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CDs KlassikKompass

An der Lebensgeschichte des Pianisten Josef Bulva müssten PR-Experten lange stricken, um sie zu erfinden. Ein bisschen Wunderkind, eine gern dazugedichtete Prise Agententhriller, Aufsehen erregendes Können am Klavier, eine Republikflucht, zwei große Unfälle und drei Neuanfänge am Klavier. Gute Kontakte zur besten Gesellschaft und zeitweilig ein Leben als Finanzgenie in Monaco.
Aber was hilft das alles, wenn man den 88 weißen und schwarzen Tasten des Konzertflügels gegenübersitzt? Dann zählen weder Alter noch Erfahrung, nur noch die Töne, der Klang, die Spielweise, die Interpretation. Und die Frage: Kann das faszinieren, kann es die Ohren und Herzen erreichen?

Josef Bulva, Jahrgang 1943, geboren noch unter deutscher Besatzung in Brno (Brünn) in der damaligen Tschechoslowakei, legt nun beim Sony-Label RCA die vierte CD nach seinem zweiten Comeback vor. Eine Doppel-CD, für die er zwei Titel neu eingespielt hat – zwölf weitere stammen aus seinen früheren Leben, ist fast so etwas wie der Soundtrack dazu. Ausgewählt hat er sie aus mehr als 70 Aufnahmen, für die er zwischen 1960 und 2014 ins Studio ging. Sie dokumentiert seine lebenslange Auseinandersetzung mit den Werken von Franz Liszt in den vergangenen 55 Jahren. Für ihn ein Widerpart wie sonst nur Beethoven und Chopin.
Warum es gerade Liszt wurde, der bis heute als Meister sinnarmen Virtuosentums diffamiert wird? In einem Interview für Remy Francks „Pizzicato“ sagt er: „Ich glaube nicht, dass diese Neigung und Spezialisierung [auf einen Komponisten] ein Teil der Begabung sind, die in der Genkonstruktion im Mutterleib entstehen. Ich bin überzeugt, dass der Beginn einer solchen Profilierung durch die Einwirkung von zufälligen Ereignissen und Empfindungen erzeugt wird, die durch die Wirkung des Talents angezogen wurden. Wenn diese Zufälle sich zur Faszination bündeln – aus welchen Gründen auch immer – lenken sie magnetisierend die Weiterentwicklung.“ Natürlich gibt der Virtuose Liszt dem Virtuosen Bulva reichlich Noten-Futter, um zu glänzen. Ganz glücklich mit ihrer fast magischen Wirkung waren aber beide nicht.

„Üben Sie noch oder spielen Sie schon?“
Josef Bulva plays Franz LisztBulvas Klavierspiel kann vom ersten Ton an fesseln. Seine Aufnahmehistorie begann mit Franz Liszts Grandes Étude de Paganini mit dem Titel „La Campanella“. Seine allererste Aufnahme für das legendäre tschechische Staatslabel Supraphon entstand 1960. Gefördert wurde er damals von höchsten Kreisen der Staatsführung – wenigstens in der Kunst sollte der Sozialismus siegen. Diese Étude, die zweite auf diesen CDs, fängt Bulva in einem recht langsamen Tempo an, um sich dann steigern zu können. Was den Aufnahmeleiter knurren lässt: „Üben Sie noch oder spielen Sie schon?“
Die Aufnahme bringt effektvoll zur Geltung, was das Klavierspiel des damaligen Wunderkinds ausmacht – Virtuosität pur, feinstes Staccatospiel, aberwitzige Tempi, das geradezu lässige Bezwingen größter technischer Schwierigkeiten. Ergebnis eines vieljährigen Übungsmarathons („sieben Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche“) , in dem Bulva sich seine Fähigkeiten geradezu verbissen antrainierte und sich in die Werke intellektuell versenkte, um das bestmögliche Ergebnis zu bekommen. „Das Prinzip Bulva“, so nennt er das bis heute. Was nicht auf Anhieb so klingt, wie er es möchte, paukt er in Extra-Übungsrunden in die Finger.
Ergebnis dieser Methode ist die Rhapsodie Espagnol, eine Aufnahme von 1970, aus seiner Zeit als gefeierter sozialistischer Staatssolist, mit Reiseerlaubnis und schnellen Sportwagen. Supraphon veröffentlicht sie nicht mehr – denn 1972 setzt sich Bulva in seinen alten Jaguar („der Maserati blieb in der Garage“), die Masterbänder der Aufnahme im Gepäck, überquert die Grenze und kommt von seinem Gastspiel nicht mehr zurück, sondern bleibt in Luxemburg.
Davor lag ein schwerer Bergunfall mit mehr als 50 Knochenbrüchen, erzählt er. Genug Zeit während der Genesung, seinen Lebensweg neu auszurichten. Im Westen muss er seine Karriere als Pianist noch einmal neu beginnen. Die Supraphon, so erzählt er, hat seine alten Aufnahmen vernichtet, in der CSSR wurde er wegen Hochverrats angeklagt – in Abwesenheit.

