraschender, kritischer, sinnstiftend“
Das meint nicht in erster Linie, ein international attraktives Kulturprogramm mit spannenden Ausstellungen und Must-See-Events auf die Beine zu stellen. Es meint jetzt, im Vorfeld, alle Fragen, die um Fragen kreisen wie: In welche Richtung soll diese Stadt sich künftig entwickeln, damit die Menschen, die darin leben und arbeiten, sich in dieser Stadt wohl- und sich für sie verantwortlich fühlen? Was braucht Hamburg dafür? Wie positioniert sich die Stadt global? Welche Rollen soll internationale Kunst und Kultur hier spielen, wenn sich das „Tor zur Welt“ nicht nur auf Schiffe im Hafen beziehen soll? Was hat Kultur zu Hamburgs Entwicklung an Ideen und Debatten beizutragen? Wie wollen wir wohnen, wie können wir miteinander umgehen, wie zum Beispiel Menschen anderer Herkunft integrieren? Wie sollen unsere Wohnquartiere aussehen? Wie hält man sie für Mieter bezahlbar? Wie gehen wir mit den Konflikten um, die eine Internationalisierung mit sich bringt?

Das klingt prosaisch und wenig nach Kunst. Aber Kunst und Kultur, die sich an solchen Fragen vorbeimogelten, würden sich in eine unhaltbare Randposition manövrieren.

Olympia und die Diskussion darum kann eine Chance sein. Auf 20 Millionen D-Mark wurde 1970 der Kulturetat der Spiele 1972 in München berechnet – das waren 5,9 Prozent der Gesamtausgaben. Für London 2012 mit seiner „London Olympic Games’ Cultural Olympiad“ waren es – je nachdem, wie man die olympischen Zahlenspiele anleuchtet, zwischen 56 und 130 Millionen Euro. Dafür gab es ein riesiges landesweites Kulturprogramm, das über vier Jahre auf den Höhepunkt hin Anlauf nahm.

5,9 Prozent der niedrigsten Hamburger Kostenschätzungen von etwa zwei Milliarden Euro für Hamburgs Olympia, das wären schon mal knapp 120 Millionen Euro für die Kultur. Es könnte, koppelte man den Anteil klugerweise an die Höhe der mit Sicherheit steigenden Gesamtkosten, gern auch deutlich mehr sein. Es ist jedenfalls ein gewaltiges Mehr, betrachtet man die leidigen „Bordmittel“, mit denen man Hamburgs seit vielen Jahren Kultur hinkriegen muss.

So viel Geld für einen olympischen Nebenschauplatz? Das wäre eine grobe Fehleinschätzung! Dem Gründer der olympischen Spiele der Neuzeit, Baron Pierre de Coubertin, waren Kunst und Kultur so wichtig, dass von 1912 bis 1948 Architektur, Bildhauerei, Malerei, Literatur und Musik als olympische Wettbewerbe organisiert wurden (soweit sie einen Bezug zum Sport hatten, müssen wir ehrlicherweise hinzufügen), Medaillenvergabe inklusive. Er selbst wurde übrigens mit einer „Ode an den Sport“ erster Olympiasieger in der Disziplin Literatur. Kunst und Kultur sind Herzstücke der olympischen Idee, auch wenn sie sich vom sportlichen „schneller, höher, stärker“ weit entfernen hin zu einem „überraschender, kritischer, sinnstiftend“.

Riesenchance für eine selbstbewusste Kultur-Agenda 2024
Da sollte man sich in Hamburg doch bald mal zusammensetzen und über einen Masterplan Olympia-Kultur nachdenken, ehe der Löwenanteil dieser Summe neben einigen Alibi-Veranstaltungen in Giga-Shows und -Events festzementiert wird, die mit Kultur wenig zu tun haben wie das gefühlt 281. Feuerwerk über der Alster.

Ein Symposium wäre ein guter Anfang, muss ja nicht gleich ein runder Tisch sein, manchmal fördern gerade die Ecken das Nachdenken. Dabei sein sollten neben den Kulturträgern der Hansestadt – den großen wie den kleinen – auch die Kulturschaffenden selbst, sowie Architekten, Stadtplaner, Kulturmanager mit internationaler Erfahrung und die Akteure des Querdenkens, die sich leidenschaftlich um eine bewohnbare Stadt in der Zukunft sorgen. Damit die Kultur sich nachhaltig einmischt schon in die Diskussionen um die Planungen für eine Olympiade, die bisher am Ende noch immer unbescheidener und weniger bürgerfreundlich realisiert worden sind als in den Schönwetterreden vor dem Zuschlag.

Da könnten sich die Kulturleute schon mal warmlaufen und Ideen entwickeln: Gedankenspiele austragen, ausloten, träumen jenseits des Naheliegenden und die Gegebenheiten daraufhin abklopfen, was davon bis 2024 oder 2028 in diesem Konzert mitspielen könnte und sollte.

Ziel müsste sein ein belastbarer, Mut machender, fantasievoller Kulturentwicklungsplan. Gern gekoppelt mit einem Kulturentwicklungsfonds für Hamburg, der anfangs ruhig „Kultur-Olympia-Fonds“ heißen darf. Gefragt ist eine selbstbewusste, international Beispiel gebende Kultur-Agenda 2024. Sie wäre keineswegs vertane Arbeit, träte der Sündenfall ein, dass sich die Olympia-Götter 2017 wider besseres Wissen von einer der vielen zweitschönsten Städte der Welt verführen lassen. Denn ein Spielplatz der Weltkulturen – das könnte Hamburg dann erst recht und auch noch viel entspannter werden. Weniger attraktiv wäre das kaum. Zwar nicht einmalig wie Olympia 2024, aber als wiederkehrendes Festival eine dauerhafte Bereicherung der Stadt und ein tragfähiger Anziehungspunkt weit über Hafen und Musicals hinaus.

So geritten bietet der Olympia-Tiger eine Riesenchance für Hamburgs Kultur – damit sie aus einer lebenswerten Stadt weit ins Land und über die Grenzen Hamburgs hinaus strahlen – und ganz nebenbei in Würde überleben kann.

Ihr Hans-Juergen Fink


Abbildungsnachweis:
Header: Bildcollage von Claus Friede unter Benutzung der Abbildung: Statue des griechischen Diskuswerfers: „Discobolo“ Townley; By SFEC_BritMus_Roman_021.JPG: Steve F-E-Cameron (Merlin-UK)derivative work: tetraktys [CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0 or GFDL], via Wikimedia Commons Pierre de Coubertin: gemeinfrei.

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