Maximale Balance ist nicht so aufregend wie maximale Virtuosität
Dafür wird er in Deutschland (West) gefeiert und bald auch bei internationalen Tourneen – „Pianist des wissenschaftlichen Zeitalters“ nennt ihn Klavierpapst Joachim Kaiser. Höchste Klarheit, Struktur, hörbare Analyse, fort mit den romantischen Nebeln. Doch die Aufnahmen aus dieser Zeit sind nicht etwa in einer „Edition Bulva“ verfügbar – sie vagabundieren bei diversen Labels und in seltsamen Kompilationen, nur wenige auffindbar im Internet. Und man wundert sich, dass der Gentleman-Pianist so nachlässig mit den Dokumenten seines Lebenswerks umgegangen sein soll. Sieben Werke, darunter mit Liszt Klaviersonate h-Moll und seinem Klavierkonzert Es-Dur zwei gewaltige Brocken, stehen auf den aktuellen CDs für diese Epoche.
Sie belegen den Wandel Bulvas vom reinen Virtuosen zum akribischen Analytiker der musikalischen Denktiefe der Komponisten. Technik rückt, da sowieso vorhanden, für ihn in weiter nach hinten. Im „Pizzicato“-Interview sagt er dazu:
„Es geht darum, zu suchen, [...] was für die Komposition interessant ist. Und da bringe ich dann meine Originalität ins Spiel, die ich durchaus brauche, die aber nie Selbstzweck sein darf. [...] Ich [...] muss Entscheidungen treffen, die im Sinne des Komponisten sind, die aber nicht geschrieben stehen. [...] Das gibt mir also einen gewissen Spielraum, den ich benutzen kann, ohne mich der Untreue gegenüber dem Notentext schuldig zu machen. Und so kommt dann auch das heraus, was Sie mit Nachdenklichkeit bezeichnen.“ Er gräbt sich verstärkt in diese – wie er es nennt – „spirituell aufregendste Abteilung“ des Klavierspielens ein. Es ist ein schwieriger Weg, keiner auch, den das Publikum so leicht verstehen möchte. Maximale Balance ist eben erst mal nicht so aufregend wie maximale Virtuosität. Eines aber bleibt: Bulva setzt auf Analyse und Intelligenz, das Risiko der Spontanität kommt danach. Er formuliert das so: „Wir sind das Dienstpersonal der Komponisten.“

Neues Zwischenergebnis im Lebenswerk eines ewigen Grüblers
1996 stürzt der Pianist im Winter, zerschneidet sich die linke Hand an Glasscherben, die unter dem Schnee verborgen lagen. Ärzte bescheinigen ihm das Ende der Karriere. Er verkauft seinen Konzertflügel. Und betätigt sich, ziemlich erfolgreich, wie er sagt, mit Finanzgeschäften in Monaco. Bis er nach Jahren einen Kollegen im Radio hört und denkt: Das muss man doch ganz anders spielen.
Mehrere Operationen der linken Hand, und noch einmal den verbissenen Übungsmarathon über sechs Jahre – und dann das Comeback, 2009. Neue CD-Aufnahmen, erste Konzerte. Interviews, Talkshows. Er hat den Weg zurück gefunden ins Rampenlicht.

Zwei Aufnahmen dokumentieren auf der aktuellen CD, wo Bulva heute steht. Eine der Études d’exécution transcendente, und dann der Mephisto-Walzer. Die Étude spielt Bulva nicht immer mit der manisch akkuraten, schwebenden Leichtigkeit, bei der die Tasten kaum von den fliegenden Fingern der Hand berührt werden – so wie bei den ebenfalls dokumentierten Aufnahmen zweier anderer Études aus dem Jahr 1983. Dafür durchzieht die neue Aufnahme ganz viel Nachdenklichkeit und das puzzlehafte Zusammenfügen von Erinnerungen.
Beim Bulvas Mephisto-Walzer aus dem vergangenen Jahr fressen Akuratess und Nachdenklichkeit die Sinnlichkeit des Tanzes fast vollständig auf, er lässt den Takt manchmal bewusst stolpern, bricht aufkommende Ekstase immer wieder, als misstraue er allzu dick aufgetragenen Gefühlen. Und wieder klingt bei ihm nichts von alledem endgültig – eher wie ein neues Zwischenergebnis im Lebenswerk eines ewigen Grüblers.

Josef Bulva spielt Franz Liszt
2 CDs, RCA
8887 5073 062

Hörbeispiele


Abbildungsnachweis:
Header: Josef Bulva. Foto: Angelo Antelino
CD-Cover

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